Angela Furmaniak im Gespräch über Spitzel unter Fußballfans

»Der Kampf gegen Rechtsextremismus als Feigenblatt«

In den vergangenen Wochen wurde durch parlamentarische Anfragen von Piraten- und Linkspartei bestätigt, was bislang nur ein Gerücht war: In mehreren Bundesländern bespitzelt die Polizei Fußballfans durch Informanten in der Szene. Die Jungle World sprach darüber mit Angela Furmaniak. Sie ist Rechtsanwältin in Lörrach und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte. Die 43jährige arbeitet schwerpunktmäßig im Umfeld des VfB Stuttgart.

Gerüchte über V-Leute in der Fußballszene gab es schon länger. Wodurch wurde diese Vermutung jetzt zur Gewissheit?
Zuerst musste das Innenministerium in Bayern zugeben, dass in der Fanszene des 1. FC Nürnberg im Juli ein Versuch, jemanden als V-Mann anzuwerben, stattgefunden hat. Definitiv bestätigt wurde eine solche Praxis nun in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. In Berlin wurde zumindest bestätigt, dass es im Rahmen der Weltmeisterschaft 2006 zum Einsatz von V-Leuten kam. Antifaschistische St.-Pauli-Fans sollen sich zudem im Visier des dortigen Verfassungsschutzes befinden. Natürlich wird mir als Anwältin, auch wenn ich viel mit der Polizei zu tun habe, von den einzelnen Behörden nicht mitgeteilt, wann, wo und in welchem Ausmaß V-Leute in diesem Bereich eingesetzt werden. Ich gehe allerdings davon aus, gerade vor dem Hintergrund der Hysterie im Fußball in den letzten Monaten, dass noch weit mehr Bundesländer davon betroffen sind.
Auch für die Fanszene des VfB Stuttgart, mit der Sie besonders vertraut sind, wurde von der dortigen Polizei ein solches Vorgehen bestätigt. Was wissen Sie darüber?
Die Gerüchte, dass es auch hier so etwas geben könnte, existierten schon länger. Aber V-Leute zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie nicht offen agieren. Deswegen ist es schwer, dazu Genaueres zu sagen. Mir sind jedenfalls keine Zahlen bekannt, oder wann, wo und gegen welche Gruppen solche Einsätze stattfinden.
Aber es handelt sich in der Regel um V-Leute der Polizei, nicht des Verfassungsschutzes?
Davon gehe ich aus. Wobei man dazu wissen muss: V-Leute sind keine verdeckten Ermittler. Es handelt sich nicht um Polizeibeamte, die in bestimmte Kreise eingeschleust werden. V-Leute sind ganz normale Privatpersonen ohne irgendeine Art von besonderer Ausbildung, die selbst zu einer bestimmten Szene gehören und als Informanten von der Polizei genutzt werden.
Ein Dezernatsleiter der Stuttgarter Polizei sagte, diese Einsätze richteten sich »nicht gegen den VfB, die Stadionbesucher oder spezielle Fan-Gruppierungen«. Man spähe auch nicht die Ultragruppe Commando Cannstatt aus. Es gehe lediglich um Gefahrenabwehr. Wie beurteilen Sie diese Behauptung?
Bis vor kurzem waren solche V-Personen-Einsätze und deren Voraussetzungen in Baden-Württemberg rechtlich überhaupt nicht geregelt. Erst seit dem 13. Januar ist das neue Polizeigesetz in Kraft, in dem es erstmals Bestimmungen dazu gibt. Dabei wird sehr schnell klar, dass ein V-Leute-Einsatz gesetzlich einen absoluten Ausnahmefall darstellt. Präventiv ist er möglich, aber nur wenn es um Verbrechen oder schwere Vergehen geht. Deshalb halte ich solche Einsätze im Fußballkontext für extrem bedenklich, in den allermeisten Fällen dürften sie sogar rechtswidrig sein. Wenn die Polizei ernsthaft das Abbrennen von Pyrotechnik als Rechtfertigung für den Einsatz von V-Leuten verwenden will, dann halte ich das für hochgradig problematisch, weil komplett unverhältnismäßig.
Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) sprach kürzlich davon, es handele sich lediglich um Einzelfälle, bei denen es um die Abwehr von Straftaten gehe.
