Der Rücktritt des Papstes und die Wahlen in Italien

Beten für den Linksruck

Der Rücktritt des Papstes überschattet die bevorstehenden Parlamentswahlen in Italien.

Nach der Bekanntgabe des Rücktritts von Benedikt XVI. kursierten in sozialen Netzwerken Fotomontagen, die Silvio Berlusconi als Papstnachfolger präsentierten. Doch dem Auserwählten war nicht nach Scherzen zumute. Kommenden Sonntag wird in Italien ein neues Parlament gewählt. In der Endphase des Wahlkampfs kam es für Berlusconi darauf an, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Unermüdlich war er in den Tagen zuvor mit dem Versprechen, die Immobiliensteuer nicht nur abzuschaffen, sondern auch zurückzuzahlen, in Radio- und Fernsehstationen. Mit der Verpflichtung des Mittelstürmers Mario Balotelli für seinen Fußballclub AC Mailand hatte er Kampfgeist bewiesen, seine rechte Anhängerschaft begeistert und den Rückstand zum politischen Gegner auf wenige Prozentpunkte reduziert. Bei den europäischen Regierungen ging bereits die Angst um, Berlusconi könnte an die Macht zurückkehren. Der Erfolg seiner Wahlkampfstrategie schien unaufhaltsam.
Doch dann sorgte Joseph Ratzinger für eine jähe Unterbrechung der Berlusconi-Show. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht seither einmal mehr die katholische Kirche. Da die nationalen Kirchenoberen das einstige neokonservative Einvernehmen mit seiner Rechtspartei »Volk der Freiheit« (PDL) aufgekündigt hatten und die italienische Bischofskonferenz offen für Mario Montis vatikantreue Wahlliste »Bürgerliche Entscheidung« wirbt, muss Berlusconi fürchten, dass sein konservativer Konkurrent von der emotionalen Erschütterung der katholischen Wählerschaft profitieren wird. Der politische Katholizismus ist jedoch längst nicht mehr auf die rechten Parteien beschränkt.

Die Zeiten, in denen sich Katholiken und Linke wie Don Camillo und Peppone gegenüberstanden, sind vorbei. Dennoch erscheint der Wahlkampf bisweilen wie ein schlecht inszeniertes Klassenkampfdrama. Nicht nur Berlusconi beschimpft seine politischen Gegner wie gehabt als »Kommunisten«, auch Monti warnt vor den »Extremisten« innerhalb des linksliberalen Wahlbündnisses. Er wird im Gegenzug als kapitalistischer »Lodenträger« tituliert. In den wechselseitigen Verunglimpfungen klingen die sozialen Konflikte an, die Berlusconis neoliberale Rechtsregierungen und Montis Umsetzung der europäischen Sparprogramme verursacht haben. Doch das Spektakel übertönt den sozialen Konflikt. Maurizio Crozza, Italiens derzeit beliebtester TV-Komiker, beschränkt sich in seinen Wahlkampfsatiren auf die bloße Imitation der Spitzenkandidaten. Seine Performance ist so gefällig, dass die Imitierten ihn ihrerseits zitieren. Aus dieser Endlosschleife gibt es kein Entkommen. Eine Parodie, der die Komik fehlt, verfestigt den unerträglichen Zustand. Gelacht wird über die eigene Ohnmacht.
Viele von denen, die nicht mehr Mitlachen wollen, sind zu Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) übergelaufen. Der ehemalige TV-Clown ist nur noch unfreiwillig komisch, wenn er zum Beispiel den Kardinälen erklärt, wie sie den Papst per Abstimmung im Internet wählen könnten. Grillos Grimassen sind aggressiv, er wütet gegen die Politik, Europa, die Banken und die Presse. Die Anhängerinnen und Anhänger, die zu Tausenden seine »Tsunami«-Wahlkampftour begleiten, berauschen sich an seinen vulgären Hasstiraden und offenen Drohgebärden, die in ihrer vermeintlichen Beliebigkeit eine eindeutig rechtspopulistische Stoßrichtung haben. Dass der M5S allen Wahlprognosen zufolge mit circa 16 Prozent der Stimmen als drittstärkste Gruppierung ins Parlament einziehen wird, bestimmt Grillo bereits im Voraus zum eigentlichen Wahlsieger.
Für Berlusconi und Monti geht es nicht darum, die Wahlen zu gewinnen, sondern den Sieg der Mitte-Links-Koalition zu verhindern. Da nach geltendem Wahlrecht die Mehrheitsprämien in den beiden Kammern des Parlaments unterschiedlich verteilt werden, ist mit unklaren Mehrheitsverhältnissen zu rechnen. Der von Pier Luigi Bersani geführte »Partito Democratico« (PD) wird den letzten Umfragen zufolge mit circa 30 Prozent der Stimmen als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen und im Bündnis mit Nichi Vendolas linker Partei »Linke, Ökologie und Freiheit« (SEL) im Abgeordnetenhaus eine klare Stimmenmehrheit erhalten. Im Senat, wo die Mehrheitsprämien nicht nach dem nationalen Gesamtergebnis, sondern entsprechend der regionalen Wahlergebnisse verteilt werden, könnte der Linkskoalition die relative Stimmenmehrheit fehlen, vor allem falls es ihr nicht gelingen sollte, in der Lombardei und auf Sizilien zu gewinnen.

