Die Zukunft Syriens

»Bald ist es vorbei, Inshallah!«

Die syrischen Aufständischen rechnen mit einem baldigen Sieg. Doch wer wird nach Bashar al-Assad regieren? Eine ­Spurensuche.

Am Anfang stand das Aufbegehren der Syrerinnen und Syrer gegen die Diktatur Bashar al-Assads. Doch aus dem friedlichen Aufstand ist ein Bürgerkrieg geworden, die Freie Syrische Armee (FSA) kämpft gegen die Truppen des Regimes. Die Militarisierung des Konflikts, verbunden mit der Unterstützung einiger Fraktionen der Rebellen vor allem durch die Golfmonarchien, hat das Kräfteverhältnis innerhalb der Opposition verändert. Mit welchen Folgen?
»Bald ist es vorbei mit Assad, Inshallah« – das ist immer wieder von Aufständischen zu hören. Diese Hoffnung gab es bereits vor einigen Monaten, doch ist die militärische und diplomatische Lage des Regimes eindeutig schlechter geworden. Längst aber ist nicht mehr von der Hand zu weisen, dass immer mehr Jihadisten nach Syrien kommen, um auf Seiten der Rebellen für die Errichtung eines »Gottesstaates« zu kämpfen. Kritische Berichte darüber sind bei den Aufständischen nicht gern gesehen, sie könnten der syrischen Revolution einen Imageschaden zufügen. Bei der Einreise hört man Gerüchte über eine schwarze Liste unliebsamer Journalisten, die nicht mehr über die Grenze nach Syrien dürfen. In jüngster Vergangenheit sollen Journalisten bereits für einige Tage festgehalten worden sein.
Zudem sind in den vergangenen Wochen neue Reglements dazugekommen. Fotoaufnahmen von Krankenhäusern sind jetzt untersagt. Der Grund wird klar benannt: Assads Truppen hätten in der Vergangenheit gezielt Krankenhäuser angegriffen, in denen Aufständische behandelt werden, Ärzte und medizinisches Personal gefoltert oder gar zu töten versucht.
Die Unterkunft für Journalisten, das Aleppo Media Center, ist nur zwei Kilometer vom hart umkämpften Flughafen entfernt und damit direkt in der Kampfzone. Geräusche einschlagender Mörser- und Panzergranaten sind Tag und Nacht zu hören – zusammen mit den Gesängen des Muezzins ergibt das eine surreale Mischung. Ein Generator im Hof erzeugt Strom, fließendes Wasser gibt es nur selten.

Ein Video über einen Selbstmordanschlag der Taliban auf das Camp Salerno in Afghanistan kursiert hier zu Schulungszwecken unter den Kämpfern der FSA. Stolz wird es einem westlichen Journalisten vorgeführt, ein Zeugnis großer Unbedarftheit. Das Video zeigt nicht nur den Anschlag, sondern schon die zuvor geübten Aktionen.
Ebenso unvernünftig wie gefährlich ist ein Ausflug zu einer Militärschule auf halber Strecke zwischen der Grenzstadt A’zaz und Aleppo. Die Journalisten sollen hier den jüngsten Erfolg der FSA dokumentieren. Die gefangenen Kämpfer Assads dürfen sie nicht sehen, auf das Gelände werden sie nicht gelassen. Am Tor des Haupteingangs lassen sich die meisten Rebellen jedoch gern fotografieren und präsentieren sich mit den erbeuteten Waffen in der Hand. Darunter ein Sturmgewehr 44 der deutschen Wehrmacht, ein Sammlerstück. Kurze Zeit später taucht ein Kampfjet der Regierungsarmee wie aus dem Nichts auf und bombardiert die Schule. Verletzt wird niemand, die anwesenden Journalisten kommen noch mal mit dem Schrecken davon.
Abu Yasin Almani, Pressesprecher und Übersetzer der Liwa al-Shabah der FSA, war mit seiner Brigade an der Eroberung der Militärschule beteiligt. Wie einige andere Rebellen trägt er einen Kampfnamen. Auch Yasin ist überzeugt, dass es bald mit dem Assad-Regime vorbei ist. Die Diktatur müsse einem demokratischen System weichen. Mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern lebte er in Stuttgart. Seine Mutter ist gebürtige Libanesin, der Vater Syrer. Er selbst hat die deutsche Staatsbürgerschaft und betrachtet sich als deutschen Muslim, moderat, nicht dogmatisch.
Einige seiner Verwandten leben in Syrien. Für Yasin Grund genug, sich der FSA anzuschließen. Syrien, so sagt er, sei seine zweite Heimat. »Dasselbe hätte ich auch für Deutschland getan«, ist sich Yasin sicher. Als ehemaliger freiwilliger Wehrdienstleistender der Bundeswehr verfügt er über Erfahrung im Umgang mit Waffen. In seiner Brigade hat er bereits durchgesetzt, dass alle Waffen registriert und einzeln zugeteilt werden. Wer die Truppe verlässt, muss seine Waffe wieder abgeben. »Wenn der Bürgerkrieg erst einmal vorbei ist, kann so die Kontrolle über die Waffen gewährleistet werden«, erklärt Yasin.

