Deutschland will Verschärfungen im Asylrecht der EU

Alles auf Abwehr

Die Innen- und Justizminister der EU verhandeln derzeit über ein gemeinsames Asylsystem. Deutschland gehört zu den Staaten, die dabei Verschärfungen durchsetzen wollen.

Als Klassenstreber hat Hans-Peter Friedrich (CSU) sich vermutlich schon in jungen Jahren gefallen. Als Bundesinnenminister hält er an der Rolle fest: »Ich glaube, dass wir vorbildlich sind in der Frage der Flüchtlingsaufnahme, und man kann immer nur appellieren, dass die anderen es uns gleichtun«, verkündete er beim informellen EU-Ratstreffen, das vorige Woche in Dublin stattfand. Dort ging es unter anderem um die Frage, wie Europa mit den Hunderttausenden syrischen Flüchtlingen umgehen soll, die im Nahen Osten festsitzen. Deutschland sei bereit, »zusammen mit den europäischen Partnerländern darüber zu sprechen, wie eine solche Aufnahme stattfinden kann«, sagte Friedrich. Tatsächlich hat Deutschland im ganzen Jahr 2012 gerade mal 7 000 Flüchtlingen aus Syrien Zuflucht gewährt.
Der Handlungsdruck, der auf dem Treffen lastete, war groß: In den Nachbarländern Syriens – der Türkei, Jordanien, dem Libanon und dem Irak – sitzen Hunderttausende Syrer unter elenden Bedingungen fest. Griechenland sperrt Syrer, die das Schengen-Gebiet betreten, ebenso in Internierungslagern ein wie alle anderen Papierlosen auch. Doch zu einem Beschluss konnten sich die EU-Staaten nicht durchringen. »Die wollten die syrische Flüchtlingskrise vor der eigenen Haustür einfach aussitzen«, meint Karl Kopp von Pro Asyl. Und so sei denn auch kein »proaktiver Beschluss gefasst worden, um irgendwie zu gewährleisten, dass die Zurückweisungen an den Außengrenzen nicht stattfinden, oder um besonders Schutzbedürftige aus den Drittstaaten rauszuholen«. Dafür tauschten sich die Innen- und Justizminister über das seit Jahren geplante Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) aus. Das hätte nach dem Willen der Kommission eigentlich schon beschlossen sein sollen. Doch den Mitgliedstaaten sind viele der Bestimmungen noch zu liberal, weshalb sie ihre Zustimmung verweigern.
Welche Veränderungen welches Land genau verlangt, bevor es dem vereinheitlichten Asylsystem zustimmt, ist unklar. »Die ganzen Verhandlungen sind ein von vorn bis hinten intransparenter und undemokratischer Prozess«, sagt Kopp. Ein wenig Klarheit brachte kürzlich die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Darin erklärte die Bundesregierung, wie sie sich zu dem Umstand verhält, dass das GEAS vorsieht, die flächendeckende Internierung aller Flüchtlinge in Europa zu gestatten: Deutschland habe den Haftgrund »verspätete Asylantragsstellung« mitgetragen, schrieb Ole Schröder, der Staatssekretär des Innenministeriums. Auch die Inhaftierung während des sogenannten »Dublin-Verfahrens«, also der Abschiebung in das EU-Land, über das ein Flüchtling in das Schengen-Gebiet gekommen ist, hielt die Bundesregierung für eine gute Idee. Überraschend ist das nicht, schließlich ist das in Deutschland schon bisher möglich. Den Möglichkeiten, Schutzsuchende künftig zum bloßen Zweck der Klärung ihrer Identität, der »Beweissicherung« im Asylverfahren oder der Prüfung ihres »Einreiserechts« einzusperren, stehe das Bundesinnenministerium »neutral« gegenüber, schrieb Schröder – Deutschland trägt dies also politisch mit. Die Inhaftierung »aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« schließlich sei der deutschen Verhandlungsdelegation zu weit gegangen. Sie habe aber eine Streichung nicht durchsetzen können.
An anderer Stelle ist man weniger konziliant. »Die Deutschen wollen zum Beispiel die Asylverfahrensrichtlinie verschärfen«, sagt Kopp, etwa, um auch weiterhin auf minderjährige Asylsuchende das besonders restriktive sogenannte Flughafenverfahren anwenden zu dürfen. Darüber hinaus soll die Polizei künftig noch leichter Zugang zu den Fingerabdrücken erhalten, die standardmäßig allen Papierlosen und Asylsuchenden in der EU abgenommen werden und in der EU-Datenbank Eurodac gespeichert sind. Ursprünglich sollte die Datei aufenthaltsrechtlichen Zwecken vorbehalten sein.
Um solche Verschärfungen durchzusetzen, ließen Deutschland und sieben andere Staaten die eigentlich für den 16. Januar angesetzte Abstimmung über die Aufnahmerichtlinie im Europäischen Parlament platzen – offenbar, um Druck auf das Parlament auszuüben. Sie soll nun zusammen mit der Dublin-III-Verordnung, der Asylverfahrensrichtlinie und der Eurodac-Verordnung im Paket beschlossen werden. »Seitens der Nationalstaaten besteht – außer bei der gemeinsam organisierten und bestens funktionierenden Flüchtlingsabwehr an den Außengrenzen – kein Interesse an einem gemeinsamen Asylsystem«, sagt Kopp. »Sie wollen den Status quo wahren und an ihren eigenen nationalstaatlichen Schäbigkeiten im Umgang mit Asylsuchenden festhalten können.«

