Ein neues antifaschistisches Online-Projekt

Kartographie des Terrors

Das Berliner Recherche- und Dokumentationszentrum Apabiz plant ein interaktives Informationsportal über die extreme Rechte in Deutschland. Finanziert werden soll das Online-Projekt über Crowdfunding.

Vermutlich im April wird in München der Strafprozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Terrororganisation Nationalsozialis­tischer Untergrund (NSU) beginnen. Der NSU allein hat mindestens zehn Menschen ermordet, Bombenanschläge verübt und mehrere Banken überfallen. Nach seinem Auffliegen unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen im November 2011 erschienen unzählige Artikel mit Rechercheergebnissen in Zeitungen, Magazinen und auf Internetseiten. Ein Bundestagsuntersuchungsauschuss, mehrere Landtagsauschüsse und weitere staatliche Instanzen wie Sonderermittler, Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft befassen sich mit der Thematik. Da fällt es selbst Kennern der Materie nicht leicht, einen Überblick zu behalten.

Dabei sind die Taten des NSU nur die Spitze des Eisbergs. Seriösen Quellen wie der Amadeu-Antonio-Stiftung zufolge wurden seit 1990 weit über 150 Menschen von Nazis und Rassisten ermordet. Die Zahl rechter Aufmärsche und Übergriffe geht in die Tausende. Doch das Wissen darüber ist oft nur bei regional tätigen Initiativen vorhanden. Sich einen Überblick über die Aktivitäten von Nazis im gesamten Bundesgebiet zu verschaffen, ist schwierig.
Dem will das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e. V. (Apabiz) jetzt Abhilfe schaffen. Mit ihrem Projekt »Rechtes Land« will die Berliner Organisation einen »Atlas zur extremen Rechten und zur Nazi-Vergangenheit« erstellen. Er soll die Treffpunkte der extremen Rechten, ihre Verbände, ihre Morde, ihre Überfälle, ihre Termine und neuen Vorhaben zusammenfassen und diese Information in Form einer interaktiven Karte im Internet der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
»Mit einer Karte, wie wir sie planen, kann man sich relativ einfach durch bestimmte Kategorien durchklicken und darüber Schwerpunkte in bestimmten Regionen erkennen, in denen jeweils gewisse Entwicklungen stattfinden«, erklärt Felix Hansen vom Apabiz im Gespräch mit der Jungle World.

So habe man in einer Beta-Version alle rechten Morde seit 1990 dokumentiert. »Wenn wir diese Morde jetzt auf einer Karte verzeichnen, sehen wir schnell bestimmte Schwerpunkte. Einer liegt zum Beispiel im Westen Deutschlands, in Nordrhein-Westfalen.« Ein solcher Schwerpunkt sei im öffentlichen Bewusstsein über Nazis gar nicht vorhanden, dort werde meist nur Ostdeutschland als Zentrum extrem rechter Aktivitäten wahrgenommen. »Das ist ein großer Vorteil einer Karte gegenüber einer Liste, in der an sich die gleichen Informationen vorhanden sind, aber eben die bildliche Darstellung fehlt. Durch so einen Atlas kann man bestimmte Zusammenhänge sehr gut darstellen«, erläutert der 30jährige.
Das Apabiz, das im Februar 2012 ein NSU-Watchblog zum Thema erstellte, welches bereits interaktive Elementen enthält, experimentiert schon seit einiger Zeit mit neuen Möglichkeiten, »vorhandenes Wissen in einer modernen, datenjournalistischen Form darzustellen«, sagt der Apabiz-Mitarbeiter. Dadurch sollen Strukturen besser erkennbar werden. »Das gilt gerade beim Thema NSU. Da waren wir mit einer Fülle von Informationen, Daten und Orten konfrontiert. Wir wollten schauen, wie wir selbst einen Zugang dazu bekommen können, wie wir das ordnen können.« Oft seien es ja keine Informationen, die erst noch recherchiert werden müssten, sondern es sollen neue Formen der Aufbereitung gefunden werden – »für uns selbst, aber auch für Leute, die vielleicht nicht so in der Materie stecken«, sagt Hansen.

Für die technische Umsetzung hat das Apabiz mit der Firma »Lokaler« aus Berlin einen Kooperationspartner, der auf Basis von Open Street Map – einer frei zugänglichen Alternative zu Google Maps – eine Kartenanwendung als Content Management System entwickelt hat. Finanziert werden soll »Rechtes Land« durch Crowdfunding auf der Plattform Startnext.de. »Das bot sich an, weil wir ›Rechtes Land‹ als unabhängiges Projekt durchführen wollten, ohne große Einzelförderer«, sagt Hansen. »Bei einem solchen Netzprojekt liegt es außerdem nahe, mal eine neue Form der Finanzierung auszuprobieren. Man erreicht darüber ja auch noch andere Leute, zu denen man sonst vielleicht nicht so den Zugang hat, weil sie nicht Teil unseres klassischen Netzwerkes sind.«
In der Tat sieht es gut aus für das Projekt: Seit dem Beginn kamen schon über 3 000 Euro zusammen. Das Crowdfunding läuft noch bis zum 31. Januar. Bis dahin muss das selbstgesetzte Ziel von 5 000 Euro erreicht werden, sonst kommt »Rechtes Land« nicht zustande und das Geld fließt an die Spender zurück. »Die Mindestbeiträge sind sehr niedrig angesetzt. Wir haben gesagt: Wir brauchen 1 000 mal fünf Euro«, so Hansen.
Benötigt werden die 5 000 Euro als Anschub­finanzierung, hauptsächlich, um davon Honorare für Leute zu bezahlen, die das Projekt redaktionell betreuen. Sollte es mehr Geld werden, wäre es Hansen auch recht. Man könne dann »noch mehr Arbeit hineinstecken, also noch mehr Informationen verarbeiten«. Sollten sogar mehr als 8 000 Euro zusammenkommen, fließt der Überschuss in den Fonds für die Beobachtung des eingangs erwähnten NSU-Prozesses.