Bjørn Lomborg im Gespräch über Welthunger, Klimawandel und die Zukunft der Menschheit

»Viele denken, sie müssen nur ihr Leben etwas ändern«

Der dänische Politologe und Statistiker Bjørn Lomborg (47) ist außerordentlicher Professor an der Copenhagen Business School und Direktor des Think Tanks »Co­penhagen Consensus Center«. Weltweit bekannt geworden ist er 2001 mit dem umstrittenen Buch »Apocalypse No! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln«. Das Time Magazine hat ihn zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt erklärt, die Leser von Foreign Policy wählten ihn auf Platz 14 der 20 wichtigsten Intellektuellen der Welt.
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Sie sind Vegetarier. Warum?
Weil ich keine Tiere töten will. Ich bin aus ethischen Gründen Vegetarier. Aber ich bezweifele, dass ich viele Menschen überzeugen kann, Vegetarier zu werden. Denn wir stellen fest, dass Menschen mit zunehmendem Wohlstand mehr Fleisch essen wollen. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird also vermutlich in den kommenden zehn Jahren kontinuierlich steigen.
Wäre die Welt eine bessere, wenn mehr Menschen Vegetarier würden?
Definitiv. Aber ich sage das nur vom ethischen Standpunkt aus: Wir sollten keine Tiere töten. Aber ich weiß, dass ich damit einer sehr kleinen Minderheit angehöre.
Der Guardian schrieb, Sie seien »einer von 50 Menschen, die die Welt retten können«. ­Warum irrt er sich?
(lacht) Ich hoffe doch, er irrt sich nicht! Ich glaube, dass das größte Problem in der Debatte um Umweltschutz ist, dass wir sehr viel guten Willen sehen, aber kaum den Willen, zu fragen, was funktioniert und was nicht. Wir wollen etwas gegen die Erderwärmung machen, aber wir weigern uns, zur Kenntnis zu nehmen, dass das schon seit 20 Jahren nicht funktioniert, dass das Kyoto-Abkommen keinerlei positive Wirkung hat. Wir investieren viel Geld in Energiesparlampen und fühlen uns gut dabei, aber wir müssten stattdessen Grüne Technologie viel billiger machen, damit auch Chinesen und Inder sie sich leisten können.
Und was Nahrungsmittel betrifft, weigern wir uns zur Kenntnis zu nehmen, dass nach wie vor einer unserer wichtigsten Politikansätze in Europa und den USA ist, Biokraftstoffe in unsere Autos zu füllen. Das ist doch unfassbar unmoralisch! Wir nutzen Agrarfläche, um Nahrungsmittel herzustellen, die wir dann in unseren Autos verbrennen. Das führt nicht nur zu höheren Nahrungsmittelpreisen, wie wir daran erkennen können, dass die USA 40 Prozent ihrer Mais-Produktion in ihren Autos verheizen. Es führt auch dazu, dass mehr Wälder abgeholzt werden. Und es führt in letzter Konsequenz dazu, dass mehr Menschen verhungern. Und schließlich stellen wir dann noch fest, dass wir jetzt mehr CO2 produzieren als vorher. Wir fühlen uns ständig gut, weil wir denken, wir hätten etwas getan, aber in Wirklichkeit braucht es sehr viele verschiedene Lösungen, um die Welt zu ernähren und den Klimawandel aufzuhalten. Wenn also der Guardian meint, ich könne helfen, die Welt zu retten, dann sicher nur dadurch, dass ich sage, wie es ist, und nicht, wie wir es uns wünschen.
Sie sagen, Hunger sei das größte Problem der Menschheit, aber Sie haben auch gesagt, dass es immer weniger Hunger gebe. Erklären Sie uns den Widerspruch.
Die entscheidende Frage ist, bewegen wir uns insgesamt auf lange Sicht in die richtige Richtung? Und die Antwort ist eindeutig: ja. Wenn man die Zahl der Menschen, die an Hunger sterben, im Vergleich zur Weltbevölkerung nimmt, dann sehen wir, dass 1950 der Anteil verhungernder Menschen noch bei 50 Prozent lag. Heute sind es weniger als 16 Prozent. Und das, während die Weltbevölkerung um drei Milliarden Menschen gewachsen ist. Wir haben es also geschafft, dramatisch viel mehr Menschen zu ernähren. Das ist eine immense Leistung. Aber das bedeutet eben nicht, dass es keine Probleme mehr gibt. Im Gegenteil. Immer noch gehen jeden Tag 920 Millionen Menschen hungrig ins Bett.
Sie sollen gerne mit Ihrer Xbox spielen, haben Sie »Halo – Kampf um die Zukunft« gespielt?
Ja, habe ich tatsächlich.
