Die Führungskrise in der FDP

Treffen der Dreikönigsmörder

Die Führungskrise der FDP spitzt sich zu. Die kommende Landtagswahl in Niedersachsen dürfte richtungsweisend werden.

Philipp Rösler versucht gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Man kann das auch höflicher formulieren, dass man sich gegenseitig nicht sehr schätzt«, antwortet der angeschlagene FDP-Vorsitzende mit demonstrativer Gelassenheit auf einen etwas unflätig geratenen Zwischenruf aus dem Publikum. Er hätte es aber auch genauso gut in Richtung seines auf dem Podium sitzenden Parteifreundes Dirk Niebel sagen können. »2013 wird ein Jahr der Höflichkeit und des Anstands«, fährt Rösler in seiner Rede am Sonntag im Stuttgarter Opernhaus mit unüberhörbarer Ironie fort. Zumindest Galgenhumor scheint er zu haben.
Das neue Jahr hat für die FDP begonnen wie das vorherige – mit einer Personaldiskussion. Immer lauter werden die Rufe nach einer Ablösung Röslers, dem es seit seinem Amtsantritt vor rund eineinhalb Jahren nicht gelungen ist, seine Partei aus ihrer existenzbedrohenden Krise zu führen. Auch auf dem Dreikönigstreffen sah sich der »fröhliche Ikarus von Hannover« (ZDF) wiederholt innerparteilicher Kritik ausgesetzt.
Das ist neu. Zwar galt das traditionsreiche Stuttgarter Liberalenspektakel am Jahresanfang auch in der Vergangenheit schon als ein wichtiger Gradmesser für den Rückhalt der Parteiführung in den eigenen Reihen. Offene Kritik wurde dabei jedoch tunlichst vermieden, stand doch stets das gemeinsame Interesse an einer gelungenen Werbeveranstaltung im Vordergrund. Aber in der Krise ändern sich auch die Sitten in der sich so gerne bürgerlich wohlerzogen gebenden Partei.

Es war Dirk Niebel vorbehalten, den Königsmord zu wagen. »So wie jetzt kann es mit der FDP nicht weitergehen«, wetterte der frühere Generalsekretär. Das Führungspersonal der Partei spiele »als Team für die Bundestagswahl noch nicht in der besten Aufstellung«, attackierte er Rösler. »Das ist, als wenn Jogi Löw den besten Außenstürmer zum Torwart macht, den Torwart zum Libero und den Mittelstürmer zum Innenverteidiger.« Das müsse »so schnell wie möglich« geändert werden. »Wir müssen schnell unsere eigenen Entscheidungen treffen, und wir dürfen sie nicht vom Ausgang von Landtagswahlen abhängig machen«, forderte der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der vor Kraft kaum mehr laufen kann, seit er vor ein paar Wochen überraschend als Kompromisskandidat an die Spitze der baden-württembergischen Landesliste der FDP für die Bundestagswahl im Herbst gewählt wurde. Niebel, der ohnehin noch nie an mangelndem Selbstbewusstsein litt, sieht sich wohl bereits selbst als künftiger Parteivorsitzender. Das allerdings dürfte ein Wunschtraum bleiben.
Rösler antwortete auf Niebels Attacke nur indirekt: »Glaubwürdigkeit ist immer auch eine Frage des Stils, der Fairness, der Solidarität.« Dass der 39jährige studierte Arzt jetzt schon von seinen Parteifreunden ausgerechnet »Solidarität« einfordert, zeigt, wie schlecht es um ihn bestellt ist. Schließlich verstehen Liberale, wie er selbst unlängst in einem Beitrag zur FDP-Grundsatzdiskussion schrieb, »unter Solidarität die Hilfe Starker für die Schwachen«.
Seit seiner Wahl im Mai 2011 wirkt Rösler überfordert, tölpelhaft und ideenlos. Eine Ahnung, was die Gründe für die Krise seiner Partei sein könnten, hat er nicht. Stattdessen flüchtet er sich in Phrasen. »Wozu braucht Deutschland eigentlich die FDP?« fragte der Bundeswirtschaftsminister auf dem Dreikönigstreffen, nur um selbst die absurde Antwort zu geben, sie sei die »einzige Partei in Deutschland, die für die Freiheit kämpft«.