Ich würde das sehr gerne glauben. Aber man muss sich klar machen: Ein V-Mann in der Fußballszene liefert zunächst mal Informationen. Diese wird er sicherlich nicht danach auswählen, was die rechtlichen Voraussetzungen sind und welche Informationen er weitergeben darf. Letztlich entscheidet dann die Polizei, welche Informationen sie offiziell verwertet. Ich schätze dabei, dass auf jede Information, die rechtlich zulässig ist, über 150 kommen, für die das nicht gilt. Ein V-Mann wird seinem V-Mann-Führer eher nicht sagen: Übermorgen findet da und da eine Schlägerei statt. Sondern er wird Informationen liefern wie: Wer gehört zu welcher Gruppe, wer bewegt sich in welchem Dunstkreis, wer ist befreundet mit wem. Das führt dazu, dass die Polizei Erkenntnisse über Personen erhält, die sie auf legalem Wege niemals bekommen würde.
Es stellt sich ja auch die Frage: Welchen Wert haben Informationen, für die die Polizei Geld bezahlt?
Ich würde da sogar noch weitergehen: So ein ­V-Mann steht mit Sicherheit unter Druck, Informationen zu liefern. Man kann nur mutmaßen, wie die Polizei an ihre V-Leute kommt. Ich unterstelle mal, dass sie sich Leute raussucht, die Pro­bleme haben, mit der Familie, mit Strafverfahren, usw. Die lassen sich dann auf einen solchen Deal ein. In der Situation stehen diese Personen dann natürlich unter dem Erwartungsdruck, tatsächlich Informationen zu liefern. Wenn sie zudem noch dafür bezahlt werden, gibt es einen gewissen Anreiz, mehr Informationen zu liefern als man tatsächlich hat. Im Übrigen zeigt die Erfahrung mit V-Leuten in anderen Bereichen, dass Straftaten oft gerade von V-Leuten initiiert werden.
Was raten Sie denn als Anwältin Menschen, die mit solchen Anwerbeversuchen konfrontiert sind?
Ich rate ihnen auf jeden Fall, das Gespräch mit der Polizei sofort abzubrechen und den Vorgang öffentlich zu machen. Damit machen sie der Szene klar, dass es solche Versuche gibt, aber auch, dass das mit ihnen nicht läuft.
Andreas Rettig, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), deutete kürzlich an, dass zur Bekämpfung rechter Gewalt in Fußballstadien der Einsatz von V-Leuten möglicherweise angemessen sei.
Ich möchte davor warnen, den an sich sehr lobenswerten Kampf gegen Rechtsextremismus als Feigenblatt dafür zu benutzen, Bürgerrechte auszuhöhlen. Wir erleben in letzter Zeit sehr oft, dass neue Instrumentarien vorgeblich für den Kampf gegen rechts geschaffen werden. Die Erfahrung zeigt aber, dass diese Instrumentarien sehr schnell auf andere Bevölkerungskreise ausgedehnt werden. Zumal der Einsatz Dutzender V-Leute von Verfassungsschutzbehörden nicht dafür gesorgt hat, dass die Morde des »Nationalsozialistischen Untergrundes« verhindert oder schnell aufgeklärt wurden. Dabei sollte auch nicht vergessen werden, dass es die heute so oft angefeindeten Ultragruppen waren, die vor zehn bis 15 Jahren dafür gesorgt haben, den dumpfen Rechtsradikalismus aus den Fankurven zu verbannen.
Viele wünschen sich mehr Dialog zwischen Politikern, Polizei, Verbänden, Vereinen und den Fans. Mitglieder von Faninitiativen beklagen angesichts der Bespitzelungen nun den endgültigen Bruch des Vertrauens, das für einen Dialog notwendig ist.
Das sehe ich ganz genauso. Dasselbe Probleme erlebe ich in den mir bekannten Kreisen. Ein aufrichtiger Dialog auf Augenhöhe erfordert eine gewisse Vertrauensebene. Die Polizei torpediert das mit ihren V-Leute-Einsätzen. Wenn ich eine Kurve mit mehreren tausend Leuten derart kriminalisiere und stigmatisiere, muss ich mich nicht wundern, wenn dort die wenigen, die wirklich eine Gewaltaffinität haben, mehr und mehr die Oberhand gewinnen.