Talmi

Total final

Viel muss man nicht wissen über Weiterstadt. Mit Sicherheit gibt es da ein historisches Kirchlein, etwas Fachwerk, eine »kleine, unabhängige« Brauerei und einen Gedenkstein für dieses oder jenes Unrecht. Wirklich wissens- und kennenswert ist aber nur das Gewerbegebiet an der A5, das, darin sind sich alle Kenner einig, zu den schönsten und größten des Landes gehört. Munter drehen sich die Kreisverkehre, lustig brutzelt der Mäckes vor sich hin; ein leerer blauer Himmel behütet kühl die Wertschöpfungskette. Es gehen Gerüchte über Professoren aus Marburg, die das ganze Wochenende hier herumbrummen, um den billigsten Tankstellenwein abzugreifen; von heimwerkelnden Steuerberatern, die verzweifelte Verkäufer in stundenlange Gespräche über blasenfreie Klarlackversiegelung verwickeln. Einige wollen hier gar den Cortal-Consors-Mann shoppen gesehen haben, jenen halbverrückten Zausel, der seit Jahren einer irritierten Wildfremden den Satz »Nehmen Sie Ihr Geld selbst in die Hand« ins Ohr raunt. In Weiterstadt, jenem postindustriellen Utopia, findet sich ein Möbelhaus namens Segmüller, und hier ist es, wo vollendete Funktionalität und Geistesverwesung fröhlich Hochzeit feiern: Denn Segmüller verspricht nicht weniger als »Wohnen total«! Hier also kann der zum Endsieg entschlossene Kleinbürger, dessen Bedürfnis nach Triumph und Entgrenzung zuverlässig durch Fußball, Vollrausch und Auto versorgt und verlängert wird, die Götterdämmerung auch in Sachen Pressspan einleiten; alles voll mit Holzmehl-Objekten stellen, bis auch der letzte Quadratmeter restlos vernutzt ist, die Weiterstadt auch in die Wohnungen hineinwächst. Wer Gentrifizierung bejammert, darf über die Weiterstadtisierung nicht schweigen.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.