Der traditionelle Aufmarsch vertritt eine autoritäre linke Politik

Der Bruch muss krachend sein

In der traditionellen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration manifestiert sich nur eine autoritäre Vorstellung linker ­Politik und Kultur. Doch dieses Jahr bekommt sie Konkurrenz.

Wenn unisono orthodox-kommunistische Blogs und Zeitungen aufgebracht von »Klassenverrätern« und »Antikommunisten«, »zukünftigen Sozialabbaukadern« und den »Kindern der Mörder von Karl und Rosa« schäumen, dann können die so Gescholtenen grundsätzlich schon einmal nicht alles falsch gemacht haben.
Wer sich hier so verraten fühlt, sind die loyalen Anhänger der Luxemburg-Liebknecht-Demons­tra­tion, denn sie bekommen Konkurrenz. Ein Bündnis aus linken Jugendorganisationen und Gruppen ruft zum 13. Januar unter dem Motto »Rosa & Karl« zu einer eigenständigen Gedenkdemonstration auf. Das Bündnis macht dem traditionellen Gedenkmarsch so die Deutungshoheit über das öffentliche Gedenken streitig.
Die LL-Demonstration ist die größte regelmäßige linke Demonstration in Deutschland und steht sinnbildlich für das Konzept einer linken Einheit um jeden Preis und die Aufopferung jeglicher fortschrittlicher Mindeststandards linken Selbstverständnisses zugunsten massenhafter Selbstvergewisserung.
Die LL-Demo ist damit zuallererst der Ort, an dem sich stalinistische, maoistische und marxistisch-leninistische K-Gruppen unwidersprochen als anerkannter Teil linker Bewegung inszenieren dürfen. Das Spektrum denkbarer Gruseligkeiten wird hier so weit ins Unerträgliche ausgedehnt, dass selbst die im Antifa-Spektrum am äußersten orthodoxen Rand positionierten Gruppen wie ALB und ARAB noch als vermeintliches Feigenblatt auf der Unterstützerliste des Aufrufs dienen.

Und der Aufruf hat es dieses Jahr in sich. Antiamerikanismus, Kuba-Solidarität und die Verbrüderung mit dem palästinensischen Volk gehören zum alljährlichen Tenor. Dieses Jahr trumpft der Aufruf auch noch mit der Prophezeiung eines, den Nationalsozialismus und die Shoah weit in den Schatten stellenden, imperialistischen »Weltenbrands« (ein Ausflug in die nordisch-germanische Mythologie) auf und mit der Verkündung der anstehenden Vernichtung der ganzen Menschheit. Im Wettrennen um den apokalyptischen Superlativ belegt dieser Aufruf vor allem eins: Was nicht mehr zu retten ist, ist das LL-Bündnis.
Wer aber das Gedenken an Rosa und Karl aufgibt und die Demonstration schulterzuckend als traurigen Ausdruck der Verfasstheit der deutschen Linken abtut, ignoriert die Funktion der LL-Demonstration. Für politisch interessierte Jugendliche spielt dieses Gedenken eine nicht unerhebliche Rolle im Identitätsbildungsprozess und schickt seine Teilnehmer auf den Weg in die Welt der orthodoxen Politsekten. Und tatsächlich dürfen auch Medien und Anwohnende Jahr für Jahr beobachten, wie »die Linken« mit der Sowjet­hymne zum Friedhof marschieren. Das LL-Gedenken normiert und normalisiert auf diese Weise eine autoritäre und orthodoxe Vorstellung linker Praxis und Kultur und fesselt die Linke an das ideologische Erbe des Realsozialismus.

Die Hoffnung auf ein Ende dieses Spuks durch das stille Fernbleiben von der Veranstaltung ist illusorisch, und die Versuche einer Rückgewinnung haben sich als aussichtslos und gefährlich herausgestellt. Der Bruch muss krachend sein. Ein Erfolg der »Rosa & Karl«-Demonstration kann der erste Schritt zur Schließung dieses düsteren Kapitels sein. Es darf dabei natürlich nicht um ein neues Heldengedenken gehen oder darum, die endgültig richtige Luxemburg-Interpretation zu vertreten. Was dem LL-Gedenken fehlt, ist genau das, wofür Rosa und Karl hervorragende Anknüpfungspunkte liefern: eine selbstkritische Auseinandersetzung mit linker Geschichte.
Dass dieser Aufbruch nun von einem Bündnis linker Jugendverbände angestoßen wird, die teilweise aus einem sozialdemokratischen Hintergrund stammen, ist auch Ausdruck einer langjährigen Vernachlässigung dieser Auseinandersetzung in autonomen und anderen linksradikalen Zusammenhängen. Das Bündnis entstand daher mit dem Anspruch, weitere progressive linke Gruppen in diese Auseinandersetzung mit einzubeziehen.
Die Linke ist in den vergangenen Jahrzehnten wie lange nicht mehr einem Wandel unterworfen gewesen, der von einer grundsätzlichen Distanzierung vom Realsozialismus angestoßen wurde und sich in der immer weitergehenden Hinterfragung vermeintlicher linker Gewissheiten fortsetzt. Das »Rosa & Karl«-Bündnis ist nicht zuletzt ein Ausdruck von genau diesen neuen linken Ansätzen und Perspektiven.
Die »Rosa & Karl«-Demonstration ist daher nicht nur wichtig, um Maoisten die Räume zur Selbst­inszenierung zu entziehen oder die Akzeptanz stalinistischer Ideologeme in linken Zusammenhängen anzugreifen, sondern bietet sich auch als Ausgangspunkt an für eine weitergehende Auseinandersetzung mit linker Geschichte, linkem Selbstverständnis und der Transformation der Linken hin zu einer grundsätzlich emanzipatorischen Ausrichtung.

Der Autor ist im »Rosa & Karl«-Bündnis aktiv.