Je näher man der Front kommt, desto mehr scheint Yasins westliches Wertesystem jedoch an Bedeutung zu verlieren. Das Erscheinungsbild der Rebellen ändert sich. Waren in den Hauptquartieren noch junge, bartlose Männer mit gestyltem Haar in Lederjacke und Turnschuhen zu sehen, tragen die Kämpfer nun Gewänder, lange Bärte und scherzen nur selten.
Hier kämpft auch eine Einheit der Jabha al-Nusra, nicht für Demokratie und Freiheit, sondern für einen Gottesstaat. Banner mit religiösen Sprüchen belegen ihre Einstellung. Unter ihnen sind viele erfahrene Kämpfer aus dem Irak und Libyen. Sie wollen nicht fotografiert werden und geben in der Regel auch keine Interviews. Umso ungewöhnlicher ist es, dass ein junger Mann lächelnd zu erzählen beginnt und sich sogar fotografieren lässt: »Obama sagt, ich bin ein Terrorist. Dabei bin ich doch nur ein einfacher Muslim.« Die US-Regierung setzte kürzlich Jabha al-Nusra auf die Terrorliste.
Über Löcher zwischen den Häusern, durch Wohnungen, über Schuttberge, neue Löcher und Innenhöfe, treppauf und treppab gelangt man in der sniper zone zu Bewar Mustafa, dem kurdischen Kommandanten der Liwa Salaheddin mit etwa 2000 Kämpfern, die an der Frontlinie in Aleppo agiert. Er ist optimistisch und glaubt fest daran, dass alle Aufständischen nur ein Ziel vereint: der Sturz des Assad-Regimes.
Als ehemaliger Berufssoldat in Assads Armee durfte er weder Telefon noch Fernsehen und Internet benutzen. Abgeschnitten von den aktuellen Nachrichten hatte er so erst in seinem Familienurlaub von dem Massaker in Hula gehört. Dort wurden bei einem Artillerieangriff der Regierungsarmee auf ein Wohnviertel etwa 100 Menschen getötet, über ein Drittel von ihnen waren Kinder. Für Bewar Mustafa Grund genug, nach seinem Urlaub nicht mehr in die Armee zurückzukehren: »Ich konnte nicht anders.«
Mustafa zufolge gibt es zwar einen Konflikt zwischen der PKK und der FSA, dieser würde allerdings vom syrischen Regime und auch von manchen internationalen Medien hochstilisiert. Auf die kurdischen Milizen der PYD ist er nicht gut zu sprechen. Immer wieder war es zwischen der FSA und der PYD zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. In Aleppo hat die PYD den Stadtteil Ashrafieh unter ihre Kontrolle gebracht, bis heute duldet sie dort keine Präsenz der FSA. Für Mustafa ist die PYD nur ein anderer Name für die PKK. Und die seien ja wie die Mafia, genauso korrupt. Nach dem Sturz Assads will er keine Rücksicht mehr auf die PYD nehmen: »Das sind Kriminelle.«
In seiner Einheit, in der viele der in Syrien weiterhin diskriminierten Kurden kämpfen, strebe niemand nach einem eigenen Kurdenstaat: »Alle wollen ein freies Syrien, in dem alle Ethnien, ob Kurden, Christen, Aleviten, Sunniten oder Drusen mit vollen bürgerlichen Rechten leben können.« Doch zumindest die Jihadisten teilen dieses Ziel nicht, und in ihrem Weltbild spielt es keine Rolle, ob die Mehrheit der Syrerinnen und Syrer für Freiheit und Demokratie eintritt.