Über die Untersuchung sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche

Aufklärung unerwünscht

Die katholische Kirche hat einen Forschungsvertrag über die Untersuchung ­sexualisierter Gewalt gekündigt.

Verglichen mit den mehr als 2,6 Milliarden Dollar, die Diözesen in den USA zahlten, um Entschädigungsprozesse zu verhindern, sind 450 000 Euro ein geringer Preis. So viel wollte der Verband der Diözesen Deutschland (VDD) dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) für eine Untersuchung der »Längsschnittentwicklung des sexuellen Missbrauchs« zahlen. Forscherinnen und Forscher mit Zugang zu den Archiven der katholischen Kirche hätten Erkenntnisse über die Mechanismen gewinnen können, die sexualisierte Gewalt ermöglichen und die Täter vor Enttarnung und Strafverfolgung schützen. Das wäre auch für die Prävention in anderen gesellschaftlichen Bereichen von Bedeutung gewesen.
Doch der VDD hat den Vertrag in der vergangenen Woche gekündigt. Als Begründung diente das »zerrüttete« Vertrauensverhältnis zu Christian Pfeiffer, dem Leiter des KFN, der den Geheimhaltungswünschen der Kirche nicht zustimmen wollte. Wie weit diese gingen, ist umstritten. Da Pfeiffers nun vom VDD getadeltes »Kommunikationsverhalten« – er steht gern im Licht der Öffentlichkeit – der Kirche von Anfang an bekannt war und ein Zusammenhang zur Arbeit des KFN nicht erkennbar ist, muss das Motiv für die Kündigung anderswo gesucht werden.
Wahrscheinlich hätte sich herausgestellt, dass die Bischöfe und ihre Vorgänger verdächtige Geistliche gedeckt und Vorwürfe heruntergespielt, vielleicht auch aussagewillige Opfer unter Druck gesetzt haben. Das lassen die Erkenntnisse über bislang bekannt gewordene Fälle vermuten. Warum sollte man sich nun noch solchen Unannehmlichkeiten aussetzen, da sich die Empörung gelegt hat und weder gesellschaftlicher noch staatlicher Druck eine Aufklärung erzwingt?
Eine hierarchische Organisation ist nicht in der Lage, sich selbst kritisch zu prüfen. Ein Vertrauensverhältnis zwischen der Institution, die untersucht werden soll, und den Forschern darf daher gar nicht bestehen. Es geht nicht um individuelles Fehlverhalten, vielmehr haben die Bischöfe die Anweisungen des Vatikans ausgeführt, die Joseph Ratzinger, nunmehr Benedikt XVI., im Jahr 2001 noch einmal bekräftigt hatte. Alle Verdachtsfälle sollten als »päpstliches Geheimnis« behandelt, vor den weltlichen Behörden also verborgen werden. Erst 2010 rang sich die Kirche zu einer Zusammenarbeit mit den »zuständigen Stellen unter Beachtung der jeweiligen Kompetenzen« durch – eine recht vage Formulierung.
In den USA müssen sich selbst Kardinäle einem Polizeiverhör stellen, in Belgien suchte die Polizei Beweismaterial sogar in der Gruft einer Brüsseler Kathedrale. Selbst im erzkatholischen Irland wurde eine staatliche Untersuchung angeordnet, deren Ergebnis nicht schmeichelhaft für die Kirche ausfiel. Doch in Deutschland, dem Land des Dialogs und des Vertrauens, wird die Aufklärung in das Ermessen der Kirche gestellt.
Obwohl eine Institution, die eine unabhängige Untersuchung vergangener Verbrechen verweigert, damit zu erkennen gibt, dass sie auch in Zukunft ihre Machtinteressen über Prävention und Aufklärung stellen wird, drohen ihr keine Konsequenzen. Denn kaum jemand wagt, die im Konkordat von 1933 vereinbarten kirchlichen Sonderrechte in Frage zu stellen.