Rösler fehlt es an einer schlüssigen Strategie, wie sein früherer Generalsekretär Christian Lindner sie in Nordrhein-Westfalen hatte. Aus aussichtslos erscheinender Position schaffte es der heutige Landesvorsitzende der NRW-FDP mit einem perfekt auf die eigene Klientel ausgerichteten Wahlkampf, seine Partei im Mai 2012 mit sensationellen 8,6 Prozent wieder ins Landesparlament zu bringen. Im Gegensatz zu Rösler kann Lindner auf der gesamten Klaviatur des Liberalismus spielen und die Anhänger sowohl des marktradikalen als auch des linksliberalen Flügels bedienen. Sein Repertoire reicht von Friedrich August von Hayek über Ralf Dahrendorf bis zu Karl-Hermann Flach. Was inhaltlich nicht zusammenpasst, macht der 34jährige rhetorisch passend. Rösler setzt hingegen unverdrossen auf die wirtschaftsliberale Propaganda, mit der schon sein Vorgänger die Partei abgewirtschaftet hat. Nur der Tonfall hat sich im Vergleich zur Kasernenhofrhetorik Guido Westerwelles geändert.

Keine zwei Wochen sind es mehr bis zur Landtagswahl in Niedersachsen, die entscheidend sein dürfte für die weitere politische Karriere Röslers. Schafft sein Heimatlandesverband die Fünfprozenthürde nicht, wird er – da muss man kein Hellseher sein – wohl den Parteivorsitz verlieren. Reicht es dagegen für den Wiedereinzug und Schwarz-Gelb, dürfte auch Rösler seinen Posten zumindest bis zur Bundestagswahl gerettet haben. Man stürzt keine Wahlgewinner, nicht einmal in der FDP. Richtig unterhaltsam wird es indes, wenn die Freidemokraten zwar knapp den Wiedereinzug in Niedersachsen schaffen, jedoch aus der Regierung fliegen sollten. In diesem Falle dürfte die zentrale Frage die sein, ob Rösler sich noch bis zum bislang für Anfang Mai in Nürnberg geplanten Bundesparteitag halten kann oder ob er schon vorher zurücktreten muss.
Eben dieses Szenario erscheint derzeit wieder realistisch. Laut der jüngsten Umfrage von Infratest dimap liegt die niedersächsische FDP derzeit zwar nur bei vier Prozent. Anders als bei der Linkspartei und der Piratenpartei, die bei drei Prozent dümpeln, zeigt die Tendenz bei ihr allerdings nach oben. Auch ohne eine »Leihstimmen«-Kampagne dürften die Signale, die CDU-Ministerpräsident David McAllister zugunsten der FDP an seine Anhängerschaft aussendet, deutlich genug sein, um dem kleinen Koalitionspartner den Wiedereinzug in den Landtag zu sichern. Ob das jedoch reicht, um Schwarz-Gelb fortsetzen zu können und so Rösler den Parteivorsitz zu retten, ist höchst fraglich. Zu groß erscheint der Vorsprung von Rot-Grün.
Vielleicht erinnert sich Philipp Rösler in diesen Tagen an die sibyllinischen Worte, mit denen Christian Lindner im Dezember 2011 als FDP-Generalsekretär zurücktrat: »Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz frei machen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen.« In eineinhalb Wochen ist wohl auch für Rösler der Moment gekommen. Mit Rainer Brüderle steht ein Nachfolger schon bereit. Bei seinem Auftritt auf dem Dreikönigstreffen ließ der 67jährige Vorsitzende der Bundestagsfraktion keinen Zweifel an seinem Führungsanspruch. In der FDP-Anhängerschaft ist der Freund des pfälzischen Weines beliebt, seine Holzhammerrhetorik gilt als wahlkampftauglich.
Doch Brüderle ist kein Mann der Zukunft, sondern der Vergangenheit. Der Wirtschaftsliberale steht mit seinem Politikverständnis für die Art Funktionspartei, die die Freidemokraten zu Zeiten Adenauers und Kohls waren. »Die FDP hat die Union besser gemacht«, sagte Brüderle in Stuttgart und degradierte damit seine eigene Partei zur liberalen Hilfstruppe der Union. Die Probleme der FDP wird er so nicht lösen können.