Die Debatte über die Familienpolitik

Familie ist Krieg

In Deutschland wird derzeit erbittert über Familienpolitik gestritten. Das Thema wird auch im Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen.

Die Kameraden vom »Fränkischen Heimatschutz« sind begeistert. »Erstaunlich, dass wir so etwas noch erleben dürfen«, schwärmen sie. Was die der NPD nahestehende Truppe euphorisiert, ist ein unlängst in der Welt erschienener Artikel unter der Überschrift »Kulturkampf um die Abrichtung unserer Kinder«. Verfasst hat ihn der stellvertretende Chefredakteur Ulf Poschardt, der den Geschmack der braunen Gesellen trifft: »Begriffe wie ›Sozialstaatsutopien‹, ›bevormundender Staat‹ und ›entwertete traditionelle Familienmodelle‹ hatten wir in deutschen Einheitsmedien eigentlich nicht mehr erwartet«, schreiben die Kameraden auf ihrer Homepage. Im Kampf zur Verteidigung der heiligen deutschen Familie bilden sich unheilige Allianzen. »Die Sozialstaatsutopien von Rot-Grün blühen, und so sollen die zukünftigen Steuerzahler vom ersten Lebensjahr an herangezogen werden – nicht von sorgenden Eltern, sondern vom bevormundenden Staat«, wettert Poschardt in seinem Artikel. Er wirft dem rot-grünen Lager die »Verstaatlichung des kostbaren Raums von Privatheit« vor, weil es für den Ausbau der Kinderbetreuung eintritt.
Familienpolitik wird im Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen. Das gilt vor allem für das sogenannte Betreuungsgeld für Eltern, die ihr Kleinkind nicht in eine öffentlich geförderte Einrichtung oder zu einer mit öffentlichen Geldern geförderten Tagesmutter geben. Ab August sollen diese Eltern zunächst 100 Euro im Monat erhalten. Die FDP hat das im November vorigen Jahres zwar mitbeschlossen, will die Streichung des Betreuungsgelds aber zum Wahlkampfthema machen. So wie auch SPD, Grüne und Linkspartei. Konservative und andere Freunde der Berufsmutterschaft halten schon jetzt kräftig dagegen. Sie kämpfen für ein traditionelles Verständnis der Rolle der Frau. Krippen sind in ihrer Logik böse Orte der Zwangskollektivierung.
Zuletzt auf den Plan gerufen hat die Kritiker von staatlicher Kleinkinderbetreuung eine zehnseitige Titelgeschichte im Spiegel: »Das Sorgenkind. Deutschlands gescheiterte Familienpolitik«. Darin geht es um Zwischenergebnisse einer Studie der Baseler Prognos AG über die deutsche Familienpolitik, die das Bundesfamilienministerium selbst in Auftrag gegeben hatte. Danach sind die angeblich rund 200 Milliarden Euro, aus verschiedenen Töpfen, die zur Unterstützung von Ehe und Familie gedacht sind, größtenteils wirkungslos oder gar kontraproduktiv. Als Maßstab gilt unter anderem die Geburtenrate, die auf ein Rekordtief gesunken ist. Besonders beanstandet wird von den Gutachtern das Ehegatten-Splitting. Dabei wird das Einkommen von Paaren zusammengerechnet und dann versteuert. Vorteile bringt das Ehegatten-Splitting nur Paaren, bei denen der eine vom anderen ökonomisch abhängig ist. Ob das Paar Kinder hat oder nicht, ist für den Steuervorteil egal. Es geht ausschließlich um die Privilegierung ökonomisch asymmetrischer Ehen, in denen meistens der männliche Partner der wirtschaftlich stärkere ist.

