Die Gründe für das Dialogangebot der syrischen Opposition

Warten auf den Abgang

In Syrien ist ein bedeutender Teil der Opposition angeblich zu einem Dialog mit dem Regime Bashar al-Assads bereit. Fast allen Beteiligten ist klar, dass es mit ihm kein Ende des Konflikts geben wird, das Angebot ist vielmehr eine Absage an die Islamisten.

Wenn es politisch nicht mehr so rund läuft, die Hauptstadt von Detonationen und Schüssen widerhallt, die Luftwaffe damit beschäftigt ist, die eigene Bevölkerung zu bombardieren, und die Wirtschaftsdaten sehr bedenklich aussehen, ist es an der Zeit, das Kabinett umzubilden. Das signalisiert irgendwie Normalität, vielleicht war das der Grundgedanke Bashar al-Assads. Auf die sieben neuen Minister des syrischen Präsidenten warten jedenfalls gewaltige Aufgaben: der Bauminister könnte sich Gedanken über 2 000 zerstörte Schulen machen, den neuen Finanzmister dürfte beunruhigen, dass der Konflikt das Land jüngsten Schätzungen zufolge über 48 Milliarden Dollar gekostet hat und dass das Bruttosozialprodukt im vorigen Jahr um rund ein Viertel zurückgegangen ist, mit weiteren 60 Prozent Rückgang wird bereits gerechnet. Auch der Agrarminister und das Sozialministerium müssen sich an die Arbeit machen: Die Erntemenge ist unter die kritische Marge gefallen, Syrien kann sich nicht mehr selbst ernähren. Das UN-Flüchtlingswerk geht inzwischen von knapp 800 000 syrischen Flüchtlingen in den Nachbarländern aus, die Zahl der internen Flüchtlinge wird auf über zwei Millionen geschätzt. Vermutlich ist es eine große Erleichterung für die neuen Minister, dass ihr Job im Syrien Assads keine eigenständige Machtposition darstellt und dass niemand von ihnen glaubt, sie könnten an den ökonomischen Problemen tatsächlich etwas ändern. Es geht schließlich nur darum, das Ende des Regimes weiter hinauszuzögern.

Militärisch sieht es für das Regime nicht so gut aus. War es ihm im Sommer gelungen, den überraschenden Vorstoß der Rebellen in Richtung der Innenstadt von Damaskus abzuwehren, stellt sich nun die Frage, ob das noch einmal gelingen wird. Im nordsyrischen Aleppo hat sich in den vergangenen Monaten an der Aufteilung der Stadt zwischen Rebellen und Militär wenig geändert. Im Umkreis der Metropole wie generell im Norden des Landes stehen die Militärbasen und Außenposten des Regimes jedoch unter erheblichem Druck und es werden kontinuierlich weniger. Gerade haben die Rebellen auch noch den größten Damm des Landes erobert. Das Militär scheint sich darauf konzentrieren zu müssen, nurmehr die unmittelbar lebenswichtigen Stellungen zu behaupten.
Auf internationaler Ebene wird derweil weiter über »Verhandlungen« geredet, in einer Mischung aus Spiegelfechterei, ideenloser Sturheit und Machtgerangel, die längst die politische Substanz verloren hat. In der vergangenen Woche bot der Ende 2012 gekürte Führer der neuen Dachorganisation »Koalition der Syrischen Opposition« (SOC), Moaz al-Khatib, plötzlich Verhandlungen mit dem syrischen Regime an. Teile der Opposition, vor allem die bewaffneten Islamistenverbände, schäumen vor Wut, aber der UN-Sondergesandte Lakhdar Brahimi ermutigt den stellvertretenden syrischen Präsidenten. Die syrische Regierung zeigte sich konziliant und bot der Opposition einen »Dialog ohne Vorbedingungen« in Damaskus an. Die Krise solle unter der bewährten Leitung von Präsident Assad gelöst werden. Der Gesprächswille der anderen Seite zeige, dass der bewaffnete Kampf gescheitert, meinte der stellvertretende Außenminister. Der Informationsminister Omran al-Zoubi sagte, die Rebellen müssten nun bloß ihre Waffen niederlegen – wer darauf eingehe, dem geschehe nichts. Schließlich schickte das Regime seinen machtpolitisch bedeutungslosen »Versöhnungsminister« Ali Haidar vor, der anbot, Gespräche aufzunehmen.
So sehen alle »Verhandlungslösungen« und Dialogaussichten in Syrien aus, solange Assad nicht geht. Das »Gesprächsangebot« al-Khatibs dürfte daher weniger an das syrische Regime selbst als an andere Empfänger gerichtet gewesen sein: Zunächst an die UN und ihren Sonderbotschafter, liefert es ihnen doch eine gewisse Legitimation für ihr hilfloses Herumstehen in Sachen Syrien. Brahimi hat sich im Grunde auch schon im Voraus bedankt, indem er bereits im Januar deutlich machte, dass auch seiner Meinung nach eine Lösung mit Assad nicht mehr in Frage käme. Auch die russische Regierung als Garantin des syrischen Regimes wurde adressiert. Jedes auch nur scheinbare Zugeständnis der Aufständischen, man wolle in den Dialog eintreten, dürfte Betretenheit in Moskau auslösen, schließlich redet die russische Regierung auch immer von Verhandlungen – nur dass diese dem Erhalt des Regimes Assads eigentlich nicht schaden dürfen.

