Die politischen Folgen des Haushaltsstreits

Nur ein Vorspiel

Der Haushaltsstreit im US-amerikanischen Kongress ist vorläufig beendet. Doch die Fiskalkrise dauert an und hat auch politische Implikationen.

Drei Wochen nach Barack Obamas Amtsantritt, am 3. Januar, ist der neue US-Kongress vereidigt worden. Fast hätte man das nicht gemerkt, denn die Situation nach einem langen und teuren Wahlkampf ist eigentlich dieselbe wie vor den Wahlen: Der Präsident heißt Obama und das Repräsentantenhaus befindet sich noch in republikanischer Hand. Seit den Midterm-Wahlen von 2010, als die Republikaner dank der Tea-Party-Bewegung die Mehrheit im Repräsentantenhaus erreichten, ist der Kongress zu einem Schlachtfeld geworden, in dem zermürbende Kämpfe, oft um formale Fragen, stattfinden, die selten Ergebnissen hervorbringen. Alles, was in der Vergangenheit mehrheitsfähig war, ist aufgrund der republikanischen Unnachgiebigkeit in der Ära Obama undenkbar geworden. Der Streit um den fiscal cliff war ein Paradebeispiel dieser Unfähigkeit des Kongresses, zu konkreten Ergebnissen zu kommen. In letzter Minute wurde der Kompromiss erreicht, der den Sturz der US-amerikanischen Wirtschaft ins Chaos vermieden, oder, besser gesagt, aufgeschoben hat. Denn der Streit um den fiscal cliff wird sich im März mit der Debatte um die Schuldengrenze wiederholen.

Der Haushaltsstreit zwischen Weihnachten und Neujahr endete mit einem symbolischen Sieg der Demokraten. Obwohl die Republikaner ihren Wählerinnen und Wählern versprochen hatten, keine Steuererhöhungen zuzustimmen, stimmten knapp die Hälfte der republikanischen Abgeordneten und fast alle republikanische Senatoren doch für die Erhöhung der Einkommens- und der Immobiliensteuer. Die Demokraten konnten einige von den Republikanern geforderte Kürzungen sowie die Streichung des Arbeitslosengeldes vermeiden, das mehr als zwei Millionen US-Bürgerinnen und Bürgern beim Überleben hilft.
Peinlich war die ganze Sache zwar für alle, insbesondere aber für den republikanischen Verhandlungsführer und Sprecher der Partei im Repräsentantenhaus, John Boehner. Dieser musste zunächst seinen »alternativen Vorschlag« zu Obamas Plan zurückziehen, da er dafür nicht einmal die Unterstützung der eigenen Abgeordneten hatte, dann stellte er den im Senat verhandelten Kompromiss zur Abstimmung, wohl wissend, dass dieser in seinen eigenen Reihen abgelehnt werden würde.
Der fiscal cliff war bereits vor einem Jahr beschlossen worden. Die Maßnahme sollte automatisch in Kraft treten, falls keine Einigung über die Ausgabenkürzungen erreicht werden sollte. Am 1. Januar sind Steuererleichterungen für die Mittel- und Oberschicht ausgelaufen, und weil es noch keine Einigung über deren Verlängerung gab, hätten die Steuererhöhungen alle, unabhängig vom Einkommen, getroffen. Die Republikaner haben mit ihrer Zustimmung zur Einkommenssteuererhöhung für Reiche zwar vermieden, dass die Steuern für alle anderen erhöht werden. Aber weil sie seit Monaten versprochen hatten, keiner Erhöhung zuzustimmen, wird der erreichte Kompromiss als eine Niederlage wahrgenommen. Der einzige Erfolg der Republikaner war, dass die Reichtumsgrenze angehoben wurde. Während Obama im Wahlkampf davon gesprochen hatte, schon Einkommen ab 250 000 Dollar zu besteuern, einigte man sich auf eine Grenze von 450 000 Dollar für Haushalte und von 400 000 Dollar für Einzelpersonen.

