Skandal in der veganen Szene

Wotan im Wunderland

Der Unternehmerin »Kim Wonderland«, die die vegane Szene mit Produkten beliefert, wurden Kontakte zu Rechten nachgesagt. Dennoch sollte gelten: Immer ganz genau hinsehen.

Der Begriff »Shitstorm« wurde im Februar zum »Anglizismus des Jahres 2011« gekrönt. Der Duden definiert das Phänomen als »Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internet, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht«. Auf der Social-Media-Marketing-Konferenz wurde in diesem Jahr eine Art Richterskala vorgestellt, mit der die Auswirkungen des Phänomens erfasst werden sollen. Der höchste Wert sechs steht für »Tonfall mehrheitlich aggressiv, beleidigend, bedrohend«.
Wer in sozialen Netzwerken aktiv ist, konnte Anfang dieses Monats erleben, wie man sich so etwas vorzustellen hat. Zielscheibe war Kim Kalkowski, besser bekannt als »Kim Vegan Wonderland«, eine Art Idol der veganen Szene. Vor einigen Jahren gründete die heute 27jährige ihre erfolgreichen Geschäfte »Vegan Wonderland« und »Vegan Wondercake«. Es dürfte kaum einen Veganer in Deutschland geben, der noch nichts bei ihr bestellt hat. Über die Jahre trat sie häufig im antifaschistischen Milieu auf, bekochte unter anderem diverse linke Veranstaltungen.

Nun erschüttert ein Skandal die Szene: Kim Kalkowski soll Verbindungen zu Neonazis unterhalten. Epizentrum des Bebens war die Nachrichtenplattform Indymedia, wo unter dem reißerischen Titel »Kein Weihnachtsfest für Kim ›Vegan Wonderland‹ Kalkowski!« scheinbar zahlreiche Belege dafür angeführt wurden, dass eine der Leitfiguren der veganen Szene Kontakte mit dem rechtsextremen Milieu unterhält. Untermauert wurde dieser Vorwurf mit Indizien, die ihrem Facebook-Account entstammen. Unter anderem handelt es sich um Fotos von verdächtigen Tattoos ihres Lebensgefährten und einiger offensichtlich rechts orientierter Personen in ihrer Freundesliste. Die Internetgemeinde trafen diese Vorwürfe unvorbereitet, doch das schmälerte nicht die ausgebrochene Hysterie: Schon wenige Stunden nach der Veröffentlichung war das Netz voller wüster Beschimpfungen und Beleidigungen, die einhergingen mit Boykottaufrufen und Drohungen. Immer ungeheuerlichere Anschuldigungen wurden erhoben: Kalkowski würde Nazis in ihren Geschäftsräumen begrüßen oder gar von einem rechten Anwalt Unterstützung erfahren.
Kurz darauf veröffentlichte die Beschuldigte dann eine erste Gegendarstellung, in der sie einigermaßen plausibel den Vorwürfen begegnete und, wichtiger noch, sich ausdrücklich von jeglichem rechten Gedankengut distanzierte. Doch die digitale Meute kannte keine Gnade, und noch in derselben Nacht wurden die bis dahin nicht ausgelebten Strafgelüste Realität: Unbekannte zerstörten das Schaufenster von Kalkowskis Geschäft »Cakes N’ Treats«.

Bis zu diesem Moment war Kim Kalkowski von den Urhebern der Vorwürfe nie die Möglichkeit eingeräumt worden, sich zum Sachverhalt zu äußern und die tatsächlich fragwürdigen Kontakte zu erklären. Außer der Musikzeitschrift Plastic Bomb machte sich auch in der linken Szene niemand die Mühe, Kalkowski persönlich mit den Vorwürfen zu konfrontieren.
Mit einem solchen Verständnis verkommt antifaschistische Recherchearbeit zur Effekthascherei, die auf reine Sensationslust setzt. Zweifellos gibt es einen berechtigten Anfangsverdacht, dass Kalkowski sich in einer Grauzone bewegt. Ihre jüngsten Ausführungen zeugen zumindest von einer grenzenlosen Naivität, vielleicht sogar einer gewissen Unbedarftheit im Hinblick auf Kontakte mit Rechten.
Dem sollte nicht mit unreflektierter Apologie begegnet werden, sondern in erster Linie mit Reflexion auf das eigene Handeln. Statt nur noch stumpfsinnig die »Teilen«-Funktion bei Facebook zu bedienen und so dem Ticketdenken Vorschub zu leisten, muss, gerade in Fällen, in denen die Quellenlage noch nicht eindeutig ist, bedacht werden, dass eine gefährliche Eigendynamik nicht ohne weiteres umkehrbar zu machen ist.