Zu versöhnlich

Da kann man die Literatur seines Landes noch so sehr bereichern, als Aserbaidschaner muss man einfach Armenier hassen. Das scheint zumindest die gängige Meinung in Aserbaidschan zu sein. Der Hass schreibt sich womöglich sogar in den Genen fest, nimmt man den Vorschlag eines Abgeordneten des aserbaidschanischen Parlaments ernst, der einen DNA-Test forderte, um zu überprüfen, ob Akram Aylisli nicht eher Armenier sei. Der 75jährige aserbaidschanische Schriftsteller und Übersetzer, der als wichtigster gegenwärtiger Autor des Landes gilt, hatte es nämlich gewagt, in seiner Novelle »Steinerne Träume« die von Aserbaidschanern ausgehenden Pogrome gegen die im Land lebende armenische Minderheit Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre zu thematisieren. Er habe die Ende 2012 veröffentlichte Novelle als Beitrag für den Frieden zwischen den Nachbarländern verstanden, sagte er. Das autoritäre Regime unter Präsident Ilham Alijew nutzt die Debatte um Aylislis Novelle aber für die nationalistische Stimmungsmache.
Dem Schriftsteller wurden von Alijew am 7. Februar der höchste literarische Orden und ein damit verbundenes monatliches Stipen­dium entzogen, seine Frau und sein Sohn verloren ihre Jobs in staatlichen Institutionen, vor seinem Haus versammelten sich wütende Massen, in der Hauptstadt Baku wurden seine Werke öffentlich verbrannt und im Parlament überschlugen sich die Abgeordneten mit Vergeltungsvorschlägen. Der Vorsitzende der Partei »Moderne Gleichheit« setzte sogar eine Belohnung von fast 10 000 Euro für die Person aus, die Aylisli ein Ohr abschneidet, er musste den Aufruf nach einer Rüge der Regierung, die dann doch um ihre internationale Reputation fürchtete, jedoch wieder zurückziehen. Der Konflikt mit Armenien kostete 30 000 Menschen das Leben und endete 1994 mit einem Waffenstillstand, aber keinem Friedensabkommen. Jedes Jahr sterben noch Menschen bei Gefechten in der hochmilitarisierten Grenzregion. Einige Beobachter sehen den von der Regierung geschürten Skandal um Aylislis Novelle als Manöver, um von den jüngsten Protesten gegen das autoritäre Regime abzulenken. Im Januar wurden mehrere Demonstrationen niedergeschlagen und Oppositionelle inhaftiert. Auch Aylisli hatte das Regime der Alijews in früheren Werken indirekt kritisiert. Aber schwerer wiegt offenbar seine jüngste Infragestellung der Armenien-Feindschaft.