Der Streit über den fiscal cliff war nur das Vorspiel eines Kampfes um die Ausgabenkürzungen, der in den kommenden Monaten stattfinden und vermutlich ähnlich ablaufen wird. Denn einerseits braucht Obama Geld, um mit einigen Infrastrukturprojekten zu beginnen, und um in Forschung und Bildung zu investieren. Die Republikaner sind ihrerseits vom Thema der Ausgabenkürzungen regelrecht besessen. Diese stellen ein reales Problem dar. Jedes Jahr verabschiedet der Kongress ohne eine parlamentarische Debatte ein Gesetz, das die Anhebung der Schuldengrenze vorsieht, sollte der Staatspräsident dies für nötig halten. Dass es dazu auch in diesem Jahr kommt, ist nicht unwahrscheinlich: Finanzminister Timothy Geithner hat bereits gewarnt, die Obergrenze von 16,4 Billione Dollar werde in Februar bereits erreicht sein. Bis zu diesem Zeitpunkt müsste der Kongress also die Schuldengrenze anheben. Seit 2011 ist dieses Gesetz aber zum Gegenstand heftigen Streits geworden. Dabei ist es George W. Bush gewesen, der von der Anhebung der Schuldengrenze profitiert hatte, ohne dass aus den Reihen der Grand Old Party Protest laut wurde.
Der nun ausgehandelte Kompromiss zur Vermeidung der »Fiskalklippe« verweist also auf die entscheidende Frage der Ausgabenkürzungen. Neben den ausgelaufenen Steuererleichterungen waren ab 1. Januar automatische Kürzungen des öffentlichen Budgets in mehreren Bereichen vorgesehen: vom Militär über das Gesundheitswesen bis hin zu den Renten. Diese automatischen Kürzungen waren vom Kongress beschlossen worden für den Fall, dass keine Einigung über die Reduktion der Ausgaben erreicht wird. Ein kafkaeskes Szenario, das sich in Washington seit 2010 abspielt. Die automatischen Kürzungen sollten als Drohung auf den Abgeordneten des Kongresses und den US-amerikanischen Bürgerinnen und Bürgern lasten. Die neue Frist für das Inkrafttreten dieser Kürzungen ist nun auf Mai 2013 geschoben worden. Bis dahin werden Demokraten und Republikaner über Vorschläge verhandeln, die alle halbwegs zufriedenstellen. Erst, wenn eine Einigung über die Kürzungen erreicht ist, wird man sagen können, wer den Kampf gewonnen hat.
Am 1. und am 5. Januar hatte Obama verkündet, er werde nicht über die Schuldengrenze verhandeln: Der Kongress, der zur Verschuldung beigetragen habe, könne nicht die Entscheidung treffen, die Schulden nicht zurückzuzahlen. Aber wenn die Bundesregierung weiter die Gehälter zahlen und die laufenden Kosten decken will, muss sie sich verschulden, und das noch bevor sie eine Sparstrategie entwickelt. Der Vorschlag des Präsidenten für die nächsten Monaten ist: nicht drohen, sondern über Kürzungen verhandeln, die nicht die Grundrechte betreffen. Höhere Einnahmen sollen durch Umgestaltung des Fiskalssystems erreicht werden, und durch härtere Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch Reiche und Unternehmen. Ein Beispiel dafür sind die Ölkonzerne, die seit zehn Jahren große Profite erzielen, aber weiterhin von steuerlicher Erleichterung profitieren, als handelte sich noch um einen Krisensektor. Die Republikaner lehnen dies ab und kritisieren die Demokraten dafür, dass sie den Schwerpunkt auf höhere Steuern legen. Sie kennen in dieser Hinsicht nur ein Schlagwort: kürzen. Diese Situation sorgt seit Monaten für Stillstand im Kongress.
Die wirtschaftlichen Folgen des Haushaltsstreits liegen auf der Hand, der Konflikt hat aber auch weitreichende politische Implikationen. Die Republikaner wissen, dass bestimmte Kürzungen der staatlichen Unterstützung ihre eigenen Wählerinnen und Wähler treffen würden – insbesondere weiße, wohlhabende, etwas ältere Bürgerinnen und Bürger. Die Demokraten wollen ihrerseits keinen Ärger mit den Afroamerikanern und anderen Minderheiten, also mit den Ärmeren, die von staatlicher Hilfe abhängig sind.

Es geht aber auch um ideologische Positionen. In einem Teil der republikanischen Partei hat sich eine starke antistaatliche Ideologie durchgesetzt, die öffentliche Interventionen in jeglichem Bereich konsequent ablehnt. Selbst, wenn es sich um objektiv notwendige Maßnahmen handelt. Ein Beispiel dafür sind die Mittel für die gewaltigen Schäden, die der Wirbelsturm »Sandy« im vergangenen Herbst in New York City und New Jersey verursacht hat. Das Repräsentantenhaus hat die Abstimmung darüber so lange verschoben, bis einige republikanische Abgeordnete sowie der Gouverneur von New Jersey, Chris Christie – einer der populärsten republikanischen Politiker – gedroht haben, aus der Partei auszutreten.
Obama weiß, dass er einen Kompromiss finden muss, um in den nächsten Jahren in Ruhe arbeiten zu können, es ist für ihn gleichzeitig aber riskant, wenn er bei bestimmten Themen nachgibt. Die Balance zu behalten ist in dieser Situation nicht leicht, denn es sind die Republikaner die derzeit einen Vorteil haben. Ohne ihre Stimme gibt es nämlich keinen Kompromiss, und ohne Kompromiss droht die Wirtschaft zu kollabieren. Geld gibt es nur noch für die nächsten zwei Monate, es sei denn, der Staat verschuldet sich weiter. Wenn aber Obama es wagen würde, drastische Ausgabenkürzungen vorzuschlagen, dann würde es für die Republikaner schwieriger, die Erhöhung der Einkommensteuer für Reiche und Konzerne abzulehnen. Denn bei aller Treue zum Gebot der Etatkürzungen möchten auch die Republikaner nicht für eine Zahlungsunfähigkeit des Staates verantwortlich gemacht werden. Das würde nicht einmal bei den Bürgerinnen und Bürgern gut ankommen, die vom Staat wenig halten.

Übersetzung: Federica Matteoni