Selbst entdeckte Musik

Berlin Beatet Bestes. Folge 180. Otis Redding: Woman/Satisfaction (1966).

Die Musik, die ich gut finde, habe ich fast immer selbst entdeckt und auch fast immer für mich allein gehört. Das war schon so, als ich als 12jähriger zum ersten Mal LaVern Baker hörte, und erst recht später, als ich als Halberwachsener Fan der Gay Cowboys in Bondage wurde. Obwohl ich mich gleichzeitig immer in einem Umfeld bewegt habe, in dem ohne Unterlass über Musik geredet wurde – mit Freunden, im Plattenladen, auf Konzerten – , die Musik, die ich mit nach Hause genommen habe, musste meine »eigene« sein. Ich musste sie selbst entdeckt haben. Am besten irgendeine unbekannte Truppe, die nur ein paar Singles herausgebracht hat.
Ich spezialisierte mich auf obskure Kleinstlabels und freute mich an meinem eklektischen Geschmack. Das ging so weit, dass ich Bands, die mir von mehreren Freunden empfohlen wurden und auf die sich offensichtlich viele Leute einigen konnten, automatisch für uninteressant hielt. Auf diese Weise verpasste ich eine Menge exzellenter Musik und konnte später nie sagen, was denn nun die wichtigste Platte des Jahres gewesen ist. Die Wichtigste war fast immer auch die Bekannteste und die hatte ich ja nicht gehört. Mir war das egal. Mein Vorsatz war ja nicht, den Geschmack der Masse zu teilen, sondern autonom zu sein. Auch wenn diese »Masse« tatsächlich nur ein kleines Grüppchen abseits der echten Masse war.
Das Fansein lebt von dieser eingebildeten, zutiefst persönlichen Wirkung, die die Musik entfaltet. Selbst Mainstream-Fans unterscheiden sich da nicht. Mit Sprüchen wie: »Ich war ja auf ihrem ersten Konzert, da war sie noch … bla bla bla«, sucht sich noch jeder Fan vom Rest abzugrenzen. Diese Art der subkulturellen Abgrenzung kann zu vollständiger Isolation führen. Bis du so tief in deine eigene Kasperwelt abgetaucht bist, dass andere da gar nicht mehr hinein finden. Ich habe zum Glück meine Freundin kennengelernt.
Die sagt immer: »Ich bin ganz normal.« Das glaubt sie zumindest. Ich antworte immer: »Du? Du bist ’ne alte Knalltüte!« Und fühle mich plötzlich selbst ganz herrlich normal. Tatsächlich hat meine Freundin ein voyeuristisches und fast schon masochistisches Interesse am Leben der sogenannten normalen Leute. Früher hat sie sich auf Partys immer die offensichtlich langweiligste Person herausgepickt und regelrecht interviewt. »Da muss doch mehr sein«, sagt sie immer.
Der Musikgeschmack meiner Freundin ist allerdings wirklich ziemlich normal. Als wir uns kennenlernten, hörten wir zusammen aber viel Otis Redding. Otis ist der Größte. Wer Otis nicht gut findet, mit dem kann ich nicht warm werden. Obwohl man es nicht sofort sehen kann, schlägt in meiner Freundin ein großes Herz. Otis Reddings »Woman, Lover, A Friend« beschreibt sie besser, als ich es ja könnte: »I don’t want a fancy gal/with powder and paint/and I don’t want a woman/who thinks she’s a saint/I’m looking for someone/who’s not make-believe/and doesn’t mind giving/so that she may receive.«