Erst wenige Tage zuvor hatte Friedrich bekanntgegeben, dass die Asylbewerberzahlen in Deutschland in den letzten Wochen stark zurückgegangen sind. Zwar war die Zahl der Erstanträge im gesamten vergangenen Jahr um 41 Prozent auf rund 65 000 – den höchsten Stand seit zehn Jahren – gestiegen. Doch im Dezember brach die Kurve deutlich ein. Friedrich erklärte das damit, dass Anträge aus Serbien und Mazedonien – diese hatten im Herbst überproportional zugenommen – »vorrangig bearbeitet« werden. Gemeint ist: Sie werden sofort abgelehnt. Von rund 13 000 Antragstellern aus Serbien und Mazedonien, die meisten von ihnen Roma, hat Deutschland im Jahr 2012 nicht einen einzigen als asylberechtigt im Sinne des Grundgesetzes anerkannt. »Die Botschaft ist angekommen: Wer zu Unrecht Asyl beantragt, muss innerhalb kürzester Zeit unser Land wieder verlassen«, behauptete Friedrich. Noch im Oktober hatten er und andere Innenpolitiker der Unionsparteien mit Verweis auf die Asylanträge von Roma aus Serbien eine Offensive gestartet, um die sich abzeichnenden Verbesserungen beim Flüchtlingsrecht zu behindern. Sie versuchten deshalb, die Visafreiheit für Serben in der EU abzuschaffen, die Bargeldleistungen für Flüchtlinge einzuschränken und die Liste mit sicheren Herkunftsstaaten, deren Bürger keine Asylanträge mehr stellen können, zu erweitern. Wirklichkeit geworden ist davon – bisher – nichts. Doch die Verhandlungen um das neue Asylbewerberleistungsgesetz laufen noch.

Erfolg hatte Friedrich jedoch bereits damit, die Reisefreiheit auf dem Balkan für Roma teilweise außer Kraft zu setzen. Pro Asyl und Bürgerrechtsorganisationen berichten von Ausreiseverhinderungen durch Serbien und Mazedonien. Diese seien »mit großer Wahrscheinlichkeit« für den Rückgang der Antragszahlen mitverantwortlich. Die stellvertretende serbische Ministerin für Europäische Integration, Suzana Grubješić, sagte im November, dass in der zweiten Jahreshälfte 2012 rund 5 000 serbische Bürger und Bürgerinnen, die in Westeuropa Asyl suchen wollten, im Zuge verschärfter Grenzkontrollen bereits an der serbischen Grenze zurückgewiesen wurden. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der an der Ausreise gehinderten Personen Roma oder Angehörige anderer Minderheiten waren. Nach Serbien abgeschobene Asylbewerber werden polizeilich vorgeladen. In Serbien wird neben anderen Maßnahmen zur Ausreiseverhinderung diskutiert, ob den Betroffenen für eine bestimmte Zeit der Reisepass entzogen werden kann. Rund 20 Jahre nach dem Ende des Warschauer Pakts sorgt Deutschland somit dafür, dass die Staaten Osteuropas ihre Bürger wieder einsperren.