Protest von Flüchtlingen in Wien

Protest aus der Kirche

In Wien protestieren Flüchtlinge für mehr Rechte für Asylsuchende. Die österreichische Regierung kommt ihnen kaum ent­gegen.

Es ist mitten in der Nacht, ein Campingtisch wird zwischen riesigen Baggerschaufeln zerquetscht, Zeltstangen werden auseinandergebrochen. Bei der polizeilichen Räumung des Protestcamps der Flüchtlinge in Wien am 28. Dezember wurde nicht lange gefackelt, die gesamte Infrastruktur wurde mit beachtlichem Polizei- und Lastfahrzeugaufgebot zerstört. Das Camp hatten Flüchtlinge einen Monat zuvor mitten in Wien errichtet, nachdem sie am 24. November rund 35 Kilometer vom niederösterreichischen Traiskirchen in die Hauptstadt marschiert waren. Ihr Protestmarsch richtete sich gegen »menschenunwürdige Bedingungen« in der Traiskirchner Erstaufnahmestelle für Asylbewerber. Nach einer Demonstration vor dem Asylgerichtshof schlugen rund 70 Flüchtlinge ihre Zelte vor dem Siegmund-Freud-Park auf, nur einen Steinwurf von der prunkvollen Wiener Ringstraße und dem alten Stadtkern entfernt. Die zumeist jungen Männer aus Nordafrika, Afghanistan und Pakistan schrieben damit Geschichte. Denn anders als in Deutschland hat es in Österreich bislang keine Protestbewegung gegeben, in der die Flüchtlinge selbst kämpften.

Zwar wurden bis heute weder die Forderungen nach Zugang zum Arbeitsmarkt noch nach dem Austausch der Dolmetscher erfüllt, und auch der Abschiebestopp liegt in weiter Ferne. Trotzdem haben die Protestierenden bereits viel erreicht: Die Debatte um bessere Lebensbedingungen von Asylbewerbern wurde noch nie zuvor derartig ausführlich in den Medien geführt. Das Innenministerium unter der Führung der christlich-konservativen Volkspartei (ÖVP) nahm zur Überraschung vieler Beobachter Gespräche mit den Flüchtlingen auf. Die sozialdemokratische Partei (SPÖ) hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylbewerber zu finden.
Das wurde mit drastischen Mitteln erreicht: Seit knapp einem Monat befinden sich etwa 40 Flüchtlinge im Hungerstreik, Rettungseinsätze gehören mittlerweile zum Alltag. »Ihr Zustand ist stabil, sie trinken wieder mehr. Aber sie sind natürlich geschwächt«, sagt Klaus Schwertner, Sprecher der Caritas Wien. Als die Flüchtlinge kurz vor Weihnachten in die neugotische Votivkirche zogen – eine der wichtigsten Kirchen Wiens –, bot sich die Caritas als Vermittlerin an. Denn als die Männer ihr Matratzenlager in die Kirche verlagerten, war der dortige Pfarrer, der zuvor seine Unterstützung versprochen hatte, von der Situation völlig überfordert und kurz davor, die Kirche polizeilich räumen zu lassen.
Das verhinderten die Caritas und die Erzdiözese, indem sie den Flüchtlingen Kirchenasyl zusicherten. Nun sind Mitarbeiter der Caritas 24 Stunden am Tag vor Ort; als die Flüchtlinge den Hungerstreik antraten, kam ein Erste-Hilfe-Team hinzu. Doch die Caritas wird von den Flüchtlingen auch kritisiert, da die Votivkirche von einem Sicherheitsbeamten bewacht wird und ein striktes Regiment darüber entscheidet, wer rein und raus darf. »Es ist ein Gefängnis«, klagt Khan Adalat. Der 47jährige Paschtune stammt aus dem Swat-Tal im Norden Pakistans. Er ist inzwischen zu einem der Sprecher der Wiener Flüchtlingscamper geworden, viele teilen sein Schicksal: In ihrem Herkunftsland wurden sie verfolgt, doch nur einem Prozent der Asylsuchenden aus Pakistan wird in Österreich Asyl gewährt. Dass er und die anderen Flüchtlinge sich nicht auf das Angebot der Caritas einließen, von der bitterkalten Kirche in ein beheiztes Heim umzusiedeln, stieß beim Innenministerium und bei Teilen der Öffentlichkeit auf Unverständnis, doch die Flüchtlinge lassen wissen: »Wir haben nicht für warme Quartiere gekämpft.«

