Auf dem Pflaster liegt das Pfand
Wenn das Dosenpfand ein Gesicht hat, dann ist es das Gesicht des heutigen Spitzenkandidaten der Grünen für die kommende Bundestagswahl: des Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin. Vor zehn Jahren war er in der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder Umweltminister, daher fiel die Einführung des Dosenpfands in den Verantwortungsbereich seines Ministeriums. Er lieferte sich öffentliche Kämpfe mit der Industrie, um das Dosenpfand durchzusetzen. Ziel des Zwangspfands auf Dosen und Plastikflaschen war es, den Anteil der Mehrwegflaschen wieder zu erhöhen und die Dose zurückzudrängen. Umweltpolitische Begründung dafür war die Vermeidung von Verpackungsabfällen durch die Nutzung von Mehrwegflaschen. Bei Erfrischungsgetränken war der Mehrweganteil zwischen 1991 und 2002 von 74 auf 54 Prozent gesunken. Diesen Trend wollte die rot-grüne Bundesregierung mit dem Dosenpfand umkehren.
Wie fällt die Bilanz von einem Jahrzehnt Dosenpfand nach der Konfrontation dieses Beispiels rot-grüner Regierungskunst mit der Wirklichkeit aus? Ein uneingeschränkter Erfolg ist das Zurückdrängen der Dose. Wurden vor der Einführung des Dosenpfands im Jahr 2002 mehr als sechs Milliarden energieaufwendig aus Weißblech oder Aluminium hergestellte Dosen verkauft, sank der Absatz schon 2004 schlagartig auf nur noch 250 Millionen Dosen. Allerdings ist dabei auch zu beachten, dass die Zahl der vom Handel verkauften Dosen bis zum vergangenen Jahr wieder auf 1,1 Milliarden angestiegen ist. Trotzdem lässt sich zugespitzt festhalten: Die Dose ist auf dem Gebiet seines Wirkungsbereichs im Vergleich zur Prä-Dosenpfandzeit praktisch tot.
Gescheitert ist das Dosenpfand allerdings auf ganzer Linie, was die Mehrwegquote angeht. Lag 2004 der Mehrweganteil bei Wasser-, Limonaden- und Bierflaschen noch bei 71 Prozent, sank der Anteil bis 2010 auf nur noch 50 Prozent. Offensichtlich weigern sich die Konsumentinnen und Konsumenten, dem ökonomischen Modell der Umweltpolitik zu folgen. Statt die Produkte in der Glasflasche zu kaufen, entscheiden sie sich immer häufiger für Einwegbehälter. Das Fiasko des Dosenpfands war vor allem ein Durchbruch der Plastikflasche. Nahezu die Hälfte der rund 31 Milliarden Liter Getränke, die in Deutschland jährlich getrunken werden, stammt aus Plastikflaschen aus dem Material Polyethylenterephthalat (PET), die nur einmal befüllt und nach Gebrauch dann im Recycling geschreddert und wieder eingeschmolzen werden. Es lässt sich also ein klarer Gewinner des Dosenpfands identifizieren: die Kunststoffindustrie. Statt mehr brachte das Dosenpfand weniger Mehrweg, statt einer Erhöhung des Anteils von Glasflaschen wurde der Plastikpulle in Deutschland der Weg konsequent und erfolgreich freigepfandet.
An seinen eigenen Zielen gemessen, ist das Instrument Dosenpfand also auf ganzer Linie gescheitert. Es kann daher nicht überraschen, dass die Industrie das Dosenpfand mittlerweile ganz tief in ihr Herz geschlossen hat. Gegenüber der Welt zeigt sich der Geschäftsführer des Handelsverbands HDE, Kai Falk, stolz auf das Erreichte: »Handel und Industrie haben Milliarden in ein zuverlässiges Einweg-Rücknahmesystem investiert.« Laut Detlef Groß, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke, spricht für das Dosenpfand, dass dieses »neben Mehrweg auch für bepfandete Einweg-Getränkeverpackungen einen geschlossenen Materialkreislauf« geschaffen habe.
Hier stellt sich allerdings die Frage, warum die PET-Flasche trotz Stil- und Geschmacklosigkeit beim geneigten Publikum so erfolgreich ist. Liegt ihr Vorteil vielleicht wirklich nur im geringeren Gewicht beim Tragen? Ist der durchschnittliche Mitteleuropäer tatsächlich schon so abgestumpft, dass dies alle anderen Aspekte überwiegt? Die Kundinnen und Kunden scheinen einfach die Lust verloren zu haben, schwere Glasflaschen zu schleppen, und finden es offenbar vollkommen in Ordnung und keinesfalls erniedrigend, säckeweise Altplastik in stinkende Rücknahmeschächte zu stopfen. Für den Handel liegen die Vorteile darin, dass PET-Flaschen billig in der Herstellung sind und ihr geringeres Gewicht im Vergleich zu Glasflaschen niedrigere Transportkosten zur Folge hat. Außerdem sind PET-Flaschen wiederverschließbar und bruchfest.
