Über Josep Guardiola

Tod oder Guardiola

Warum der Berg zum Propheten muss.

Es ist ganz leicht, jetzt skeptisch zu sein. Viele sind es, weil’s einfach zu großartig ist: Ein schwerreicher Verein engagiert den besten Trainer der Welt – das kann nur schiefgehen. Journalisten funktionieren genauso wie auch all die anderen Herdentiere, die auf Gottes weiter Scheibe ihre Kreise ziehen. Es geht im Grunde nie um etwas anderes als darum, sich vom Rest der Herde zu unterscheiden. Am besten tut man das mit einer Meinung, denn anders als begründete Gedanken oder ein guter Schreibstil kosten Meinungen nichts. Da aber alle ausscheren wollen, kommt es vor, dass bei einem heißen Thema doch wieder alle im selben Strom schwimmen. Ich spreche übrigens, sollten wem jetzt die Verteidiger des Jakob Augstein eingefallen sein, immer noch vom neuen Trainer der Bayern, Josep Guardiola, und davon, dass die meisten Kommentatoren ihren Jubel mit einem Wenn-das-mal-gutgeht abgemildert haben. Skepsis ist was für Sissis. Ich sage: Fickt euch, Guardiola wird siegen. Weil er Fußball kann.
Klar, mit dem MSV Duisburg könnte er es nicht. Trainer bleiben, wie sie sind. Ottmar Hitzfeld ließ bei Bayern seinen immergleichen Verwaltungsfußball spielen, und der blieb genauso hässlich und anspruchslos, als eines Tages ein Franck Ribéry seine singuläre Klasse in den Kader einbrachte. Felix Magath hat seinen Blut-und-Schweiß-Fußball zu der Zeit, da er noch als Feuerwehrmann für kleinere Vereine galt, stets mit dem vorhandenen Spielermaterial begründet. Während er dann bei Bayern tätig war, machte er jedoch nichts anders. Als Louis van Gaal bei den Bayern 4-4-2, mit Ribéry als Zehner, spielen sollte, ging das genau drei Wochen gut. Vielmehr gar nicht gut. Dann rückte er Ribéry auf die Außenposition und holte Robben, um endlich über die Flügel kommen zu können. Trainer können immer nur eine Art des Spiels, ihre Art. Auch Wenger, auch Mourinho, auch Guardiola. Ein guter Trainer ist nicht einer, der viele Systeme kann, sondern einer, der sein System so gut beherrscht, dass es in Erfolg umschlägt. Guardiola kann das System Barça, und Bayern ist nicht Barça.
Aber Bayern ist auch nicht Duisburg. Der Kader hat seine Stärken und durchaus ein Talent zum Spielerischen. Nur wirkt das im Vergleich zu Barça alles immer irgendwie halbiert. Ich rede jetzt gewiss nicht von Spielern wie van Buyten oder Timoschtschuk, die nicht nur dem Barça-, sondern auch dem Bayern-Standard nicht gerecht werden. Ich spreche auch nicht von Messi, Iniesta, Xavi, Busquets, Fabregas oder Piquet, deren abnorme individuelle Klasse nicht notwendig Voraussetzung ist, um Guardiolas System spielen zu können. Der wird, wenn er Bayern trainiert, die Schnelligkeit beim Zugriff auf den ballbesitzenden Gegner wie auch beim Abspiel noch einmal deutlich erhöhen. Viel wichtiger als das personenbezogene Pressing ist, dem Gegner (aber natürlich pressend) die Passwege zuzustellen. Das erfordert intelligente und vor allem schnell denkende Spieler, die Raumverständnis und körperliche Geschwindigkeit besitzen (zwei Eigenschaften, die nur selten am selben Spieler zu finden sind). Warum spielt Barça trotz seines hohen Ballbesitzes mit nur einem Sechser und nicht, wie Bayern, mit zweien? Weil es das kann. Weil nahezu jeder Spieler im Kader komplett ist, weil die Spieler fast alle auch große Stärken in solchen Bereichen haben, die jenseits ihrer positionsbedingten Aufgabe liegen. Die Bayern haben dagegen ein Ensemble von Inselbegabungen. Robben und Ribéry besitzen eine exzellente Schusstechnik und Ballkontrolle, aber beiden fehlt die Fähigkeit wie auch die Neigung zum schnellen Passspiel, und zumindest Robben hat weiter große Defizite in der Defensivarbeit. Beide machen das Spiel, so schnell sie mit ihren Füßen auch sind, langsam. Müller hat Intelligenz und Verständnis für Räume, ist aber technisch stark limitiert. Schweinsteiger, als Sechser natürlich ein intelligenter Spieler, hat ein präzises, aber nicht schnelles Passspiel, er braucht Platz und Zeit. Lahm hätte Technik und Schnelligkeit, besitzt aber kein Verhältnis zum Offensivspiel. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Von den Feldspielern des FC Bayern scheinen mir allenfalls Kroos, Alaba und Martínez so weit ohne Leerstelle in der Begabungsstruktur, dass man sie als ideale Spieler für Guardiola bezeichnen könnte. Der Rest ist Neuer und Baustelle. Es kann sein, dass dieses Urteil im Einzelnen ungerecht ist, in der Gesamtschau aber bleibt der Eindruck, dass Guardiola den Kader überfordern dürfte.