Im linken Lager wird deshalb fast nur noch über die »nützliche Stimme« diskutiert. Der von Antonio Ingroia organisierten linksalternativen Wahlliste »Zivilgesellschaftliche Revolution« werden maximal fünf Prozent prognostiziert, aufgrund der höheren Sperrklausel wird sie den Einzug in den Senat wohl verpassen. Mehrere Intellektuelle riefen deshalb am Wochenende in einem öffentlichen Appell, der unter anderem von Umberto Eco und Andrea Camellieri unterzeichnet wurde, zur Wahl der Mitte-Links-Koalition auf. Die linken Kritiker von PD und SEL werden darin aufgefordert, insbesondere in den umkämpften Regionen doch für eine der beiden Parteien zu stimmen, um die Bildung einer unabhängigen und stabilen linksliberalen Regierung zu ermöglichen. Denn sollte die Linkskoalition im Senat keine deutliche Stimmenmehrheit erreichen, wären entweder Neuwahlen oder Bündnisabsprachen mit Montis Wahlliste unvermeidlich. Damit wäre Vendolas Strategie, innerhalb des PD der Linken größeren Einfluss zu geben, gescheitert. Dass die SEL in eine große Koalition mit Montis Wahlliste eintreten könnte, zu der neben Technokraten auch Christdemokraten und Postfaschisten zählen, ist schwer vorstellbar.
Gleichzeitig wurde der internationale Druck, Monti an einer zukünftigen Regierung zu beteiligen, vergangene Woche erhöht. Anlässlich der USA-Reise des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano betonte die Sprecherin des Weißen Hauses, Caitlin Hayden, wie wichtig es sei, dass die von Monti eingeleiteten Reformen weitergeführt würden. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble riet den Italienern in einem Interview mit dem Wochenmagazin L’Espresso, die alten Fehler nicht zu wiederholen und Berlusconi nicht noch einmal zu wählen. Aufgrund der anglo-europäischen Frontstellung gegen ihn scheint die Möglichkeit eines reinen Rechtsbündnisses ausgeschlossen. Andererseits hat Monti sich im Wahlkampf die Möglichkeit eines Bündnisses mit dem PDL offengelassen, sollte sich Berlusconi am Rücktritt des Papstes ein Beispiel nehmen.
Benedikt XVI. hat sich am Wochenende in einer Privataudienz wahlkampfwirksam von Monti verabschiedet. Für den Vortag der Wahl ist ein weiteres persönliches Abschiedstreffen mit Staatspräsident Napolitano geplant. Umtriebig organisiert Ratzinger sein machtpolitisches Erbe. Vergangene Woche erklärte er sein »volles Einverständnis« zur Ernennung des deutschen Investmentbankers Ernst von Freyberg zum Präsidenten der Vatikanbank IOR. Sein Auftrag an Kardinal Gianfranco Ravasi, den Kulturreferenten des päpstlichen Rats, die Fastenexerzitien für die römische Kurie zu leiten, wird in Rom als eine Art Empfehlung für das Konklave zur Papstwahl gewertet.
Dagegen hoffen die italienischen Linken, nachdem sie von den politischen Wahlen so wenig zu erwarten haben, auf einen afrikanischen Papst. Von ihm wünschen sie sich, er möge jene soziale Gerechtigkeit und zivilrechtliche Gleichstellung predigen, die bisher noch keine linksliberale Regierung zu erreichen vermochte.