Kritisiert die französische Intervention in Mali

Es gab eine Alternative

Die Jihadisten in Mali müssen bekämpft werden. Aber dass dies unter der Kontrolle Frankreichs geschieht, war nicht alternativlos und könnte sich noch als kontraproduktiv erweisen.

Totgesagte leben manchmal länger. So sagt Jörn Schulz dem französischen Neokolonialismus in Afrika schnell, ein bisschen zu schnell adieu: »Die Epoche des Neokolonialismus endete nicht, weil Franzosen und Briten auf einmal von Gewissensbissen geplagt wurden. Im subsaharischen Afrika begann die Demokratisierung bereits 20 Jahre vor dem Beginn der arabischen Revolten, von den Klienten der ehemaligen Kolonialmächte haben sich nur wenige halten können. Überdies bedeutet Neokolonialismus auch Abschottung des Marktes eines abhängigen afrikanischen Landes gegen konkurrierende Großmächte, und dies ist mit dem heutigen Freihandelsregime nicht vereinbar.« (Jungle World 6/2013)

Ach, wenn es nur so wäre! Allein, die Dinge liefen nicht so ab, wie Jörn Schulz in dem Absatz schreibt. Zugegeben, die Kontinuität des französischen und britischen Neokolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent war nicht der Hauptgegenstand seines Artikels. Dennoch ist es von Bedeutung, dass die neokoloniale Machtpolitik keineswegs – wie man indirekt aus diesen Zeilen schlussfolgern darf – endete, weil »die Demokratisierung bereits 20 Jahre vor dem Beginn der arabischen Revolten« einsetzte. Tatsächlich hat es im französischsprachigen Afrika südlich der Sahara eine bemerkenswerte Demokratisierungswelle in den Jahren 1990 bis 1992 gegeben, in Form von Massenprotesten »von unten«. Ausgelöst wurden diese durch die Informationen und Fernsehbilder über den Zusammenbruch der staatssozialistischen Regime in Osteuropa und später der UdSSR.
Aber funktioniert – in dem Sinne, dass zumindest bürgerlich-demokratische Verhältnisse etabliert werden konnten – hat es nur in zwei Fällen: in Mali und in Benin. Überall sonst jedoch wurde der Demokratisierungsimpuls, den die Massenbewegung seit 1990/91 verursacht hatte, schnell wieder einkassiert. Entweder willigten die jeweiligen Präsidenten, wie in Gabun und im damaligen Zaire, in die Einführung eines Mehrparteiensystems ein – um daraufhin dann aber selbst von ihren Getreuen mehrere Dutzend Parteien gründen zu lassen und dadurch die Politik zu kontrollieren. Oder aber die Präsidialregimes willigten in eine Demokratisierung ein, hielten »nationale Konferenzen« mit den Oppositionsparteien ab, organisierten Wahlen – und manipulierten diese dann schamlos. Und dies meist mit Unterstützung der alten Kolonialmacht Frankreich, deren Einfluss weitgehend unangetastet blieb, wie in Kamerun, Gabun und Tschad.
Die Frage, die sich vor diesem Hintergrund anlässlich der derzeitigen französischen Intervention in Mali stellt, lautet also, ob man nicht doch den Bock zum Gärtner erhoben hat. Zweifellos hat Jörn Schulz Recht, wenn er schreibt: »Aus Sicht der emanzipatorischen Linken kann die Frage nur sein, wie die Jihadisten vertrieben werden können, und nicht, ob das überhaupt notwendig ist.« Bei der Bewertung der Schreckensherrschaft, welche die radikalen Islamisten seit Anfang 2012 in Nordmali ausübten, kann man sowohl Jörn Schulz als auch Klaus Blees (5/2013) nur zustimmen. An diesem Punkt kann es kaum ernsthafte Differenzen geben.
Die Begeisterung der Bevölkerung in Mali für die französische Intervention ist unterdessen nicht so groß, wie es mitunter dargestellt wird. Es ist richtig, dass es einigen Applaus für das Eingreifen und sehr wenig expliziten Widerstand dagegen gegeben hat und dass wurde Präsident François Hollande am vorvergangenen Wochenende in Timbuktu, wo die Jihadisten noch kurz zuvor drakonische Strafen wegen Rauchens oder Trinkens verhängten, tatsächlich von einer jubelnden Menge begrüßt wurde. Anderswo in Mali dagegen war die Begeisterung deutlich geringer. In der Hauptstadt Bamako war der Platz, auf dem Hollande sprach, nur teilweise mit Menschen gefüllt, wie man unschwer auf den Fernsehbildern erkennen konnte. Gegenüber der französischen Wochenzeitung Le Canard enchaîné begründete das Präsidentenamt dies damit, dass gleichzeitig das Fußballländerspiel Mali gegen Südafrika stattgefunden habe. Keine besonders überzeugende Begründung. Vieles spricht dafür, dass viele Menschen in Mali zwar das Ergebnis der Vertreibung der Jihadisten wünschten, gegenüber neokolonialen Hintergedanken der intervenierenden Macht jedoch skeptisch bleiben. Auf französischer Seite hingegen sähe man gerne die Rolle Frankreichs als Hegemonialmacht in der Region für die nächsten zehn bis 15 Jahre neu legitimiert.