Ihnen geht es um Sichtbarkeit. Doch genau diese scheint den Behörden ein Dorn im Auge zu sein. Derzeit wird die Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes bei der Räumung von der Volksanwaltschaft, einem Gremium zur Kontrolle der Behörden, geprüft. Doch weder das Innenministerium noch die rotgrüne Stadtregierung will die Räumung angeordnet haben, und auch die Polizei betont, man habe auf Eigeninitiative gehandelt, die Protestcamper hätten gegen die Campierverordnung verstoßen. »Die Landespolizei trifft für sich selbst diese Entscheidung. Um zu vermeiden, dass weitere Rechtsnormen gebrochen werden, nehmen wir jetzt diese Zelte mit«, so Polizeisprecher Johann Golob in einem Video, das während der Räumung entstand. Inzwischen hat Wiens Bürgermeister Michael Häupl eingestanden, von der Räumung gewusst zu haben.
Von Beginn an wurde außerdem von einer angeblichen Instrumentalisierung der Flüchtlinge durch linke Aktivisten gesprochen. Seitens des Innenministeriums hieß es, man habe »kein Verständnis, dass linke Aktivisten aus Deutschland kommen und versuchen, Asylwerber zu instrumentalisieren«. Doch Aktivisten sind die Flüchtlinge selbst, und sie betonten, die geäußerten Forderungen kämen von ihnen. Unterstützt werden sie nur beim Internetauftritt, dem Verschicken von Pressemitteilungen und durch Übersetzungen. Caritas-Sprecher Schwertner betont, die Unterstützer kämen aus allen Reihen: Mütter mit Kindern übernehmen den Wäschedienst, eine Rentnerin übersetzt Zeitungsartikel und liest sie den Flüchtlingen vor, Studenten bringen Suppe vorbei.
Das Gespräch mit der Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, zu dem sie vier Flüchtlinge ins Ministerium geladen hatte, endete ohne Zusagen. Sie betonte, es werde keine Änderungen im Asylwesen geben, denn der geforderte Abschiebestopp und das Löschen der erfassten Fingerabdrücke von Asylbewerbern verstießen gegen EU-Vorgaben. Auf diejenigen Forderungen, die Österreich erfüllen kann, wie die Grundversorgung für Asylbewerber unabhängig vom Rechtsstatus, die freie Wahl des Aufenthaltsorts und den Zugang zu Bildung und Arbeit, ging sie nicht ein. Derzeit dürfen Asylbewerber nur Ernte- oder Saisonarbeit verrichten, diese Einschränkung wurde 2004 unter der Koalitionsregierung von ÖVP und der rechts­populistischen FPÖ erlassen und könnte mit einer Unterschrift des derzeitigen Sozialministers aufgehoben werden.

In der Bevölkerung polarisiert der Protest der Flüchtlinge – immer wieder ist zu hören, der Rechtsstaat könne sich nicht von ein paar Flüchtlingen im Hungerstreik erpressen lassen, und im Vergleich zu anderen EU-Ländern stehe Österreich ja gut da. Die Saualm, jenes Asylheim in Kärnten, das wegen der dortigen Schikanen und hygienischer Missstände geschlossen wurde, steht in Österreich inzwischen für die menschenverachtenden Lebensbedingungen von Asylsuchenden. Doch die Saualm ist kein Einzelfall, oft müssen Menschen jahrelang in Heimen ausharren, bevor sie dann doch abgeschoben werden. Zwar haben sich die Asylverfahren inzwischen verkürzt, doch nach wie vor fristen die Menschen monatelang ein Leben ohne Arbeit, Deutschkurse und Bewegungsfreiheit.
Ändern könne sich das nur durch den Druck der Öffentlichkeit, sagte Jean Ziegler, als er am Sonntag den Flüchtlingen in der Votivkirche einen spontanen Besuch abstattete. Er zeigte sich beeindruckt von »dem Gemeinschaftssinn und dem kollektiven Akt der österreichischen Solidarität«. Der prominente Globalisierungskritiker versprach, in Genf den UN-Flüchtlingshochkommissar António Guterres über die Situation in Wien zu informieren. Und er sei sicher, dass dieser bei der österreichischen Regierung nachfragen werde, was in diesem Land los sei.