Dass es vor allem die Islamisten in den Reihen der Opposition waren, die jede Dialogbereitschaft sofort als »Verrat« brandmarken wollten, ist auch kein Zufall. Gegen sie und ihren bedrohlichen Einfluss richtet sich die vermeintliche Gesprächsbereitschaft der restlichen Opposition. Es ist eine Botschaft an die geschundene Bevölkerung und an ökonomisch relevante Gruppen in Syrien. Signalisiert wird, dass es nicht um eine Endschlacht im Sinne der Salafisten gehen kann, sondern das Auseinanderfallen des Landes und die Vorherrschaft radikaler Islamisten verhindert werden müssen. Die Islamisten tragen jedoch längst die Hauptlast der Kämpfe, gleichzeitig sind sie in zahllose Fraktionen zersplittert und derzeit ist offen, welcher ihrer neuen übergeordneten Zusammenschlüsse sich behaupten wird. Da gibt es die mittlerweile recht prominente Gruppe Jabhat al-Nusra, die vermutlich Verbindungen zu al-Qaida und Konsorten unterhält, des Weiteren melden die Dachorganisationen »Syrian Islamic Front« und »Syria Liberation Front« ihre Ansprüche an – und das sind nur drei von vielen Verbänden. Alle konkurrieren um Waffen und Geld, Zuspruch aus dem Westen oder vom Golf und werben um potentielle Märtyrer. Sie unterscheiden sich in Feinheiten ihrer jeweiligen theologischen Ausrichtung, im Zweifelsfall aber geht es um persönliche Gefolgschaft. Der während des vergangenen Jahres vor allem wegen ihres militärischen Engagements stark gewachsene Einfluss der Islamisten bzw. Jihadisten wird für die gesamte syrische Opposition zum entscheidenden Thema werden. Dass es so weit kommen konnte, dürfte auch mit einer wichtigen Entscheidung des US-amerikanischen Präsidenten zusammenhängen. Anfang Februar wurde bekannt, dass es im Sommer 2012 einen gemeinsamen Plan des damaligen CIA-Direktos David Petraeus und der Außenministerin Hillary Clinton gab, die syrischen Oppositionsgruppen zu bewaffnen und auszubilden. Barack Obama war dagegen, was stattdessen zu tun gewesen wäre, wusste er aber offenbar nicht.
Solange die Fortsetzung der Präsidentschaft Assads das Hauptanliegen des Regimes ist, wird es keinen anderen Weg als die militärische Auseinandersetzung geben. Das Überdauern der Herrschaft Assads ist eine pure Fiktion. Seit jenen Märztagen vor bald zwei Jahren, als es von Seiten fast aller Beobachter hieß, die Lage in Syrien sei stabil, geht es für Assad und seine Getreuen immer nur in eine Richtung: abwärts. Das Regime erleidet einen Rückschlag, dann stabilisierst sich die Situation für ein paar Wochen oder Monate, bis zur nächsten Niederlage. Die Macht, die Assad faktisch in den Händen hält, reicht nur noch aus, um seinen Abgang dadurch herauszuzögern, dass Syrien zu einem komplett zerrütteten, zerstörten und auseinanderfallenden Land wird. Hierbei hat das Regime große Erfolge erreicht.