Das Buch »Style Politics«

Black Power

Style als Waffe. Philipp Dorestal untersucht in einem neuen Buch, wie zur Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung die Wahl der Klamotten und Frisuren politisiert wurde.

Am 1. Juni 1943 erhielt ein junger Afroamerikaner mit dem Spitznamen Detroit Red per Einschreiben die Aufforderung der amerikanischen Armee, sich zur Musterung zu begeben. Er hatte jedoch etwas anderes im Sinn. Er pflegte kleinkriminelle Geschäfte, die sich perfekt mit dem New Yorker Nachtclubleben verbanden. Für ein Land zu kämpfen, das zwar Europa befreien wollte, nicht aber ihn samt seiner schwarzen Brüder und Schwestern, war nicht unbedingt in seinem Interesse. Außerdem war die Uniform der amerikanischen Armee auch bei weitem nicht so stylish wie sein Zootsuit, der Anzug, den die Hipster im Nachtleben gerne trugen, wenn sie zum Tanzen ausgingen. Natürlich wurde die Musterung zur Performance, Red trug seinen langgeschnittenen, bis zu den Knien gehenden Anzug aus farbig-grellem Stoff, dazu gelbe Schuhe mit Knopfspitzen und seine geglätteten, frisch rot gefärbten Haare. Detroit Red, der bürgerlich Malcolm Little hieß und später unter dem Namen Malcolm X bekannt werden sollte, wurde abgelehnt.
Schnell sollte sich der Zootsuit zum Zeichen eines hedonistischen, verschwenderischen Lebensstils entwickeln, dem insbesondere mexikanische und afrikanische Einwanderer frönten und der die disziplinierte, nationalistische Atmosphäre in den Zeiten des Krieges konterkarierte. Am 3. Juni 1943, also gleichzeitig mit Malcolms Musterungstermin, begannen die Zootsuit-Riots, in denen mehr als 50 weiße Matrosen auf die Anzugträger losgingen, sie auf der Straße auszogen und die Zootsuits zerrissen oder verbrannten. Die Riots dauerten zehn Tage, in ihrem Verlauf wurden farbige Einwanderer von Tausenden Armee-Angehörigen zusammengeschlagen, ausgezogen und gedemütigt. Dazu trat gar noch ein Gesetz in Los Angeles in Kraft, das das Tragen von Zootsuits mit 30 Tagen Haft bestrafte.
Dieses Ereignis ist für den Kulturwissenschaftler Philipp Dorestal ein früher Kristallisationspunkt der Kämpfe um die sogenannten Style-Politiken, die im Spannungsfeld von Mode, Geschlecht und Schwarzsein seit den vierziger Jahren in den USA entstanden, um Fragen von Rassismus, Gleichberechtigung, Devianz und Widerstand zu artikulieren. In seiner Studie, die den Zeitraum von 1943 bis 1975 umfasst, lässt Dorestal die performative Dimension der Sit-ins und Freedom Rides Revues passieren und seziert den Radical Chic der Black Panther Party, aber auch den der Yippies, der Frauenbewegung und der Nation of Islam.
In einem Nachruf auf den Künstler Mike Kelley, der sich voriges Jahr das Leben nahm, erinnerte Diedrich Diederichsen an dessen vielfache Qualitäten: Eine davon war, so Diederichsen, dass Kelley immer einen berechtigen Groll gehegt habe »gegen die Europhilie der kritischen Intelligenz der USA, die erst 17 Ausstellungen über den Situationismus bräuchte, bevor sie mal eine einzige über die Black Panthers zustande kriegte.«
Die Black Panthers blieben immer ein Rand­thema, an der Mainstreamisierung wissenschaftlicher Methoden wie den Cultural Studies, die die theoretische Basis auch dieser mehr als 350 Seiten umfassenden Diskursanalyse bilden, sind sie nicht schuld. Ein bisschen Müdigkeit ob des wissenschaftlichen Ansatzes kommt dennoch auf. Zwei Jahrzehnte nach der Etablierung der Cultural Studies, die ja in ihrer spannenden Anfangsphase gerade schwarze Subkulturen bevorzugt als Orte des Widerstands analysierten, scheinen diese in den letzten Jahren an ihre Grenzen zu geraten.
Manchmal scheint es so, als sei mittlerweile fast jedes Objekt der Popkultur hinreichend auf ästhetische Gesten und subversive Potentiale untersucht worden. Galten die Cultural Studies in ihrer Pionierzeit in den neunziger Jahren noch als Bindeglied zu marxistischen Positionen, klassenbezogenen Analysen und antirassistischer Aufklärung, wurde die große Analysedisziplin der Alltagszeichenwelt irgendwann eher zum Vakuum. Über Pop, Stil und die politische Dimension von Mode ließ sich zwar kräftig intellektualisieren, mit den dabei gewonnenen Erkenntnissen jedoch immer weniger politisch handeln.
Doch selbst in einer Zeit, in der mit Style und Performativität allein kein Preis mehr zu gewinnen ist, ist es lohnend, sich zu erinnern, welch eine radikale Interventionskraft die visuellen Politiken von Black Power entfalteten. Selten gab es derartig stringente Strategien der alltäglichen Devianz, die nach dem vergangenen, aber nicht vergessenem Verbrechen der Sklaverei eine glamouröse, ästhetische Militanz ausstrahlten. Dorestal beweist, dass wir es hier mit mehr als pseudo-dissidenter Fashion zu tun haben. Außerdem macht er sich die seltene Mühe, aus intersektioneller Perspektive auch Widersprüchliches zutage zu fördern. Die Verflechtungen von Gender, Race, teilweise auch sexueller Orientierung und natürlich Mode hilft, die Gesten, Styles und Ideologien von damals differenzierter zu betrachten, anstatt den damals aufkommenden schwarzen Nationalismus entweder revolutionsromantisch zu verklären oder ihn im Gegenteil als essentialistische Macho-Bewegung abzustemplen.
Dorestals Stärke ist die Analyse, nicht das Manifest – und dabei ist ihm eine überzeugende Recherche gelungen. Konsequenterweise darf in einer Analyse über schwarze visuelle Kultur auch das Blaxploitation-Kino nicht fehlen, das erste Kino, in dem schwarze Protagonisten nicht nur hinreißend cool aussahen, sondern gar den gesamten Filmverlauf als Figuren auch überlebten, ohne als heruntergekommene Gefängnisinsassen oder dankbar lächelnde Diener zu enden. Ausgehend von den überzogenen Disco- und Pimp-Styles dieser Anti-Helden, lässt sich der Autor gar auf eine Diskussion über deren Queerness ein.
Schade eigentlich, dass das Buch in den Siebzigern endet. Man würde gerne weiterlesen, die Linien der schwarzen Style-Politiken bis heute weiterverfolgen. Wie würde beispielsweise HipHop bewertet werden? Ist die politische Phase der schwarzen Style-Politiken heute vorüber oder lässt sich gar der Wahlerfolg Obamas auch durch Style besser erklären? Vielleicht schreibt Dorestal irgendwann ja noch einmal ein Buch, das ihm hoffentlich ähnlich gut gelingt wie dieses.

Philipp Dorestal: Style Politics – Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943–1975. Transcript, Bielefeld 2012, 369 Seiten, 32,80 Euro