Stellen wir uns also die Frage: Welche politische Alternative hätte es zum Eingreifen Frankreichs gegeben? Was dessen Bewertung betrifft, so mag man sich ebenfalls Jörn Schulz anschließen, wenn er schreibt, dass es keine »Schande (…) oder Bejahung der bürgerlichen Ordnung ist, angesichts der Bedrohung durch neonazistische Schläger die Polizei zu rufen, wenn die Antifa nicht stark genug ist«. Das stimmt. Nur sind eben auch hier die Dinge nicht immer und überall alternativlos. Wenn man mit dem Diebstahl seines Autos konfrontiert ist, bietet es sich an, zur nächsten Polizeiwache zu gehen, weil man ohne Strafanzeige den Versicherungsbetrag nicht erstattet erhält, aber man wird nicht unbedingt die GSG9 rufen. Und wenn es um rassistische Gewalt von Neonazis geht und man die örtliche Polizei von Nazisympathisanten durchsetzt weiß, aber die lokale Antifa über solide Argumente in Form von Hartholz verfügt, dann wird man im konkreten Fall doch lieber die Letztere um Hilfe bitten.
Ob man also in der Krisenregion Mali ausgerechnet auf Frankreichs militärisches Eingreifen zurückgreifen musste, ist eine berechtigte Frage. Dafür mögen vordergründig Effizienzerwägungen sprechen: Als hochgerüstete Großmacht, die in Afrika über reichlich Kampferfahrung verfügt, konnte Frankreich zweifellos schnell eingreifen. Allerdings trifft ebenso zu, dass alle Ansätze für eine inländische Lösung sowohl in ihren zivilen als auch militärischen Komponenten über Monate hinweg blockiert wurden. Im März 2012 war Mali mit einem Waffenembargo belegt worden, mit der Begründung seitens der USA und Frankreichs, man nehme den Putsch eines Teils der Armee – eher ihrer unteren Ränge gegen die korrupte Oligarchie – vom 22. März nicht hin. Stattdessen forderten etwa die USA erst einmal reguläre Wahlen, was angesichts der Situation in einem zweigeteilten und sich im Kriegszustand befindenden Land unrealistisch schien. Unterdessen verrosteten die für Malis Armee bestimmten Waffen in Conakry, Dakar und Abidjan. Dabei war die Begründung Frankreichs und der USA falsch, der Militärputsch in Bamako sei erst die Ursache für die Eroberung des Nordens durch die Jihadisten gewesen: Das war er nicht, vielmehr war er eine von ihren Folgeerscheinungen.
Man muss einen Militärputsch keineswegs bejubeln, auch wenn er von den unteren Rängen und den weniger korrupten jungen Offizieren ausgeht. Auch wenn man nicht verkennen darf, dass im postkolonialen Afrika, wo viele junge Männer aus armen Familien überhaupt nur bei der Armee zu erträglichen Jobs und zu Bildung kommen können, in den unteren Rängen der Armee oft relativ progressivere Kräfte existieren, verglichen mit der regierenden Oligarchie. Als positives, tatsächlich emanzipatorisches Beispiel bleibt in ganz Westafrika der durch einen Putsch an die Macht gekommene linke Präsident Thomas Sankara, der Burkina Faso von 1983 bis zu seiner Ermordung 1987 regierte. Als negatives Gegenbeispiel dient allerdings in jüngerer Zeit Moussa Dadis Camara, der Ende 2008 in Guinea ebenfalls als junger Offizier an die Macht kam und schon im September 2009 ein Massaker an zivilen Oppositionellen verüben ließ. Die Ambitionen und politischen Perspektiven der jungen Offiziere in Mali lagen wohl irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Einige der Putschisten strebten in erster Linie danach, einen Verteidigungskrieg im Norden des Landes gegen die Jihadisten zu organisieren. Andere dagegen wollten sich vor allem selbst auf schnellerem Wege als bei normalem Karriereverlauf bereichern: In öffentlichen Gebäuden in Bamako kam es in den ersten Tagen des Putschs zu Plünderungen von ihrer Seite.

Man hätte den Putschisten sicher keinen Blankoscheck ausstellen sollen, und es wäre notwendig gewesen, für eine starke politische Kontrolle ziviler Kräfte über die malische Armee zu sorgen. Zivile politische Kräfte begleiteten ja tatsächlich den Putsch vom 22. März, in dem sie ein kleineres Übel im Vergleich mit der alten Oligarchie erblickten. Eine Mischung aus ziviler und militärischer Mobilisierung in Mali gegen die jihadistische Bedrohung, verbunden mit einer internationalen Beteiligung, aber unter einheimischer Kontrolle – dies wäre eine Alternative zur Intervention unter rein französischer Kontrolle gewesen. Dies hätte Frankreich nicht daran gehindert, Waffen oder Militärberater dafür zur Verfügung zu stellen.
Die Jihadisten, die seit dem vergangenen Wochenende mit einer Gegenoffensive in Gao und ersten Selbstmordattentaten in einen Guerillakrieg einzutreten scheinen, träumen davon, sich als »Widerstandskämpfer« gerade gegen die ehemalige Kolonialmacht zu profilieren. Diesen Gefallen hätte man ihnen nicht tun müssen.