Die Verfilmung eines »Jack Reacher«-Romans ist nicht einfach

Size Does Not Matter

Jack Reacher ist der größte Held, den das Pulp-Genre derzeit zu bieten hat. Ist Tom Cruise dieser Rolle gewachsen? Die Fans der Buchreihe waren von Anfang an skeptisch. Zu Recht, wie sich jetzt zeigt. Aber die Probleme der Verfilmung haben nichts mit den Körpermaßen des Hauptdarstellers zu tun.

Die Kamera fährt mit Engelsgeduld in die Stadt Pittsburgh, Schauplatz des Films »Jack Reacher«. Sie zieht vorbei an Brücken, Häusern, Geschäften und Bürotürmen. Ein Sniper lädt sein Gewehr und drückt ab, sechs Mal, und erschießt fünf Menschen aus der Distanz, über den Fluss.
Schnitt. Ein Einsatzteam der Polizei stürmt ein Haus, verhaftet einen schlafenden Mann. Als der Mann verhört wird, verlangt er nur eines: »Holt Jack Reacher!« Diesen Satz schreibt er auf ein Blatt Papier. Kurz darauf wird er im Polizeitransporter, der ihn ins Gefängnis bringen soll, brutal zusammengeschlagen, er kann keine Aussage mehr machen und so nichts zur Lösung des Falls beitragen. James Barr (Joseph Sikora) liegt fortan im Koma. An seinem Krankenbett trifft der Staatsanwalt Alex Rodin (Richard Jenkins), der Barr schnellstmöglich für die Tat verurteilen möchte, auf seine eigene Tochter Helen (Rosamund Pike), die den im Koma Liegenden als Anwältin verteidigen wird.
In den ersten Minuten des Films sieht es noch so aus, als seien die Bedenken, die die Fans der Pulp-Reihe hatten, unnötig gewesen. Es scheint, als könne die filmische Adaption des Romans des britischen Autors Lee Child, »One Shot«, gelingen. Die Hauptfigur ist der ehemalige Militärpolizist Jack Reacher, der als Serienheld in allen Büchern der Pulp-Reihe auftaucht. Wenn Tom Cruise als Jack Reacher die Szenerie betritt, fangen die Probleme an.
Zentralorgan einer Kampagne gegen die Besetzung der Rolle mit Cruise war die Facebook-Gruppe »Tom Cruise is not Jack Reacher«, die vor allem in der US-amerikanischen Berichterstattung über den Film immer wieder zitiert wird und die es sogar in die New York Times geschafft hat. Jack Reacher, so wurde argumentiert, zeichne sich vor allem durch seine Körpergröße aus, da könne der kleine, drahtige Tom Cruise nicht mithalten. 196 Zentimeter Körpergröße und durchschnittlich 120 Kilo Gewicht lassen sich auch im Film nicht ohne weiteres herbeischwindeln. Wesentlich massigere, größere und kantigere Schauspieler wie Hugh Jackman, Gerard Butler und der Seriendarsteller Ray Stevenson schienen der Gruppe geeigneter, den Ermittler zu verkörpern.
Der Schöpfer der Serienfigur, Lee Child, war hingegen von Anfang an ein Befürworter der Verfilmung und versuchte, die Bedenken der Fans zu zerstreuen. Nicht nur an der Casting-Entscheidung, auch an der filmischen Umsetzung hat er nichts auszusetzen. Vielleicht, weil er als TV-Produzent von englischen Erfolgsserien wie »Brideshead Revisited« und »Prime Suspect« gelernt hat, dass das, was auf dem Papier steht, niemals genauso auf dem Bildschirm stattfinden wird. Als das ITV-Network, zu dessen Sendern auch die BBC-Kanäle gehören, Child 1996 kündigte, entschied er sich, Thrillerautor zu werden, und erfand »Jack Reacher«, die vielleicht großartigste Pulp-Reihe der Gegenwart.
»One Shot« ist der neunte der mittlerweile 17 Bände umfassenden Reihe. Lee Child veröffentlicht fast jährlich einen neuen Band. Der erste, »Killing Floor«, erschien 1997, der bislang letzte, »A Wanted Man«, in diesem Jahr. In fast jedem Band landet der ehemaliger Officer der US-Army in einer anderen amerikanischen Stadt. Zwei Bände sind Prequel-Bände und ­erzählen von Reachers Vergangenheit als Militärermittler. Die einzelnen Bände sind so angelegt, dass man sie nicht unbedingt chronologisch lesen muss. Immer reist Reacher mit leichtem Gepäck. Er hat lediglich eine Klappzahnbürste und – seit 9/11 – einen Ausweis dabei. Alle drei bis vier Tage kauft der pragmatische Held neue Kleidung und entledigt sich der alten Garnitur. Er lebt von seinen Ersparnissen, einer kleinen Rente, Gelegenheitsjobs und dem Geld, das er überführten Verbrechern abnimmt.
