Großbritannien und die EU

Moderne Patrioten

Großbritannien hat von der EU-Mitgliedschaft profitiert, doch in der Krise gehen viele Konservative auf Abstand.

Eine leidenschaftliche Beziehung war es nie. Seit ihrer Gründung pflegt Großbritannien eine spezielle Beziehung zur Europäischen Union, doch nun hat Premierminister David Cameron die EU-Mitgliedschaft seines Landes sogar explizit in Frage gestellt. Großbritannien, das definitiv nicht dem Euro beitreten möchte, müsse sich sorgen, wenn sich die EU in eine Fiskal- und Bankenunion transformiere, sagte er vorige Woche. Bleibe es dabei, dann werde er in fünf Jahren ein Referendum über den Verbleib in der EU abhalten lassen.
Die naheliegende Vermutung, Cameron wolle vor allem die europa-skeptischen Mitglieder seiner konservativen Partei beruhigen, greift zu kurz. Der britische Premierminister verfolgt nationale Interessen und unterscheidet sich dabei nicht allzu sehr von seinen Vorgängern wie Tony Blair. Unterschiedliche Vorstellungen über die europäische Integration gibt es seit dem britischen EU-Beitritt vor vier Jahrzehnten. Während man auf dem Kontinent eine weitergehende politische Vereinigung zumindest rhetorisch beschwor, betrachteten britische Politiker die Union stets als eine Art erweiterte Freihandelszone mit politisch weitgehend autonomen Nationalstaaten.
Tatsächlich ergaben sich aus der EU-Integration zahlreiche Vorteile für Großbritannien. Die Einführung eines gemeinsamen Binnenmarktes kam britischen Unternehmen zugute. Rund die Hälfte aller Exporte gehen heute nach Kontinentaleuropa. Besonders profitierte das Land von der EU-Osterweiterung, die neben neuen Märkten auch dringend benötigte Arbeitskräfte brachte. Vor allem aber entwickelte sich der Großraum London zum Finanz- und Dienstleistungszentrum für Europa und zu einem der wichtigsten Bankenplätze der Welt. Dafür nahm die politische Klasse in London auch Nachteile in Kauf, etwa die ungeliebten Beschlüsse über einheitliche Sozialstandards oder bürokratische Auflagen. »Eine Isolation von Europa ist nicht patriotisch, sondern die Verleugnung unseres wahren nationalen Interesses«, sagte noch vor wenigen Jahren der damalige Premierminister Tony Blair. Mit seinem Plädoyer für einen »modernen Patriotismus« setzte er sich in seinem Wahlkampf erfolgreich vom traditionellen konservativen Motto »proud to be British« ab.
Doch mit der Banken- und Schuldenkrise in Europa änderte sich das Bild. Nach jahrelangem Streit zeichnet sich mittlerweile eine engere Kooperation der Euro-Staaten im Finanzsektor ab. Dass ein deutscher Finanzminister vielleicht bald über die Londoner City mitentscheidet, ist wohl eine der schlimmsten Vorstellungen für die britische Politik. »Kurz nach der Finanzkrise 2009 waren wir uns alle einig, dass jeder Finanzplatz, jeder Finanzmarktakteur und jedes Finanzprodukt reguliert werden muss«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich. »Wir sind heute weit davon entfernt.« Wer diese Entwicklung angeblich blockiert, ist kein Geheimnis. So beschlossen die EU-Staaten nach langen Verhandlungen vorige Woche eine Transaktionssteuer – ohne Großbritannien. Eine weitergehende Re­gulierung des europäischen Banken- und Finanzsektors ist mit Großbritannien nicht zu machen, weil es dadurch Wettbewerbsvorteile verlieren könnte. Was in fünf Jahren jedoch als patriotisch gilt und was nicht, wird heute vermutlich nicht einmal Cameron wissen.