Polizeigewalt und Repression gegen Linke in Athen

Der Staat schlägt zu

Die griechische Regierung versucht, mit repressiver Sicherheitspolitik Handlungsfähigkeit in der Krise zu beweisen. Die damit verbundene Polizeigewalt trifft vor allem Migranten und linke Oppositionelle.

Die griechische Polizei nahm Anfang Februar vier junge Bankräuber im nordgriechischen Kozani fest und beschuldigte sie, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein. Das Ministerium für öffentliche Ordnung und Bürgerschutz, dem die Polizei untergeordnet ist, publizierte kurz darauf Fotos der Festgenommenen. Bei allen vier Verdächtigen, die sich als Anarchisten verstehen, sind deutliche Spuren von Misshandlung zu erkennen, die dilettantisch mit Photoshop retuschiert wurden. »Damit sie erkennbar bleiben«, verteidigte der zuständige Minister, Níkos Déndias, die Bearbeitung der Fotos. Das Vorgehen der Polizei und des Ministeriums löste in Griechenland große Empörung aus. Déndias versprach daraufhin, dass Folter nicht geduldet werde. Sein Ministerium bemühte sich aber, das brutale Vorgehen mit der Gefährlichkeit der »Terroristen« zu rechtfertigen. Als bekannt wurde, dass einer der Bankräuber mit Alexis Grigoropoulos, dem 15jährigen Antifaschisten, der 2008 von einem Polizisten in Athen erschossen worden war, befreundet gewesen sein soll, wurde in konservativen Medien unterstellt, vom Anarchismus zum bewaffneten Terrorismus sei es nicht weit.

Schon im Wahlkampf hatte Antónis Samarás wissen lassen, wen er als Feinde der griechischen Gesellschaft ansieht: Er werde den »Randalierern, die unsere Stadt in Brand stecken, die Kapuzen vom Kopf reißen« und die »illegalen Migranten aus unserem Land schmeißen. Sie sind zu Tyrannen unserer Gesellschaft geworden.« Griechenlands amtierender Ministerpräsident hält sein Versprechen, repressiv vorzugehen. Die von der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds auferlegten Sparmaßnahmen lassen der Koalitionsregierung aus der konservativen Nea Dimokratia (ND) und den sozialdemokratischen Parteien Pasok und Dimar innenpolitisch wenig Spielraum, um die Wählerinnen und Wähler zufriedenzustellen. Überdies wird das Image der regierenden Parteien von Skandalen wie dem Verschwinden der »Lagarde-Liste« belastet, die die Namen mutmaßlicher Steuerbetrüger beinhaltet. Die Konzentration auf Sicherheitspolitik ist Samarás’ Versuch, wenigstens die Illusion einer tätigen Regierung zu vermitteln. Besonders tut sich dabei sein ökonomischer Berater Faílos Kranidiótis hervor, ein Mitglied des nationalistischen Think Tanks »Diktio 21«. Er verweist bei Vorwürfen von Machtmissbrauch auf das »Gewaltmonopol des Staates« und schlägt vor, Migrantinnen und Migranten mit unverkennbaren Markierungen an ihrem Körper zu versehen.
Seit Déndias im Amt ist, trägt das einstige Ministerium für Bürgerschutz den Namenszusatz »und öffentliche Ordnung«. Diese sieht Déndias in erster Linie durch Migranten bedroht. Mit der Operation »Xenios Zeus« ging die Polizei seit August brutal gegen mutmaßliche Illegale vor. »Ich wurde von der Polizei zusammengeschlagen, als ich im Sommer an der Metrostation Aghios Dimitrios meine Sachen auf der Straße verkaufte«, erzählt Kouma aus dem Senegal. »Sie haben mir das Bein gebrochen. Im Krankenhaus war ich dann mit Handschellen ans Bett gefesselt.« Polizeigewalt ist in Griechenland kein neues Phänomen. Berichte von Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen prangern seit langem unangemessene Brutalität, Misshandlungen und Folter an. Auch linke Oppositionelle und Journalisten werden Opfer von Gewalt auf Demonstrationen und Folter in Polizeigewahrsam. Der EU-Menschenrechtskommissar Nils Muižnieks verurteilte bei seinem Besuch im Januar in Griechenland die weitgehende Straflosigkeit, besonders bei rassistischen Gewalttaten.

