Klicken für das Klima

Es gab einmal eine Zeit, da ging man auf den Markt oder in den Laden und kaufte etwas. Einfach so. Mittlerweile aber ist der Einkauf zu einer Gewissens­prüfung geworden, die dem Gläubigen jeden Tag aufs Neue abverlangt, sich der Gottesgabe, der Ware, als würdig zu erweisen. Denn der Käufer ist belastet mit einer Erbsünde, er will alles möglichst billig erwerben. Somit trifft ihn die Schuld an allen Übeln der Welt. Ob ranzige Pferdekadaver im Hackfleisch landen, Textilarbeiterinnen in Bangladesh verbrennen oder eine Unternehmermiliz die Beschäftigten eines Online-Versands schikaniert – alles liegt nur daran, dass die Leute nicht genug Geld für die Waren ausgeben wollen. Gelobt der Gläubige Besserung, ergeben sich jedoch neue Probleme, selbst wenn er das Geld, das er ausgeben soll, tatsächlich hat. Denn er soll ja auch ein homo oeconomicus sein, und als solcher muss er alles möglichst billig kaufen wollen. Darauf beruht schließlich das gesamte Wirtschaftssystem, und die Anforderungen des globalen Wettbewerbs, die ihm täglich gepredigt werden, erzwingen eine Senkung der Produktionskosten, die dazu dient, Waren billiger verkaufen zu können als die Konkurrenz. Also, sollen die Waren nun billiger oder teurer werden?
Als wäre der Gläubige nun nicht schon verwirrt genug, muss er auch noch zur Kennntnis nehmen, dass nicht so recht klar ist, welche Folge es hat, wenn er mehr Geld ausgibt. Denn es gibt keine Garantie dafür, dass der Textilunternehmer in Bangladesh die Löhne erhöht und den Brandschutz verbessert, wenn der Käufer 200 Euro für eine Jeans zahlt. Womöglich freut er sich nur über den zusätzlichen Profit, schließlich ist er ja ein homo oeconomicus. Ein solcher muss heutzutage allerdings auch Werte anbieten. Deshalb findet sich auf der Website keines Unternehmens der Satz »Wir wollen ohne Ende Geld scheffeln, alles andere ist uns wurscht«, vielmehr fehlt nur selten eine Rubrik, die versichert, dass es keinen besserer Beitrag zum Gemeinwohl gebe, als die angepriesene Ware zu kaufen. Man bestellt bei Amazon daher nicht nur ein Buch, sondern erlebt ein »greener shopping experience«, trägt also zur Rettung des Klimas bei und hilft auch noch Katastrophenopfern, für die das Unternehmen spendet. Wieder so ein ethisches Dilemma: Solidarisiert der Käufer sich mit den Leiharbeitern, warten die Opfer des nächsten Hurrikans vergeblich auf die Päckchen vom Amazon, und weil er wieder mit dem Auto zur Buchhandlung fährt, steigt der Meeresspiegel und die Textilarbeiterinnen in Bangladesh ertrinken. Der Käufer könnte sich nun fragen, warum er einer Firma, die sich überrascht gibt, wenn es aus den Medien etwas über die von ihm gestalteten Produktionsbedingungen erfährt, irgendetwas glauben sollte. Neigt er zur Ketzerei, könnte er sich sogar fragen, ob sich die Ethik wirklich einfach so kaufen oder herbeiklicken lässt.