Ulrich Seidls Film über weiblichen Sextourismus

Körper von Gewicht

Weiße Frauen, die Liebe und Anerkennung suchen, schwarze Männer, die der Armut entkommen wollen: Ulrich Seidls Film »­Paradies: Liebe« zeigt die Widersprüche des Sextourismus.

»Jamba« und »Hakuna Matata« blökt die weiße Touristengruppe auf Anweisung des gutgelaunten schwarzen Guides, »Hallo« und »Kein Problem«. Einige Szenen später läuft der Sprachunterricht in die andere Richtung. Teresa (Margarethe Tiesel), Hauptfigur in Ulrich Seidls neuem Film »Paradies: Liebe«, und eine ihrer krachigen Urlaubsfreundinnen sitzen an der Bar des kenianischen Hotelkomplexes. Der Barkeeper soll »Speckschwarte« und österreichische Mundartwörter wie »Blunzengröstl« nachsprechen. Erwartungsgemäß sind seine Versuche unsicher und wenig erfolgreich, was die beiden Frauen zu hysterischen Lachanfällen treibt. Dass ältere, weiße Frauen jüngeren, schwarzen Männern sagen, was sie zu tun haben, kommt in »Paradies: Liebe« wiederholt vor und reicht von sanfter Bevormundung über herrisches Gebaren bis zur detaillierten Anleitung zu körperlichen Berührungen. Doch was in diesem Moment nach einer etwas grellen Inszenierung neokolonialer Machtverhältnisse aussieht – hier die weißen Touristinnen mit ihrem Spaß am Vorführen, dort der ausgelieferte dressierte Schwarze –, erscheint sich schon wenig später weitaus ambivalenter. Denn allzu viel Überheblichkeit können sich Teresa und die Horde von Frauen, deren Bekanntschaft sie an dem afrikanischen Ferienort macht, schlichtweg nicht leisten: Sie sind allesamt um die 50, erheblich aus der Form geraten und sexuell ausgehungert. So wie Teresa, die zu Hause in Wien allein eine apathische Teenagertochter großzieht und sich mit ihrem Platz außerhalb der Begehrensökonomie nicht abfinden mag. Zunächst macht sie der Gedanke, auf eines der zahlreichen Angebote am Strand einzugehen, noch etwas verlegen. Ob sie denn irgendetwas beachten müsse, fragt sie Inge (Inge Maux), ihre rastalockige, in der Rolle einer Sugarmama bereits erfahrene Freundin, die ihr sogleich versichert, die »Neger« nähmen sie so, wie sie sei, nicht mal das »Bammerl« müsse sie für die Männer hier abrasieren. Tatsächlich aber macht ihre Bedürftigkeit sie extrem angreifbar bei ihren sextouristischen Unternehmungen. Zu beachten ist nichts weniger als die Regeln des Tauschs.
»Ich investiere, das lohnt sich«, sagt Inge voller Besitzerstolz, als sie Teresa ihren gutgebauten Beachboy samt seines neuen, von ihr finanzierten Mofa vorstellt. Sie hat das Tauschsystem begriffen, während Teresa ihre Vorstellung von romantischer Liebe zunächst noch nicht aufgeben will. Bei ihrem ersten Date flüchtet sie panisch aus dem Hotel, ihr Bewerber (Gabriel Mwarua) neigt derart zu Overacting, dass selbst Teresa an der Glaubwürdigkeit seiner Performance zweifelt. Erst der in sich ruhende Munga (Peter Kazungu), der vorgibt, sie am Strand vor aufdringlichen Verkäufern zu beschützen, ist die ideale Projektionsfläche für ihre Sehnsüchte. Munga schlendert mit ihr Händchenhaltend durch die Gegend (»It’s love, no money«), und selbst wenn seine Reaktionen auf ihren alternden Körper etwas gleichgültig ausfallen, gibt sich Teresa der Illusion hin, Teil einer Liebesgeschichte zu sein. Als ihr die Realiät dieser Beziehung ungeschönt offenbart wird, reagiert sie wie eine gekränkte Geliebte. Die Erkenntnis, gar nicht gemeint gewesen zu sein, lässt sie zynisch werden.