Anfang Februar kam in Athen der senegalesische Einwanderer Babakar Ndiaye ums Leben, als die Polizei ihn nach der Kontrolle seiner Verkaufsgenehmigung jagte und er auf Bahngleisen verunglückte. »Einer seiner Mitverkäufer wurde so schlimm von der Polizei zusammengeschlagen, dass er eine Woche nicht arbeiten konnte«, erzählt der Straßenhändler Mohammed aus dem Senegal. Sein Standnachbar Rasal aus Bangladesh ergänzt: »Die verdeckten Ermittler, die hier rund um die Wirtschafts-Universität ASOEE stationiert sind, wo wir unsere Produkte verkaufen, ziehen uns das Geld ab, wenn wir keine Papiere haben. Sie greifen zu, wann immer sie können. Wenn uns allerdings, wie vorgestern, sechs Neonazis angreifen, bleiben sie reglos stehen und lassen es geschehen.« Um sich gegen die Angriffe zu verteidigen, haben sich jetzt einige migrantische Straßenverkäufer mit Studierenden zusammengetan. Selbstverteidigungsgruppen gibt es schon länger, eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den migrantischen und anarchistischen Gruppen hatte aber erst der Tod von Ndiaye zur Folge. Nach der Trauerdemonstration mit mehreren Hundert Teilnehmern diskutierten über 500 Antiautoritäre und afrikanische Migranten gemeinsam ihr weiteres Vorgehen. Die Kooperation ist wichtig, können doch die Forderung nach Legalisierung durch den Staat seitens der Migranten und der gegensätzlich erscheinende Kampf der Anarchisten gegen den Staat verbunden werden.
Die Polizei hat eine neue Strategie gegen unerwünschte Migrantinnen und Migranten, weil »Xenios Zeus« nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat – von den 78 000 Festgenommenen wurden nur rund 4 500 wegen fehlender Papiere inhaftiert. »In den vergangenen vier Monaten ist mir von mehr als 100 Fällen berichtet worden, in denen die Polizei Migranten festgenommen hat, obwohl sie eine Aufenthaltsgenehmigung hatten. Ihnen wurde unterstellt, dass sie sich der Festnahme widersetzt hätten. Die Polizei verlangte dann vom Innenministerium, dass diesen Migranten die mühsam erstrittene Aufenthaltsgenehmigung wieder entzogen wird«, erzählt der Menschenrechtsaktivist Nicodemos Maina Kinyuas. »Xenios Zeus« könnte so doch noch als Erfolg gelten.
Ende vorigen Jahres wandte sich die Regierung Samarás auch verstärkt ihren politischen Feinden in der linksradikalen und anarchistischen Szene zu. Sie kündigte die Räumung von 40 besetzten Häusern an, die als »Zentren der Gesetzlosigkeit« bezeichnet wurden (Jungle World 5/2013). Parallel zu den staatlichen Räumungen griffen Faschisten besetzte Häuser und soziale Zentren an, zuletzt im Athener Universitätsviertel Zografou. Während dieser Zeit kam es zu bisher nicht aufgeklärten Anschlägen. Unter anderem wurde das Büro von Samarás Mitte Januar mit einer Kalaschnikow beschossen. Déndias vermutet die Täter in der anarchistischen Szene, denn Makis Vorídis von der ND zufolge werden hauptsächlich linke Terroristen illegaler Aktivitäten überführt. Einen Zusammenhang mit der Straflosigkeit rechter Terrorakte sieht er nicht.
Generell, so eine Flüchtlingsanwältin, herrsche in vielen Bereichen kein Mangel an Gesetzen gegen Polizeigewalt, es fehle an ihrer Durchsetzung. Ende 2010 wurde beim Ministerium für Bürgerschutz eine Beschwerdestelle eingerichtet, um Fälle von Machtmissbrauch staatlicher Kräfte zu melden. Sie hat ihre Arbeit aber noch immer nicht aufgenommen. Im vorigen Jahr wurden neue Regeln festgelegt, um Polizeigewalt gegen Journalisten zu verhindern. Déndias möchte außerdem eine Beschwerdestelle für rassistische Gewalttaten einrichten. Es ist aber zweifelhaft, ob die Maßnahmen potentielle Opfer schützen können, wenn die Regierung Repressialien gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen strategisch einsetzt, um sich als tatkräftig zu inszenieren.