Karl kommt in die Psychiatrie

Pimp mich!

Die Geschichte von Karl, der mit komischen Kopfschmerzen zum Arzt geht und in die Psychiatrie kommt.

Auauau! Karl hat mal richtig dolle Kopfschmerzen. Eigentlich kann das Gehirn nicht weh tun. Eigentlich. Doch die dicken grauen Würste winden sich wie unter Strom und verströmen üble Gerüche. Alle abgelegten Infos reden wild durcheinander, die Eltern, der Geschichtsunterricht, die »Sendung mit der Maus«-Maus, wie man sich eine Hose anzieht, plapperplapperplapper. Freundin weg, Job weg, Wohnung weg, schlechtes Buch geschrieben, im Lotto nix ­gewonnen, manchmal kommt es ganz dicke. »Der T-1000 verfolgt mich«, schreit Karl. »Ich bin doch Filmkritiker.«
»Hm, flüssiges Metall, Telepathie, Morphing-Effekte – der aus ›Terminator 2‹, was? Mensch da hamse sich ja wat einjefangn«, weiß Doktor Samstag-Sonntag, Karls Vertrauenspsychiater, der jetzt eine Vollzeitstelle hat. »Ich sach mal: Burn-out. Ab in die Klinik, eine Woche Krisenstation. Es besteht Lebensgefahr!«
»Der Typ kam mir letztens schon nicht ganz stabil vor«, weiß auch Zeichner Bo Soremsky, der diese Geschichte hier illustriert und Karl schon von der letzten Story aus Jungle World 52/2009 her kennt.
»Oh nee, nicht wieder Krise«, sagt Karl zu Bo und Dr. Wochenende. »Überall ist Krise – Griechenland, Spanien, Euro ...«
»Ich seh’ schon, Sie brauchen mal etwas Abwechslung«, sagt der Arzt. »Sie kommen in die geschlossene Psychiatrie. Da fahren wir jetzt ganz andere Programme.«
Der Hintergrund: Bisher war man so lange psychisch krank, wie die Mediziner das für angebracht hielten. Jetzt aber wurden auch für Verrückte Fallpauschalen von der Krankenkasse eingeführt. Das bedeutet: Neuaufnahmen bringen der Klinik eine Menge Geld. Mit längerer Verweildauer lohnt es sich aber immer weniger. Also müssen die Krankenhäuser die Patienten etwas schneller zusammenflicken, damit sich der ganze Laden rentiert. Und deswegen …
»… heißen wir Sie ganz herzlich willkommen in unserer Drehtür-Abteilung, Herr Kuschel«, sagt Dr. Bona-Parte, der in der Geschlossenen den Hut aufhat. Dabei steckt er sich eine Hand in den Kittel, so in Brusthöhe. Zusatzinfo: »Die Drehtür haben wir natürlich mit einem Bolzen gesichert, die dreht sich derzeit nur nach innen.«
Nach der üblichen Einstellung auf Hardcore-Psychopharmaka – immer noch der Königstiger der inneren Unternehmensberatung – wird Karl in den Klinikablauf integriert. Das Ziel: die Selbstheilungskräfte aktivieren. Motto: Pimp dein Ich.
Gruppensitzung. »Guten Tag, mein Name ist Müriam Mückel, ich bin für die nächsten Tage ihre Selbstheilungslehrerin. Mein Name dürfte Ihnen ja noch aus Funk, Fernsehen und sozialen Netzwerken bekannt sein. Ich bin die mit dem Burn-out vom Arbeiten, das ich umgehend in einem total emotional intensiven Buch verarbeitet habe.« Das perlende Lachen einer gut gelaunten 45jährigen ertönt. Bei Mückel soll man lernen, wie man sich selber aus dem Psychosumpf zieht. Selbstoptimierung heißt das Stichwort der Zeit. Denn alle positiven Anlagen sind schon in einem drin. Jetzt geht es darum, sich mit den eigenen Organen anzufreunden, zum Beispiel dem Gehirn, das man öfters mal defragmentieren und dann formatieren sollte. »Geht bei mir nicht«, sagt Karl. »Ich hab doch ein Apple-Hirn.«
»McHirn – gutes Stichwort«, hallt es durch den Raum. Mückel: »Die meisten Menschen glauben, sie kommen ohne Aufwand voran. Aber: Wenn Sie Ihre Probleme immer auf andere schieben, nehmen Sie sich die Möglichkeit, die Dinge hin zum Positiven zu verändern. Also: Machen Sie sich für alles selbst verantwortlich.«
»Gar nicht so doof«, denkt Karl. »Die Natur bessert ja auch dauernd nach. Erst war der Urbums. Dann Sternensuppe, Schlackehaufen. Tier, das aus dem Wasser kriecht. Riesenechsen, Bio frisst Bio. Kometeneinschlag. Ratte, Affe, Filipferd. Jesus, Buchdruck, Karl Liebknecht, Micky Maus. Haben meine Vorfahren alles erlebt und überstanden. 20 Milliarden Jahre alles gutgegangen. Wenn ich nun ein bisschen schlappmache, muss ich nur ein wenig an den inneren Einstellungen drehen.«
»Was der Personal Software Process für Einzeller, das ist ganzheitliches Mind Mapping für unsereins«, ergänzt Karls verfolgungswahngestählte Psychose.
