Jobcenter vermitteln immer mehr an Zeitarbeitsfirmen

Die neuen Tagelöhner

Immer mehr Arbeitssuchende werden von den Jobcentern in die Zeitarbeit gedrängt.

Wer beim Jobcenter einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen muss oder sich auf den Seiten der »Jobbörse«, der offiziellen Stellenvermittlungsbörse der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Internet, auf Arbeitssuche begibt, hat wenig Aussicht darauf, einen Job zu finden, von dem man leben oder sich eine Zufkunft aufbauen kann. Dass mittlerweile ausgerechnet die BA der denkbar schlechteste Partner bei der Jobsuche ist, hat mehrere Gründe. Zum einen stellt die BA ihre »Jobbörse« zahlreichen privaten Stellenvermittlern zur Verfügung, die in Form sogenannter Vermittlungsgutscheine Provisionen für eine Leistung einfordern, die eigentlich von der BA selbst zu erbringen wäre. Zum anderen arbeitet die BA immer häufiger mit Zeitarbeitsfirmen zusammen. Einzelne Jobcenter in Berlin gehen dabei sogar so weit, private Zeitarbeitsfirmen in ihren Räumlichkeiten sogenannte Messen abzuhalten zu lassen. Zu solchen Veranstaltungen werden die »Kunden« der Jobcenter mit einem Rechtsfolgebescheid eingeladen.

Diese Praxis hat solche Ausmaße angenommen, dass mittlerweile die Medien darauf aufmerksam geworden sind: »Schnell vermittelt, schnell wieder arbeitslos«, titelte Spiegel Online Mitte Januar. »Ein immer größerer Anteil von Arbeitslosen wird in die Zeitarbeit vermittelt anstatt in normale Beschäftigungsverhältnisse.« Im Boomjahr 2010 habe der Anteil der Zeitarbeit bei den Vermittlungen sogar über dem regulärer Beschäftigungsverhältnisse gelegen, berichtete Spiegel Online.
Diejenigen, die vom Jobcenter in schlecht bezahlte und oft befristete Zeitarbeitsverhältnisse vermittelt werden, verdienen häufig so wenig, dass sie beim Jobcenter einen Antrag auf Aufstockung stellen müsssen. Die Zeitarbeitsfirmen werden so aus Steuergeldern subventioniert. Wenn das befristete Arbeitsverhältnis endet, landen viele wieder unmittelbar beim Jobcenter. Den Mitarbeitern der Jobcenter muss diese Misere gleichgültig sein, schließlich werden sie nach der Anzahl ihrer Vermittlungen bewertet und nicht danach, ob sie mit ihren »Kunden« eine vernünftige berufliche Perspektive entwickelt haben. Arbeitslose, die in einem Zwei-Wochen-Job untergekommen sind, werden in der Statistik als vermittelt beziehungsweise integriert geführt. Auf diese Weise kommen die Erfolge zustande, die von der BA vermeldet werden. Nachhaltigkeit ist dort kein Thema.

»Wir werden nach der Anzahl unserer ›Integrationen‹ bewertet«, berichtet die Mitarbeiterin eines Berliner Jobcenters. »Als erfolgreiche ›Integration‹ gilt bereits eine Vermittlung, die eine Beschäftigung von mindestens acht Tagen zur Folge hat. Ich habe ›Kunden‹, die habe ich schon drei Mal vermittelt.«
Statistisch gesehen entsteht der Eindruck einer hohen Anzahl von Vermittlungen von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt. Tatsächlich sind viele Vermittelte jedoch schon kurz nach der Vermittlung wieder arbeitslos. Einem Bericht der Welt zufolge ist das bei gut der Hälfte der Betroffenen innerhalb der ersten drei Monate nach der Arbeitsaufnahme der Fall.
Dass die Mitarbeiter der Jobcenter bei der Vermittlung von Arbeitslosen auf diese Problematik wenig Rücksicht nehmen können, liegt unter anderem daran, dass in vielen Fällen auch ihre Tätigkeit bei der BA befristet ist. Beispielsweise droht sämtlichen Mitarbeitern der BA, die 2011 im Rahmen der sogenannten »Berliner Joboffensive« eingestellt wurden, bald die Entlassung. Im März laufen ihre Zweijahresverträge aus. Auf eine Verlängerung oder eine Entfristung können nur diejenigen hoffen, die sich in den vergangenen zwei Jahren durch eine hohe Anzahl an Vermittlungen besonders hervorgetan haben.

Dass der Gesetzgeber und die BA einen Teufelskreis geschaffen haben, angesichts dessen man Arbeitslosen nur raten kann, beim Jobcenter eher nicht auf Unterstützung zu hoffen, ist der BA mittlerweile selbst aufgefallen. Frank-Jürgen Weise, der Vorstandsvorsitzende der BA, möchte das nun ändern, berichtete Spiegel Online. Weise habe Fehlentwicklungen eingeräumt, in Zukunft will er sich auch an Kriterien wie der Qualität der Vermittlung, dem Kundenwohl und dem Aspekt der Nachhaltigkeit orientieren.
Zu den Fehlentwicklungen gehört sicher auch, dass die »Jobbörse« der BA für Arbeitnehmer, die sich beruflich umorientieren möchten, eine bessere Stelle suchen oder sich einfach informieren wollen, unattraktiv ist. Wer bei der Jobsuche auf die Agentur zurückgreifen möchte, muss alle beruflichen und viele persönliche Daten einpflegen lassen. »Die Dienstleistung der Agentur für Arbeit kann nur in Anspruch nehmen, wer auch bei der Bundesagentur registriert ist«, teilt eine Mitarbeiterin der Bundesagentur in Dresden mit, jeder benötigt eine Kundenummer.
Wer eine solche beantragt, sollte jedoch darauf achten, nicht zu denjenigen zu gehören, die von der BA als Problemfall angesehen werden. »Während seines Besuches«, schrieb die Pressestelle der BA am 15. Januar anlässlich des Besuchs von Joachim Gauck in Nürnberg, »informierte sich der Bundespräsident über die Lage auf dem Arbeitsmarkt und nutzte die Gelegenheit, um mit BA-Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Themenschwerpunkt war hierbei die Integration von Personengruppen, die am Arbeitsmarkt vor besonderen Schwierigkeiten stehen. Der Bundespräsident interessierte sich dabei vor allem für die Frage, wie die BA sich um benachteiligte Jugendliche, Ältere, Migranten und Frauen kümmert.«
Ältere, Migranten und Frauen machen zusammen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung aus. Gern gesehen sind bei der Bundesagentur also offenbar lediglich Männer, die als jung bezeichnet werden können. Vielleicht, weil sie sich am besten für die Zeitarbeit eignen?