Der Band »One Shot« eignet sich für die Verfilmung, weil Reacher hier klassische Ermittlungsarbeit leistet. Er beschattet oft und wird selbst ebenfalls oft beschattet. Nach und nach versucht er herauszufinden, warum Barr gerade ihn gerufen hat, denn Reacher ist kein alter Freund oder Verbündeter des Angeklagten. Er hatte den Sniper in seiner Funktion als Militärpolizist in der Vergangenheit einer ganz ähnlichen Tat überführt wie jener, die in Pittsburgh verübt worden ist. Der Gerechtigkeitsfanatiker Reacher konnte ihn damals jedoch nicht vor Gericht bringen und hat ihm mit dem Tod gedroht, sollte so etwas noch einmal passieren.
»Jack Reacher« ist der zweite Spiefilm von Regisseur Christopher McQuarrie. Sein Debütfilm »The Way of the Gun« blieb 2000 relativ unbeachtet. Die Karriere dürfte jetzt aber Fahrt aufnehmen, denn Tom Cruise hat McQuarrie bereits für den sechsten Teil von »Mission Impossible« verpflichtet.
Das Hauptproblem ist, dass McQuarrie kaum ein geeignetes filmisches Mittel findet, um die Erzähltechniken von Lee Child zu übersetzen. Die Ermittlungsarbeit, die der logisch kombinierende Reacher leistet, findet vor allem in seinem Kopf statt – im Film wird das mit einer Stimme aus dem Off inszeniert, wie man sie aus dem Film Noir kennt. Die körperlichen Aktionen werden von Reacher mit größter Präzision ausgeführt und vom Autor mit noch größerer Präzision beschrieben. Vor allem die zentralen Kampfszenen des Buches lassen sich nicht ohne weiteres verfilmen. Während sie im Buch in aller Genauigkeit geschildert werden, unterscheiden sie sich im Film kaum von Szenen anderer Actionfilme. Da helfen auch McQuarries Versuche der Entschleunigung wenig, mit denen er der Vorlage nahekommen will.
Was dem Film außerdem fehlt, ist eine gesellschaftskritische Perspektive. Im Buch wird auf Amerika geschaut. Reacher, der auf verschiedenen Militärbasen aufgewachsen ist und später ebenfalls im Dienst der Army überall auf der Welt, aber kaum in den USA gearbeitet hat, besichtigt das Land, das er bisher verteidigt hat. Und er genießt das Postkarten-Amerika in vollen Zügen. Seine regelmäßigen kalorien- und fetthaltigen Mahlzeiten nimmt er in Diners ein, am Ende der Geschichten besteigt er den Greyhound-Bus und landet in einer anderen Stadt, in einer ihm fremden Gegend, die er bisher nur als Schulbüchern und Filmen kennt. Während der literarische Reacher die USA zum ersten Mal besichtigt und das Land mit dem Sehnsuchtsort seiner Jugend vergleicht, bekommt der Zuschauer des Films nur jene Bilder geliefert, die ihm schon tausendfach im Kino und Fernsehen vorgeführt worden sind.
Der Bösewicht im Film ist mit dem deutschen Regisseur Werner Herzog besetzt, eine Entscheidung, die frenetisch gefeiert wurde. Aber Herzog bleibt in der Rolle des Anführers einer russischen Gang, der seine Finger, seinen Namen und seine Erinnerung in einem sowjetischen Gulag verloren hat, seltsam blass. Die unheimliche Ausstrahlung, die sich im Buch vor allem daraus speist, dass man ihn nie ganz zu Gesicht kriegt, geht im Film durch einen expliziten Dialog verloren. Herzogs berühmtes Englisch mit süddeutschem Akzent tun sein übriges.
Reacher, der alleine reist, lebt und ermittelt, hat in fast jedem Band einen weiblichen Sidekick. Im Film ist das die Anwältin Helen. Sie ist gutaussehend und sehr intelligent, wie alle Frauen, mit denen Reacher für kurze Zeit zusammen ist. Helen ist die einzige Figur, die auf der Leinwand wie im Buch überzeugt. Die »Jack Reacher«-Reihe soll bei Leserinnen sehr beliebt sein. Woran das genau liegt, darüber kann man nur spekulieren. Tatsächlich wird in der Zusammenarbeit mit einer Partnerin aus dem kühl kombinierenden Reacher, der Selbstjustiz walten lässt, wohin er kommt, nicht nur eine moralische, sondern auch eine zutiefst menschliche Figur, die zumindest für eine kurze Zeit mitfühlend und loyal ist und es bei aller Virilität nicht nötig hat, sich über eine Frau zu stellen, sondern an ihrer Seite kämpft und ermittelt. Und so wird, zumindest in der Buchreihe, aus einem übermenschlichen, aber dennoch gewöhnlichen Helden der herausragendste, den es zur Zeit in einer Pulp-Reihe zu entdecken gibt.

Jack Reacher (USA 2012). Regie: Christopher McQuarrie, Darsteller: Tom Cruise, Rosamund Pike, Richard Jenkins, Werner Herzog. Start: 3. Januar