Dagmar Filter im Gespräch über neuen Feminismus und Selbstoptimierung

»Graues Kostüm, schlank, blond«

Der Zwang, sich den gesellschaftlichen und ökonomischen Anforderungen gemäß zuzurichten, ist auch im Feminismus angekommen. Suggeriert wird, es herrsche bereits Gleichberechtigung und jede Frau könne alles erreichen, wenn sie nur hart an sich arbeite. Die Jungle World sprach mit Dagmar Filter über »neuen« und »alten« Feminismus und den Unterschied zwischen Selbstbestimmung und Selbstoptimierung. Die 60jährige Feministin ist Leiterin des Zentrums Genderwissen an der Universität Hamburg und Mitherausgeberin des Bandes »›Bei mir bist du schön …‹. Kritische Reflexionen über Konzepte von Schönheit und Körperlichkeit«, in dem der Zugriff auf weibliche, aber auch männliche Körper kritisch untersucht wird.

In Ihrem Sammelband wird der »neue« sogenannte Popfeminismus, der in Büchern wie »Alphamädchen« oder »Neue deutsche Mädchen« propagiert wird, kritisiert, weil es angeblich nicht mehr um kollektive Kämpfe gehe, sondern um Strategien individuelle Anpassung an die gesellschaftlichen Zumutungen. Trifft das zu?

Das ist eine notwendige Entwicklung, die sich vollzogen hat, auch wenn wir Altfeministinnen das nicht immer sehen wollen. Die Gesellschaft hat sich stark verändert und erfordert neue Anpassungsstrategien, die subtiler sind als diejenigen, die noch vor 30 Jahren für die Analyse sichtbar waren. Da hatte man seine marxistische oder sozialistische Weltsicht, die sehr von Solidarität geprägt war, es gab eindeutige Feindbilder und klare Klassenkämpfe. Die Frauenbewegung damals war ja nicht isoliert. Heute haben wir neoliberale Verhältnisse, die verschleierte Ausbeutung mit sich bringen. Die Anpassungsstrategien sind differenzierter und subtiler geworden. Sie kommen zwar knalliger daher, aber sind auch isoliert und individuell.
Damals war zum Beispiel der Slogan »Mein Bauch gehört mir« eine ganz klare Ansage gegen den Paragraphen 218. Es ging um das Selbstbestimmungsrecht, um die Frage: Wann, wie, wo und warum treibe ich ab? Was steckt als gesellschaftliches Herrschaftsinstrument dahinter, dass Frauen gezwungen werden, Kinder zu bekommen? Die Familienpolitik und das Frauenbild wurden indirekt kritisiert. Da kamen viele Stränge der Kritik zusammen, aber gemeint war der Slogan zunächst als Mittel um politisch in die Öffentlichkeit zu Gehen. Darüber hinaus ging es um die psychosoziale Zurichtung, weniger um das Schönheitsideal, sondern die Frage, wie wird der Körper behandelt, was ist »Frauengesundheit«, wird das überhaupt geschlechterspezifisch erhoben? Letzteres ist ein wichtiges Thema geworden, aber heute geht es nur noch um die Zurichtung des weiblichen Körpers gemäß der Schönheitskonzepte.

Es geht also nicht mehr um Selbstbestimmung, sondern um Selbstoptimierung. Gibt es zwischen beiden einen Zusammenhang oder fließende Übergänge?

Ich glaube nicht, dass das fließende Übergänge sind. Das trifft bestimmte privilegierte Schichten: Hinter der Selbstoptimierung steckt die Angst, diese Privilegien zu verlieren. Natürlich gibt es über die Medien transportierte Bilder von Geschlechtlichkeit, Heterosexualität, der attraktiven Frau, etc., das ist aber keine zwangsläufige Entwicklung aus der Frauenbewegung heraus, sondern es geschieht, weil die Gesellschaft sich verändert hat und das Äußere immer stärker in den Vordergrund gerückt wird. Es geht nicht mehr darum, was du denkst und wofür du einstehst als authentische Person, sondern um die Fragen »Wie siehst du aus, was bietest du, welche Noten und Nachweise hast du und wie kannst du dich selbst gut in das System einpassen?«

Aber wo fängt das an? Wenn ich zum Beispiel studiere, um einen höheren Abschluss zu haben und konkurrenzfähiger zu sein, ist das dann schon Selbstoptimierung? Es ist doch gut, wenn Frauen höhere Abschlüsse anstreben.

Es spricht ja nichts dagegen, dass sie das tun. In unserer Gesellschaft ist das fast eine notwendige Voraussetzung, um an dieser weiter teilzuhaben. Aber ich muss mir klarmachen, dass ich mich auf einem privilegierten Weg befinde. Diesen Lebensentwurf unkritisch allen Frauen überzustülpen, ohne zu sehen, dass da einige Frauen rausfallen, die ganz andere Bildungshintergründe haben, aus anderen Kulturkreisen kommen, arm sind und in dieser Gesellschaft ausgebeutet werden durch dieses System, in dem ich so gerne funktionieren möchte, kann weder feministisch noch politisch unser Ziel sein.

Hat der Druck auf Frauen, neben der richtigen Ausbildung und Karriere auch noch ein tadelloses Aussehen zu haben, mit der stärkeren öffentlichen Präsenz und dem Aufstieg von Frauen in Führungspositionen zugenommen?