Die Story spielt ja im Jahr 2551 und die Menschheit ist wegen der Überbevölkerung gezwungen, andere Planeten zu besiedeln. Wird Überbevölkerung und die Verknappung von Land in der Zukunft das größte Hindernis sein, um genügend Nahrungsmittel zu produzieren?
Ganz klar: nein. Auch wenn das die vorherrschende Meinung ist. Wenn man sich Filme über eine dysfunktionale Zukunft anschaut, dann geht es immer darum, dass der Planet komplett verschmutzt und überbevölkert ist. In Wirklichkeit haben alle wohlhabenden Gesellschaften aber eher das Problem einer Unterbevölkerung. Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür. Und das wird im Rest der Welt auch geschehen, wenn dort der Wohlstand zunimmt. Das ist das, was gerade in China passiert. Eine Frau in der Dritten Welt bekam 1950 im Durchschnitt sechs Kinder, heute sind es weniger als drei. Das ist die Hälfte. Dass wir mehr werden auf der Erde, liegt also nicht daran, dass zu viele Kinder gezeugt würden.
Trotzdem wächst die Weltbevölkerung. Kann es nicht zu einem Mangel an Anbauflächen für Nahrungsmittel kommen?
In den Industriestaaten haben wir es geschafft, immer mehr Nahrungsmittel auf immer weniger Fläche zu produzieren. Man bedenke, dass in Europa viele Flächen aus Umweltschutzgründen aus der Produktion herausgenommen wurden. Das ist es, was Forschung und Entwicklung für den Menschen leisten können. Und genau auf diese Weise muss es auch weitergehen. Die Grüne Revolution in Asien Anfang der siebziger Jahre hat genau das bewirkt: Wir haben kapiert, dass der Trick darin besteht, viel mehr Nahrungsmittel aus jedem Hektar Land zu gewinnen. Wenn wir das tun, werden wir fähig sein, mehr und mehr Nahrung zu erzeugen. Die Uno schätzt, dass wir derzeit ein Drittel der Flächen nutzen, die für Landwirtschaft in Frage kommen. Mitte des Jahrhunderts werden wir, der Uno zufolge, statt 34 Prozent etwa 37 Prozent des Landes brauchen. Also wir werden nie auch nur annähernd alles für die Landwirtschaft geeignete Land nutzen. Das ist eine gute Nachricht, denn das sagt uns, dass es auch künftig viel Platz für Natur geben wird.
Reden wir hier implizit gerade über Gentechnik?
Nur unter anderem. Gentechnisch veränderte Organismen sind höchst umstritten. Der Großteil landwirtschaftlichen Fortschritts verdanken wir aber ganz traditionellen Züchtungsprogrammen. Ich denke, grüne Gentechnik bietet die Möglichkeit, das noch weiter zu steigern, die meisten Sorgen, die wir diesbezüglich haben, sind unbegründet. Wir brauchen eine zweite Grüne Revolution. 1970 hat man gedacht, Indien sei verloren, sei nicht in der Lage, seine Bevölkerung zu ernähren und stecke in einer ausweglosen Situation. Man dachte, immer mehr Menschen würden verhungern und es gebe keine Möglichkeit, Indien und auch andere südostasiatische Staaten zu retten. Was dann aber geschah, war, dass wir ihnen landwirtschaftliche Hochertragssorten geben konnten, so dass sie in der Lage waren, deutlich mehr Lebensmittel pro Hektar zu produzieren. Und heutzutage sind sie Netto-Nahrungsmittelexporteure. Wir haben die ganze Situation umgekehrt. Und jetzt haben wir das Problem in vielen Gegenden Afrikas – und auch immer noch in einigen Regionen Südostasiens. Aber wir haben uns unserer Selbstzufriedenheit hingegeben. Wir haben angefangen, lieber über andere Themen zu reden, wie Klimawandel und andere gut gemeinte Dinge. Doch wir müssen uns weiterhin um die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion kümmern. Es mag dabei um Gentechnik gehen oder auch nicht, das ist eine politische Entscheidung, die getroffen werden muss, aber so oder so müssen wir viel mehr Geld investieren, um den Planeten auch in Zukunft ernähren zu können.
Das war auch das Ergebnis des Kopenhagener Konsenses …
Richtig. Beim Kopenhagener Konsens haben wir viele der Top-Wirtschaftsexperten der Welt zusammengebracht, um zu überlegen, wo man am effektivsten Geld investieren kann, um dem Planeten konkret zu helfen. Und einer der wichtigsten Punkte, die sie herausgearbeitet haben, war, dass sie meinten, wir sollten jedes Jahr zwei Milliarden Dollar mehr in Forschung und Entwicklung von ertragreicheren Nutzpflanzen stecken. Solche vergleichsweise kleinen Investitionen hätten bereits zur Folge, dass weniger Menschen verhungern würden, weil wir mehr Nahrungsmittel produzieren könnten. Es würde auch bedeuten, dass weniger Menschen Regenwald roden und jede Fläche in Nutzland verwandeln würden. Das wiederum käme der Biodiversität zugute und würde auch bedeuten, dass wir weniger CO2 ausstoßen, weil wir weniger Wälder vernichten und niederbrennen und damit das CO2, das in diesen Wäldern lagert, freisetzen.