Wie immer arbeitet Seidl mit einem Ensemble aus professionellen Schauspielern und Laiendarstellern. Letztere bestreiten ihren Lebensunterhalt tatsächlich als Beachboys an Kenias Stränden. Ihre Sicht auf den Sextourismus ist nicht Thema des Films, wobei Seidl ihnen dennoch einen eigenen, wenn auch begrenzten Raum zugesteht: Wenn Munga etwa nach der »Liebesnacht« fürsorglich das Moskitonetz um die schlafende Teresa ausbreitet und anschließend allein einen Joint im Halbdunkeln raucht, öffnet sich der Film einen Moment lang für ihre Perspektive, die von Traurigkeit über Leere bis hin zu Entspanntheit alles beinhaltet. Wiederholt bricht Seidl die Authentizität der Darstellung aber auch durch distanzierende Momente, etwa in den Barszenen, die wie bitterböse Comedy-Nummern wirken, oder auch in den höchst stilisierten Tableaus. Ganz am Anfang werden die Asymmetrien der postkolonialen Ordnung in einer präzise kadrierten Totalen eingefangen. Sie zeigt den durch eine Kordel aufgeteilten Strand. Auf der einen Seite liegt der bewachte Hotelbereich, wo Touristinnen in der Sonne braten, auf der anderen der Bereich der Beachboys, die vor der Demarkationslinie in Erwartung des nächsten Geschäfts verharren.
»Paradies: Liebe« ist der erste Teil einer Trilogie, ihm werden die Filme »Paradies: Glaube« und »Paradies: Hoffnung« folgen, wobei sich hinter den vermeintlichen Paradiesen wahre Höllen verbergen, in die hineinzusehen nicht angenehm und mitunter verstörend ist. So führt Seidl das Tauschgeschäft in all seinen Aspekten vor: das scheinromantische Umwerben der Urlauberinnen und die dahinter stehende Illusionsarbeit wie auch die immer gleichen, auf den ersten Sex unmittelbar folgenden Erzählungen von kranken Schwestern, Onkeln und Vätern, hinter denen sich Honorarforderungen verbergen. Es ist eine Form der Prostitution, deren rituellem Ablauf der Film durchaus auch komische Seiten abzugewinnen vermag.
Für Seidl ist die Darstellung des weiblichen Sextourismus auch ein Mittel, um von den unerfüllten Sehnsüchten älterer Frauen zu erzählen, die in einer durch normative Körperbilder bestimmten Gesellschaft nichts gelten. So abgebrüht und verächtlich Teresa und ihre Freundinnen gegen Ende des Films auch den Warenverkehr abwickeln: Seidl zeigt Verständnis für ihre Verzweiflung. Die Art und Weise, wie er ihre fülligen nackten Körper in Szene setzt, ist sicherlich stärker dem Widerstand gegen herrschende Körpernormen verpflichtet, als dass er reine Bloßstellung betriebe. Dennoch spielt der Filmemacher mit den Reflexen, die durch die Reproduktion von Voyeurismus und Ausbeutung ausgelöst werden. Diese Ambivalenzen machen »Paradies: Liebe« so anstrengend.
Die Schwächen des Films liegen allerdings weniger in den Überschreitungen selbst als in ihrer Forciertheit. Mitunter überzeichnet Seidl die plumpen Entgleisungen der Touristinnen so deutlich, dass kaum etwas anderes entstehen kann als quälende Selbstentblößung, Demütigung und Verwerfung. Vor allem aus der sehr langen und unfassbar deprimierenden Schlussszene können beide Seiten nur beschädigt hervorgehen. Zum Geburtstag von Teresa haben die drei Freundinnen ihr einen Boy aufs Hotelzimmer bestellt, er ist jünger als die Männer vom Strand, fast noch kindlich. Sein Striptease hat etwas Unschuldiges, was sein Gegenüber noch monströser erscheinen lässt. Als der junge Schwarze nicht abliefert, was bestellt war, eine Erektion, werden die Bemühungen der Frauen immer wüster und roher. Doch ihre Erniedrigungen und ihre Verachtung fallen auf sie selbst und ihre eigenen Körper zurück.

»Paradies: Liebe« (A/D/F 2012). Regie: Ulrich Seidl. Buch: Veronika Franz/Ulrich Seidl. Start: 3. Januar