Ja, ich glaube schon. Ich habe hier in der Nachbarschaft ein Career Center von der Universität Hamburg und ich sehe mir öfter die Broschüren an, die von der Politik und der Industrie finanziert werden. Wie wird an die jungen Frauen appelliert, den Karrieresprung zu wagen? Die Bilder folgen fast immer dem gleichen Schema: graues Kostüm, schlank, blond. Die Frauen sehen irgendwie nett aus, aber einheitlich und austauschbar. Es ist erstaunlich, dass immer wieder damit geworben wird. Ich denke, junge Frauen müssten das auch mal sehen und kritisieren und den Mut haben, so aufzutreten, wie sie sind. Die Erfahrung habe ich auch in einigen Gremien gemacht. Wenn Frauen vollkommen aus dem Raster fallen, aber dabei authentisch wirken, hört man ihnen genauso zu oder vielleicht sogar eher.

Das ist also auch möglich.

Ja. Das wird verschwiegen. Es wird so getan, als ob es nur über diesen engen Zugang geht: einer bestimmten Mode zu folgen, entsprechend auszusehen, eine bestimmte Sprache zu sprechen. Frauen trainieren ja alles, bis hin zu ihrer Gestik und Stimme, die darf nicht zu hoch sein, weil das Männer abstößt. Was die da für einen Schwachsinn veranstalten, nur um im Assessment Center auf einen Platz oder ins Einladungsgespräch zu kommen! Das ist eine der großen Mythen, auf die Frauen größtenteils reinfallen, weil ihnen auf der anderen Seite auch zu wenig geboten wird.

Inwieweit wirkt sich der Zwang zur Selbstoptimierung unterschiedlich auf die Geschlechter aus?

Männer sind auch immer stärker davon betroffen. Wenn ich sehe, wie viele Schönheitsprodukte für Männer auf dem Markt sind, wie in den Männermagazinen bestimmte Körperbilder vorgegeben werden. Der erfolgreiche Mann ist genauso schlank, dynamisch und gesund und pflegt seinen Körper. Der Kapitalismus erschließt sich immer neue Märkte. Genauso in der Gesundheit. Es gibt jetzt viele Angebote für Männer und ihre Gesundheit und für Kinder genauso. Differenz darf nicht sein, es muss alles normiert und zugerichtet sein auf ein gesellschaftlich verhandeltes Maß.

Der Diskurs über Gesundheit scheint nicht von dem über die Normierung der Körper zu trennen sein. Wie kann man es trotzdem schaffen, dass Gesundheit und Wohlfühlen positiv zusammenkommen?

Wir müssen sehen, auf welcher Ebene das besprochen wird. Wenn ich den Körper nur als Material sehe, ist es das eine. Aber wir sind ja auch Seele und Geist. In Yoga- und Qi-Gong-Kursen sehe ich überwiegend Frauen. Die sagen, sie machen das aus Gesundheitsgründen, aber auch um sich wohlzufühlen, unabhängig davon, was sie anhaben oder wie sie aussehen. Also, diese Bewegung gibt es auch. Ich denke, jede Frau muss für sich entscheiden können und dürfen, wie sie sich wohlfühlt. Ob mit Schönheitsoperation oder nicht.

Schönheitsoperationen wären für Sie als Form der Selbstoptimierung also auch akzeptabel?

Für mich ist das okay, wenn die Frau das unbedingt will. Ich kann die andere Frau nicht zwingen, es nicht zu tun. Für mich selbst ist das nichts. Ich möchte meinen Körper, wie er gegeben ist, und damit alt werden. So dass ich mir innerlich genüge, nicht irgendeiner Norm genügen muss, so dass ich mich innerlich wohlfühle …

Dann ist das nur eine Frage der inneren Einstellung, zu lernen mit dem Druck von außen umzugehen?

Das ist natürlich ein Prozess. Bei jungen Frauen ist das extremer. Wir haben ja auch Lebenserfahrung, wenn wir älter sind. Viele ältere Frauen und Frauen mittleren Alters gehen solchen Einstellungen später nach und sagen: »Was habe ich mich da gequält 20 Jahre lang in einer Maske, in der ich mich eigentlich nicht wohl gefühlt habe? Jetzt mache ich es anders.« Aber wie komme ich zu diesem Selbstbewusstsein? Da hilft mir nichts von außen. Das muss ich aus meiner Lebenserfahrung entwickeln können. Die Zurichtung des Lebendigen hat eine lange Tradition. Seit es Bürgertum und Kapitalismus gibt, gibt es diesen Zwang zur Perfektion und zu einer künstlichen zweiten Natur.

Wie kann man Solidarität zwischen denjenigen schaffen, die an den Geschlechterzuschreibungen leiden?

Da bin ich überfragt. Es gibt ja viele Ausdifferenzierungen und Zielgruppen. Es existieren fast Parallelwelten: Die reiche Frau in Eppendorf, einem noblen Stadtteil in Hamburg, und ihr Kindermädchen mit Migrationshintergrund haben nichts miteinander zu tun. Wie erreicht man die?
Wir machen hier Projekte mit Frauen, bei denen es um den eigenen Selbstwert geht. Was ist euch wichtig, wo steckt die Selbstbestimmung, das Freiwerden darin? Das fängt ganz banal damit an, mal ein eigenes Zimmer zu haben, alleine rauszugehen, was anderes zu lesen, sich darüber zu informieren, dass es Frauengeschichte gibt und Frauen, die ganz anders waren und andere Vorbilder hatten.
Mir ist es bei der Arbeit mit Frauen wichtig, dass wir eine gemeinsame Geschichte finden und die Konkurrenz von Frauen untereinander abbauen. Nicht immer zu sagen, die anderen sind die Doofen oder ewig Gestrigen oder kapieren nicht, wohin Frauenbewegung und Feminismus gehen.