Berlin Beatet Bestes. Folge 177

Führerwechsel

Berlin Beatet Bestes. Folge 177. Winifred Atwell: Boogie in the Groove (1956).

Ich hatte richtig Angst und kurz bevor es losgehen sollte, hätte ich beinahe doch noch gekniffen. Gestern hatte ich meinen ersten Tanzkurs als Follower. Lindy Hop ist ein Paartanz und wie in allen Paartänzen führt jemand und jemand anders folgt. Natürlich lassen sich diese Rollen beliebig wechseln, wenn die Tanzpartner den Rollenwechsel beherrschen. Jede Rolle muss allerdings gelernt werden. Ich will unbedingt lernen als Follower zu tanzen, aber ohne einen Kurs geht es nicht, denn abends auf der vollen Tanzfläche ist keine Zeit und kein Platz, um in Ruhe zu üben. Bisher habe ich gelegentlich mit Frauen getanzt, die auch führen können und mein Rumgestolper hat mir immerhin so viel Spaß gemacht, dass ich mich jetzt auch endlich in einem Kurs als Follower angemeldet habe. Zuhause hatte ich schon ein wenig geübt, die Followerschritte zu tanzen, trotzdem war ich nicht darauf vorbereitet, mit Männern zu tanzen. Als ich vor zwei Jahren anfing, tauchten in unseren Kurs auch schon Männer auf, die den Rollenwechsel lernen wollten. Diese fortgeschrittenen Tänzer haben mich damals als Anfänger sehr irritiert. Die plötzliche Intimität und körperliche Nähe zu mir völlig fremden Frauen empfand ich schon als seltsam genug. Große, schwitzende Männer zu bewegen, die schon viel besser tanzten als ich, machte mir überhaupt keinen Spaß. Später verwischt die Sportlichkeit des Tanzes das Befremden über die körperliche Nähe des Tanzpartners. Der Körper des anderen wird bewegt, genauso wie der eigene. Bewegungen gehen buchstäblich Hand in Hand und es wird völlig normal, fremde Menschen zu berühren.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, es Anfängern zu ersparen, diese Erfahrung mit einem männlichen Follower zu machen, aber jetzt stand ich doch in der Runde und legte meinen linken Arm auf die Schulter eines fremden Mannes, der gerade eben seine ersten Tanzschritte machte. Meine rechte Hand legte ich in seine Hand und ich versuchte, möglicht aufmerksam und entspannt zugleich zu sein. Als Leader und vielleicht sogar als Mann im Allgemeinen, habe ich immer eine gewisse Grundspannung, die vor allem etwas mit der Muskulatur zu tun hat. Die versuchte ich jetzt abzustreifen. Aber es war nicht so leicht, mein Handgelenk in der Hand eines kräftigen Hünen zu entspannen, dessen Hand doppelt so groß wie meine war. Zum Glück schien dieser Anfänger noch viel aufgeregter zu sein als ich. Irgendwie beruhigte mich das und ich konzentrierte mich mehr auf meine Schritte. Nach einigen Minuten hieß es wieder: »Partnerwechsel!« Der Nächste hatte für jemanden, der gerade seine erste Tanzstunde hatte, einen bemerkenswert guten »Bounce« und ich konnte ihm gut folgen. Im Laufe der Stunde legte sich meine Aufregung und es fing an Spaß zu machen. Vor mir standen keine Männer mehr, sondern einfach nur Tanzpartner. Wir tanzten zu Winifred Atwell, der Königin des Boogie-Pianos in den Fünfzigern. Ob Mann oder Frau, niemand hatte den Boogie so drauf wie sie.