Freilich, wenn er viel Zeit, Einfluss auf die Jugendarbeit und einen Batzen Geld für Verpflichtungen erhielte, würde sich bald zeigen, wie gut die vorhandenen Profis entwickelt, die vorhandene Jugend geformt und vorhandene Schwachstellen im Kader durch Zugänge ausgebessert werden können. Bekäme Guardiola also, was man bei Bayern eigentlich nie bekommt, könnte er Erfolg haben. Womit wir bei der sozialen Seite des Problems sind. Man muss ihn machen lassen, aber Macher lassen nicht gern machen. Guardiola erwarten bei Bayern zwei Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen, oder es wird alles Essig.
Das erste Hindernis ist Uli Hoeneß, der ein guter Wirtschafter sein mag, aber zwei große Fehler hat: Zum einen verwechselt er chronisch den Verein mit sich selbst und blickt eifersüchtig auf jeden Erfolg, der nicht unmittelbar von ihm selbst verursacht wurde. Louis van Gaal hat eigentlich nur einen wirklichen Fehler gemacht: nicht geschickt genug und am Ende hauptsächlich aus Trotz gegen Hoeneß agiert zu haben. Aus Sicht von Hoeneß hat er aber viel früher den Fehler begangen, Erfolg zu haben mit einer Spielidee, die so erkennbar nicht von Hoeneß war, dass sich jeder fragte, warum man nicht schon früher so sehr viel weniger falsch gemacht hatte. Zum anderen hat Uli Hoe­neß wenig Verständnis für den Fußball im engeren Sinne des Wortes. Ablesbar aus 30 Jahren Regentschaft ist, dass er nie was anderes gekonnt hat, als auf dem Transfermarkt destruktiv zu agieren. Er hat, wo er es konnte, die Konkurrenz durch Abkauf geschwächt, wobei die Frage, wie gut die abgekauften Spieler bei Bayern funktionieren würden, sich nicht stellte. Er hat damit eine Vereinskultur durchgesetzt, die viel mehr der von Madrid als der von Barcelona ähnelt, und die Kopflosigkeit der Transferpolitik konnte nur über die Jahre dadurch etwas kaschiert werden, dass Hoeneß nie so etwas wie eine Idee des Fußballspiels entwickelt hat. Wo keine Struktur ist, fällt die Unfähigkeit zur Struktur auch nicht auf.
Das andere Hindernis ist Matthias Sammer. Er hat eine Idee vom Fußballspiel, aber die falsche. Die falsche, das heißt: eine andere als Guardiola. Jede Idee, die sich einer vorhandenen oder etablierten Leitidee widersetzt, ist falsch, so richtig sie für sich auch sein mag. Es ist sinnlos, Guardiola zu holen, wenn man zugleich die Nachwuchs- und Kaderstruktur versammert. Ich will nicht so weit gehen, Sammer einen Sinn fürs schöne Spiel abzusprechen, aber er ist ein Pragmatiker, der regelmäßig die »deutschen Stärken« beschwört. Nun mag der Tugendterror, den Sammer in seiner Zeit beim DFB in Form von Moralkodizes und Gesinnungsschnüffelei ausgeübt hat, zum Teil auch Resultat seiner Verbissenheit gegenüber Joachim Löw gewesen sein, aber das ändert ja nichts am Inhalt seiner Vorstellungen. Die unsägliche Führungsspielerdebatte über den Charakter der gegenwärtigen DFB-Elf, die übersieht, dass die Weltmeister von 1990 und die Europameister von 1996 bei den heutigen Wettbewerben kaum die Vorrunde überstehen könnten, mithin ignoriert, dass spielerischer Glanz und Holzfällermentalität zwei Tugenden sind, die einander ausschließen, wird gerade von solchen Ehemaligen immer wieder befeuert, die diesen Typus in ihrer aktiven Zeit selbst verkörpert haben. Hierzu zählen nicht nur Kahn und Effenberg, hierzu zählt auch Sammer. Dieser Typus begreift nicht, dass Jugendarbeit fast ausschließlich Arbeit mit dem Ball ist, dass Krafttraining bei unausgewachsen Körpern bloß die Zeit verschwendet und Waldläufe – wie van Gaal einmal treffend sagte – etwas für Tiere sind.
Vielleicht war Sammer der richtige für Bayern, solange Guardiola noch nicht da war. Jetzt stört er nur noch. Wie Hoeneß. Es ist schon phantastisch, wie sich ein ganzes kleines Universum mitsamt seinem Wertgefüge allein durch die vorausgedachte Anwesenheit einer Person verändert. Mehr Wirkung geht nicht. Und gegen die kommt selbst der ganze Verein nicht an. Der Berg muss zum Propheten, nicht umgekehrt, und deswegen sollte der FC Bayern Matthias Sammer umgehend entlassen und Uli Hoeneß auf der nächsten Jahreshauptversammlung abwählen. Ich scherze nicht. Natürlich wäre denkbar, dass Sammer und Hoeneß sich Guardiolas Handeln unterordnen. Aber das können sie streng genommen auch in weniger mächtigen Positionen tun. Uli Hoeneß hat große Verdienste. Der FC Bayern wird immer eine freie Stelle für ihn bereit haben. Hoeneß darf den Bayern erhalten bleiben. Als Greenkeeper oder so.