Im Internet schaut Karl nach »Selbstoptimierung«, obwohl Surfen in der Sitzung verboten ist. »Selbstoptimierende Laserschneidmaschine« kommt da mit als erstes. »Na, das klingt doch richtig gut. Die dürfte sogar gegen den T-1000 helfen.«
»Genau«, sagt die Mückel. »Evolution, baby!«
»Neuroenhancement, cognitive and performance enhancement, braindoping, brainboost, smart drugs. Der Mensch entwirft ein besseres Bild von sich und der Natur und versucht auf der Grundlage normativer Entscheidungen die Entwicklung der Ordnung auf dieses Ziel hin zu gestalten«, kommentiert die paranoide Wahnvorstellung.
Selbstselbstselbst, das steht hier ganz oben. Wie in Selbstbeschäftigung.
»Ergotherapie – ein gutes Stichwort. Danke«, sagt jetzt die Mückel, schaut schnell in ihr iPhone, obwohl das verboten ist, aber wenn’s alle machen, und checkt Wichtigpedia. »Ergotherapie leitet sich von dem griechischen Wort ergon für Werk, Arbeit bzw. therapeía von Dienst, Behandlung, ab«, referiert die taffe Geschäfts- und Medienfrau. Und setzt hinzu: »Versichern heißt verstehen. Ja, diese Therapieform wird jetzt von einer Versicherung gesponsert, man muss ja auch ans Geld denken. Das ist die neue soziale Marktwirtschaft. Was man braucht, ist Erfolgsintelligenz. Wer erfolgreich ist, bleibt authentisch. Wer begeistert seinen Weg geht, der erntet die Liebe seines beruflichen und privaten Umfelds. Dazu werden benötigt: Eins mit sich sein. Selbstvertrauen stärken. Sich selbst besser verstehen. Anerzogene Reaktionen überdenken. Sich selbst fördern. Sich selbst anerkennen. Sich mit Schwächen aussöhnen. Sich selbst wertschätzen. Vorprogrammiertes überschreiben. Das richtige Zeitmanagement (www.zehn.de/die-10-besten-tipps-zur-selbstoptimierung- 76611-0). Medikamente nimmt man nur am Anfang. Wer möchte dazu etwas sagen?«
»Wie machen Sie das bloß, dass man beim Reden die Internet-Links hört? Übrigens: Work-Life-Balance heißt das – das sollte man als Schulfach lehren«, sagt Frau Tolle, die im bürgerlichen Leben Gender-Mainstreaming-Beauftragte der Fußball-Bundesliga ist. Ganz schön Prominenz versammelt hier. »Früher gab es nichts zu balancieren«, setzt sie hinzu. »Aber mit dem ganzen Konkurrenzdenken ist das immer präsent. Auch die Individuen stehen im globalen Wettbewerb miteinander.«
»Ich finde mich selbst nicht immer optimal, Kolenda mein Name«, sagt Dieter.
»Der aus ›Didi & Stulle‹?«, fragt Frau Tolle. »Jetzt landen hier schon die Comic-Figuren. Für ihren heutigen Auftritt hätten Sie sich aber schon mal eine andere Jogginghose anziehen können. Ach, schauen Sie: Da draußen steht ja auch Ihr Freund, der mit dem Handschuh auf dem Kopf.«
»Ich fühle mich wohl mit euch, das ist ein offenes System hier«, sagt nun Shiva, die sich auf einer Tantra-Yoga-Himmelbett-Matte herumräkelt.
