Endlich mal richtig arm sein

Wer knapp 15 000 Euro Eintrittsgeld verlangt, muss seinen Gästen etwas bieten. Das ist nicht so einfach bei den verwöhnten Teilnehmerinnen und Teilnehmern des jährlichen Treffens des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos, die Gastgeber haben sich jedoch etwas einfallen lassen. In diesem Jahr durften die Gäste für eine Stunde Slumbewohner spielen, die sich mit dem Tütenkleben ein paar Cents verdienen müssen. Voriges Jahr gab es den »Refugee Run«. Sehr realistisch sind die Simulationen allerdings nicht. So hätte man den Tütenklebern wenigstens ein Abführmittel verabreichen müssen, um das Leben im Slum mit schmutzigem Wasser und ohne medizinische Versorgung halbwegs authentisch zu gestalten. Und der Flüchtlingssimulation würde waterboarding, um das Ertrinken im Mittelmeer zu veranschaulichen, etwas mehr Thrill verleihen.
Aber es zählt ja der gute Wille, und den möchte die »globale Elite« demonstrieren. Es wird so viel von sozialer Verantwortung, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit geschwatzt, dass man glauben könnte, einem Attac-Kongress beizuwohnen. Sogar leibhaftige Gewerkschafter hat man in Davos gesichtet, und für das Unterhaltungsprogramm werden seit einigen Jahren gerne NGOs wie Crossroads Foundation engagiert, die die Empathiesimulationen anbietet. Sie geben der allgemeinen Verantwortungssimulation einen nachhaltigen human touch, im wirklichen Leben geht es allerdings weiter wie gewohnt. So wurde festgelegt, dass jedes fünfte Delegationsmitglied eine Frau sein muss, daher schickten viele Unternehmen nur vier Männer. Selbstverständlich waren auch diesmal Repräsentanten namhafter Diktaturen anwesend, unter anderem Turki al-Faisal al-Saud, der als saudischer Geheimdienstchef nachhaltig foltern ließ. Dass auch der Syrer Abdulsalam Haykal, ein »Young Global Leader« des WEF, kommen darf, kann als Zeichen der Empathie für bedrängte Geschäftsleute gelten, denn sein Magazin Forward sollte der Welt ein fortschrittliches Syrien präsentieren, hat aber mit Schlagzeilen wie »2012 is a year of hope« (Dezember 2011) keinen Markterfolg mehr. Wenn die Einschläge zu laut werden, lässt sich die Realität nicht gänzlich wegsimulieren. Dem Rest der globalen Geschäftswelt aber geht es erstaunlich gut, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Man nimmt ihre Repräsentanten immer noch ernst, hält sie gar für Experten. In mancherlei Hinsicht sind sie das ja auch, doch ihre wahren Talente verbergen sie. Vorträge wie »Alle Welt schmieren und damit davonkommen« (Siemens), »Wie ruiniere ich die Wirtschaft eines europäischen Partnerlandes in nur zwei Jahren?« (Angela Merkel) und »Ohne Ende Staatsknete kassieren und dabei so tun, als sei man der coolste Privatbanker der Galaxis« (Josef Ackermann) stehen leider nicht auf dem Programm.