Der Machtverlust des Westens und die Interventionspolitik

Schwere Artillerie

Der Machtverlust der westlichen Staaten zwingt diese zu einer außenpolitischen Um­orientierung, isolationistische Ansichten gewinnen an Einfluss.

Ja, aaaber – so lässt sich die Haltung der Bundesregierung zur Intervention in Mali zusammenfassen. Nachdem Verteidigungsminister Thomas de Maizière Frankreich »volle politische Unterstützung« zusicherte, kam er zu den Ausflüchten. Es müsse »klug und nachhaltig reagiert« werden, man benötige »einen nationalen Konsens in Mali« und »abgestimmte Zeitpläne«, später könne dann »eine Entscheidung der EU getroffen werden und dann die Entscheidung über die Beteiligung der Bundeswehr«.
»Man hat schon enthusiastischere Minister gesehen«, kommentierte Frédéric Lemaître im Blog von Le Monde. Die Bundesregierung weiß mit dem Krieg in Mali offenbar wenig anzufangen. Die ständig beschworene »europäische Solidarität« erfordert eine Geste der Unterstützung, deshalb sollen nun deutsche Flugzeuge westafrikanische Truppen und ihre Ausrüstung transportieren. Wer die Debatte darüber verfolgt, ob die Unterstützung etwas bedeutender ausfallen sollte, bemerkt schnell, dass vor allem der sinkende Einfluss Deutschlands Anlass der Sorge ist.
Dieser Machtverlust ist jedoch eine zwangsläufige Folge einer sich verspätet erfüllenden Prophezeiung von Karl Marx. Er erwartete bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine Entfesselung der Produktivkräfte in den Kolonien. Dazu kam es erst nach dem Ende der Kolonialzeit, und, da der Kapitalismus immer durch ungleiche Entwicklung geprägt ist, nicht überall. »Die billigen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt«, heißt es im Kommunistischen Manifest über die Bourgeoisie. Mittlerweile hat China es verstanden, »die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen« und die Zollmauern des Westens zu überwinden.
Ohne die Überlegenheit, die eine weit höhere Produktivität ihnen verschaffte, sind die westlichen Staaten zu einer Umorientierung gezwungen. Deutschland will vor allem die Feuerkraft seiner erprobten »schweren Artillerie« steigern, Außenpolitik ist, sieht man von den obligatorischen Bekundungen über Solidarität und Werteorientierung ab, ein Mittel zur Exportsteigerung. Um politische Belange sollen sich andere kümmern. Doch auch in traditionell interventionsfreudigeren Staaten wie den USA und Großbritannien gewinnt die Ansicht, man habe daheim genug Probleme, an Einfluss.
Es wäre illusionär, der Bourgeoisie, die ihre revolutionäre Tradition selbst längst vergessen hat, ein grundsätzliches Interesse an der Demokratisierung zu unterstellen. Doch die meisten Militärinterventionen nach dem Ende des Kalten Krieges richteten sich gegen Rechtsextremisten, so etwa 1994 gegen Todesschwadronen in Haiti, 1999 gegen indonesische Nationalisten in Osttimor und seit 2001 gegen die Taliban in Afghanistan. Bei den Interventionen im subsaharischen Afrika geht es um die Wiederherstellung einer staatlichen Ordnung, also um die Reintegration in die kapitalistische Weltwirtschaft, und, sofern Jihadisten am Konflikt beteiligt sind, um Sicherheitspolitik. Die Bilanz ist unterschiedlich, wäre aber nicht besser, hätte es keinen Militäreinsatz gegeben. Die reflexhafte Ablehnung jeglicher Intervention hilft daher weder der Linken noch den Menschen in den betroffenen Ländern.