Nun müssen die produzierten Nahrungsmittel aber auch alle Menschen erreichen. Sie selbst haben gesagt, die Bekämpfung des Hungers sei zuvorderst ein ökonomisches Problem. Wie sieht also Ihr Weg zum Sozialismus aus?
(lacht) Ich bin nicht sicher, dass es ein Weg zum Sozialismus ist, aber es ist ein Weg zu einer gerechteren Welt. Das größte Problem überhaupt ist nicht, dass wir nicht genug Nahrungsmittel produzieren, sondern dass die armen Menschen es sich nicht leisten können, sie zu kaufen. Deshalb ist es zentral, sich dafür einzusetzen, dass wir billigere Lebensmittel haben – unter anderem, wie eben besprochen, durch mehr Produktivität –, aber auch dafür, dass Menschen in den Entwicklungsländern reich werden durch das, was sie produzieren. Und das sind eben oft landwirtschaftliche Produkte.
Also geht es darum, die Subventionierung der inneffizienten Agrarwirtschaft in Europa und den USA zu beenden. Diese Subventionen sind das größte Hindernis auf dem Weg zu einem freien und gerechten Handel. Europa und die USA wollen ihre Bauern schützen, aber die Entwicklungsländer werden ihre Märkte so nicht öffnen. Am Ende müssen wir doch dort Nahrungsmittel produzieren, wo wir das mit den geringsten Kosten tun können, und das sind oft die Entwicklungsländer. Also: Mehr Produktivität, geringere Kosten und ein höheres Einkommen für die Produzenten in den Entwicklungsländern, das ist es, was immer mehr Menschen in die Lage versetzen würde, sich Nahrung leisten zu können. Und das führt zu mehr Gerechtigkeit in der Welt.
Der Klimawandel wird auch Auswirkungen haben. Wer wird am meisten davon betroffen sein?
Definitv die Entwicklungsländer. Arme Menschen sind immer schlechter geschützt als reiche. Wenn ein Hurrikan Florida trifft, sterben sehr wenige Menschen, wenn er Zentralamerika trifft, sterben viele, einfach weil sie arm sind. Dazu kommt, dass viele arme Menschen schon jetzt ausgerechnet dort leben, wo es verdammt heiß ist. Wenn es wärmer wird, mag das für Kanada oder Russland günstig sein, aber für Somalia sicher nicht. Trotzdem sage ich: Wir müssen versuchen, langfristig den Klimawandel aufzuhalten, aber wenn wir den Menschen in den armen Ländern helfen wollen, dann gibt es jede Menge, was wir zuerst tun müssen. Wenn dein Kind heute Nacht an Mangelernährung stirbt, dann kümmert dich der Klimawandel in 100 Jahren wenig.
Okay, nehmen wir mal an, der Guardian hat recht und Sie sind wirklich einer von 50 Supermännern, die die Welt retten können, dann haben Sie doch sicher einen Rat für unsere Leserinnen und Leser, was sie tun können.
Ich wäre froh, sagen zu können, es gibt eine bestimmte Sache, die man tun muss. So werden politische Bewegungen geboren, wie zum Beispiel die Klimaschutzbewegung. Viele denken, sie müssen nur ihr Leben etwas ändern, sich ein Auto kaufen, das weniger Treibstoff verbraucht, oder etwas mehr Radfahren, dann können sie die Welt retten. Leider ist das, was sich gut anfühlt, nicht die Lösung. Die Lösung ist, sich auf technologische Innovationen zu konzentrieren, um zum Beispiel mehr Energie ohne CO2-Emmissionen produzieren zu können. Und das ist offensichtlich nichts, was Sie oder ich tun können. Das ist auch nicht sexy, nicht cool und verschafft uns kein gutes Gefühl. Meine Empfehlung ist: Was sie wirklich tun sollten, ist, aufzuhören, den Politikern mit ihren einfachen Erklärungen zu glauben. Sie haben uns erzählt, man müsse Kyoto umsetzen und Kyoto 2 und Kyoto 3. Aber alles ist komplett gescheitert. Einfach, weil man den Menschen nicht nahebringen kann, sehr viel Geld auszugeben und kaum Ergebnisse damit zu erzielen. Wir sollten Geld ausgeben für Dinge, die wirklich funktionieren, für die Erforschung und Entwicklung von grüner Energie und landwirtschaftlicher Produktivität.