»Mensch, du hast ja vier Arme«, staunt Kolenda.
»Total praktisch«, antwortet die flotte Inderin. »Man findet immer eine Vene für die Spritze und kann dann trotzdem weiterspülen oder auch ein Buch lesen. Aber wie wir alle hier komme ich manchmal etwas durcheinander.«
»Wie geht es Ihnen damit, Herr Kuschel?« fragt Mückel.
»Selbstmitgefühl. Selbstmitleid«, sagt Karl. »Selbstbewusstsein. Selbsthilfegruppe. Selbstbefriedigung. Selbstversorgung, -vergessen, -verbesserung, -vervollkommnung, -überschätzung. Ich finde: Das Selbst ist sehr sozial, meist kommt es in Verbindung mit anderem vor.«
Wie es geht? Schon erheblich besser. Die Google-Einschläge kommen zwar immer näher, aber der T-1000 macht immerhin ein Nickerchen. Wie soll man sagen: So eine Persönlichkeitsstörung stört einen ja auch, tja: selbst.
Die »Sendung mit der Maus«-Maus sagt in Karls Kopf hinein (mit der Stimme von Gala­driel/Cate Blanchett in »Herr der Ringe«): »Karl, denk’ nicht immer nur an dich. Und immer nur maximieren. Da ist doch klar, dass du Tabletten, Sport und Sex brauchst. Das ist aber noch lange kein richtiger Behandlungserfolg.« Du solltest langfristig denken, um glücklicher werden, das Ziel ist doch ein erfülltes Leben.« Dabei klicken ihre Augenlider, als seien sie aus Holz. Irgendwo trompetet ein kleiner Elefant.
Karl hört aufmerksam zu und antwortet dann – es ist ihm klar, dass er ein Selbstgespräch führt, aber um ihn herum reden ja auch alle mit ihren Handys: »Mein Selbst ist noch viel zu groß. Wichtig ist jetzt die Selbstminimierung. Wenn ich mich ganz klein mache, kann ich mich unter dem Sofa verstecken. Dann schrumpf’ ich auch die Probleme weg. Griechenland sollte das auch so machen. Kaum habe ich diesen tollen Lernfortschritt gemacht, zwickt die Schizophrenie nicht mehr gar so, die Kopfschmerzen sind weg, der Mann aus flüssigem Metall ist verdampft.«
Frau Mückel sagt: »Sie sind geheilt, wie schön.« Dann erklärt sie in die Kamera: »Motivation stammt vom lateinischen Wort ›movere‹, was übersetzt so viel bedeutet wie ›bewegen‹. Und genau darin sehe ich meine Haupttätigkeit: Die Menschen dazu zu bewegen, sich auf ihre Wünsche, Träume und Ziele hinzubewegen, und auf der anderen Seite ihre Ängste, ihre Probleme, ihre Krisen anzupacken und zu lösen. Die Bedürfnisse fallen dabei bei jedem Menschen unterschiedlich aus: Der eine möchte mehr Selbstbewusstsein aufbauen; ein anderer möchte lernen, frei und ohne Hemmungen vor Menschen sprechen zu können, oder im beruflichen bzw. geschäftlichen Lebensbereich mehr Erfolg zu haben, etc. Wer aber glaubt, er kommt zu mir, und ich motiviere ihn, den muss ich enttäuschen: Jeder Mensch kann sich nur selber motivieren. Zitat Ende, Jürgen Höller, Motivationsgenie.«
Sie nimmt die Jacke vom Stuhl und zieht sie an. Die beiden Arme sind verknotet und zusammengenäht. »Kann mir mal jemand den Reißverschluss zumachen?«
Auf dem Gang Schlurfparade. Halperidol. Frau Tolle ruft: »Oh, ist das schön. Schöner als jede Tablette.«
Abendrunde. Doktor Wochenende: »Jetzt sagen wir mal ganz laut: Ich.«
»Moi.«
»I.«
»Yo.«
»Ego.«
»Ben.«
»Icke. Wie in ›Ick bringma um‹. SELBST-Mord.«
»Das heißt aber jetzt Suizid.«