Der Staat schafft mit diversen Leistungen falsche Anreize für Frauen, eine traditionelle Mutterrolle in der Familie einzunehmen, ist die Botschaft des Spiegels. Stattdessen müssten Betreuungsangebote im großen Stil ausgebaut werden. Für Anhänger der Berufsmutterschaft stellt diese Forderung einen Generalangriff auf ihr Lebensmodell dar. »Die Luft über den Kinderbetten ist wieder Kriegsgebiet«, stellt Poschardt fest. Er sieht eine »Kavallerie« roter und grüner Wahlkämpfer, die mit ihrem »Kulturkampf um das Betreuungsgeld in beispielloser Art und Weise Würde und Ansehen jener Frauen (oder Väter) beschädigt haben, die, aufopferungsvoll und wie von Pädagogen und Psychologen empfohlen, für ihre Kinder da sind, wenn diese sie am dringendsten brauchen«. Nur vordergründig gehe es dabei um die Entwertung des traditionellen Familienmodells: »Es geht vielmehr um einen alten sozialistischen Traum, der Erziehung vor allem als Aufgabe des Staates begreift.« Mit seiner martialischen Sprache ist Poschardt nicht allein. Ein »Propagandamanöver« sieht Hedwig von Beverfoerde, Sprecherin der Initiative Familienschutz, in der vom Spiegel zitierten Studie. »Das hat mit seriöser Evaluation nichts mehr zu tun. Hier wird Krieg geführt gegen die Familie«, sagt sie.
Das ist eine interessante Einordnung: Die Forderung nach mehr Betreuungsplätzen und Abbau von Steuerprivilegien und Geldleistungen als Krieg, also als existenzbedrohend zu begreifen, heißt eben nichts anderes, als die klassische Familie mit ihrem herkömmlichen Rollenmodell als gefährdet zu sehen. Auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) steht für dieses Frauen- und Familienbild. Sie wertet es auf, indem sie auf seine Existenzberechtigung pocht. »Die Hausfrau ist nicht mehr das alleinige Leitbild christlich-liberaler Familienpolitik. Aber eben auch nicht das Feindbild«, schreibt sie in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Als bestünde jemals die Gefahr, dass »die Hausfrau« zum Feindbild konservativer Familienpolitik würde. »Für mich zählt, dass Familien so leben können, wie sie selbst leben wollen – und das ist individuell verschieden, je nach persönlichen Wertvorstellungen, ja nach Alter der Kinder, je nach beruflichen Zielen«, schreibt sie weiter und vergisst in ihrer Aufzählung die entscheidenden Punkte: je nach vorhandenem Arbeitsplatz, Ausbildung, Einkommen, beruflicher Perspektive und Kinderbetreuungsmöglichkeit. Familienpolitik wird in Deutschland für die gemacht, die sich gerne als Mittelschicht begreifen – von Sozialdemokraten ebenso wie von Christdemokraten. Wer arm ist, hat von der Förderung nichts, weil die Leistungen mit anderen verrechnet werden. Wer reich ist, ist nicht Hausfrau im Hauptberuf, sondern lässt andere für sich arbeiten. Angesichts der schwierigen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt – nicht nur für Frauen ohne Ausbildung, auch für junge Akademikerinnen – ist die Flucht in die Familie durchaus nachvollziehbar. Aber Flucht ist keine freie Entscheidung.

Kristina Schröder steht für einen neuen Typus der Konservativen, der seine reaktionäre Weltanschauung mit Pseudomodernität tarnt. Diese Wertvorstellungen sind heute nicht mehr mit Gestalten aus dem konservativen Panoptikum wie dem aus dem Bundestag scheidenden CSU-Politiker Norbert Geis zu verkaufen. In die Fußstapfen der Altherrenriege treten auch und vor allem Frauen. Eine der profiliertesten Vertreterinnen der konservativen Vollzeitmütterlobby ist die Publizistin Birgit Kelle. Die 38jährige war eine der elf Sachverständigen, die der Familienausschuss des Bundestags zur Anhörung über das Betreuungsgeld im September 2012 eingeladen hatte, und gehörte zu den vier Sachverständigen, die den Gesetzentwurf der Koalition zum Betreuungsgeld befürworteten. Mit ihrer Initiative »Frau 2000 plus – Offensive für Frau und Familie« agitiert sie gegen Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer ebenso wie gegen Quoten und Gender Mainstreaming. Den Begriff »Feminismus« lehnt Kelle aber keineswegs ab. Sie deutet ihn um und gibt vor, für einen »neuen«, »femininen« Feminismus zu kämpfen. Was darunter zu verstehen ist, zeigt ihr Blogkommentar »Dann mach doch die Bluse zu«, in dem sie, die Brüderle-Debatte aufgreifend, in antifeministischer Manier Opfer sexistischen Verhaltens zu Täterinnen macht.

SPD und Grüne scheinen auf der anderen Seite der Barrikade zu stehen. Sie wollen das Betreuungsgeld wieder abschaffen, wenn sie im Herbst die Bundestagswahl gewinnen. Aber ein Blick in die sozialdemokratisch regierten Länder zeigt, dass der Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder dort nicht sehr weit gediehen ist. Das macht die Angriffe auf die konservative Familienpolitik nicht gerade glaubwürdig. Und nicht nur das löst Unbehagen aus. »Es geht um eine Wende, die mindestens so radikal ausfallen müsste wie die Sozialreformen der Agenda 2010«, heißt es in der Spiegel-Titelgeschichte, die sich in weiten Teilen wie ein rot-grünes Programm zur Familienpolitik liest: »So wie der Staat damals die Unterstützung für Arbeitslose auf die wirklich Bedürftigen beschränkt hat, müsste er nun auch seine Fa­milienhilfen konsequent entrümpeln.« Rot-Grün geht es sicher auch um überkommene Rollen­klischees. Zuallererst will dieses Lager unter Führung von Peer Steinbrück aber wohl eines: die sozialen Sicherungssysteme weiter abbauen und Lebensrisiken individualisieren, statt dafür gesellschaftliche Lösungen zu entwickeln. Der Grat zwischen der Politik der Förderer des »Heimchens am Herd« und rot-grünem Sozialabbau ist schmal.