Der Gebrauchswert der PET-Flasche kann bei näherer Betrachtung allerdings nicht wirklich überzeugen. Sie ist zum Beispiel nicht ganz dicht. Allmählich entweicht unweigerlich die Kohlensäure aus dem dünnen Kunststoff. Manche Getränke können daher nach einigen Wochen bereits schal und ungenießbar werden. Zusätzlich führt der eindringende Sauerstoff zu Geschmacksveränderungen. Kohlensäurehaltige Getränke haben in PET-Flaschen daher auch eine deutlich geringere Mindesthaltbarkeitsdauer als in Glasflaschen oder – wenn es denn noch sein muss – in Dosen. Außerdem können auch gesundheitsgefährdende Stoffe ins Getränk diffundieren.
Die PET-Flaschen können auch nicht heiß befüllt werden, wie es bei Glasflaschen üblich ist, um die Keimfreiheit bei der Abfüllung zu gewährleisten. Daher werden PET-Flaschen mit einer Chemikalie kalt entkeimt, die aber geringe Mengen von O-Methyl-Carbamat in der Flasche zurücklässt. Ein Stoff, der unter Verdacht steht, Krebs auszulösen. Zusätzlich gibt der PET-Kunststoff den Stoff Acetaldehyd in die Flüssigkeit ab, der beispielsweise zur Ausbildung einer Leberzirrhose führen kann. In diesen die menschliche Gesundheit unmittelbar betreffenden Aspekten kann die Plastekanne der Glasflasche einfach nicht das Wasser reichen. Aber trotzdem wird sie gekauft. Von allen. Nein, das stimmt nicht, es gibt einen widerständigen Teil, das kleine gallische Dorf im deutschen Getränkemarkt, das sich stoisch an der Glasflasche festhält.
Ein in Deutschland nicht ganz unbedeutendes Getränkemarktsegment weigert sich hartnäckig, sein beliebtes Getränk in Plastikflaschen abzufüllen. Es ist der Deutschen Zaubertrank namens Bier, das weiterhin lieber aus einem Glas oder Glasflaschen getrunken wird. Selbst im Billigbereich verzichten Marken wie Oettinger und Sternburger nicht auf die beliebte Glasflasche. Umgekehrt meiden bestimmte Hersteller aus dem gehobenen Preissegment die PET-Flasche, um nicht in den Verruf eines Billigimages zu geraten. Bei stolzen 88 Prozent liegt der Mehrweganteil auf dem Biermarkt. Die Anhängerschaft des Gerstensafts boykottiert Plastikbier konsequent – wissentlich oder unwissentlich ob der oben angeführten Zusammenhänge. Gerade die grundsätzlich unter Proletariatsverdacht stehenden Biertrinker beweisen somit den Stil, der ihnen von auf Distinktion schielenden Teilen der Mittelschicht abgesprochen wird.
Hätte die rot-grüne Bundesregierung nur das umweltpolitisch kontraproduktive Dosenpfand hinterlassen, wäre das sicherlich für viele recht einfach zu verschmerzen. Sozialpolitisch in Erinnerung bleiben Schröder, Fischer & Co mit der Agenda 2010. Insbesondere mit der Einführung von Hartz IV und der Rente mit 67 wurde die Massenverelendung beschleunigt und damit auch der ideale Rahmen für die Ausbreitung des Pfandsammlers als neuem sozialen Massenphänomen geschaffen. Bis dahin nur aus den USA bekannt, wurde das Sammeln von Leergut als selbstverständliche Beschäftigung der Armen, gerne auch mit großen Plastiksäcken, massentauglich. Über das Pfand wird ein nicht unbedeutender Teil des Almosens zwischen Gewinnern und Verlierern der neoliberalen Gesellschaft abgewickelt. In den Figuren der Pfandsammlerin und des Pfandsammlers kumuliert die rot-grüne Programmatik.
Die Auseinandersetzung um das Dosenpfand war vor zehn Jahren ein echter Glaubenskampf zwischen der Getränkeindustrie und dem Teil der Umweltbewegung, für den sich der Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit allein auf eine Frage des Lebensstils reduziert. Für diesen Teil der Bewegung, aber auch für alle anderen, die sich der sozialen Frage hartnäckig verweigern, gibt es eine ultimative Antwort: Der nachhaltigste Getränkegenuss besteht sicher in dem von Leitungswasser aus einem Glas.