Ehrenretter der »Ehrenrunde«

Seit Niedersachsens rot-grüne Landesregierung angekündigt hat, dass sie das Sitzenbleiben abschaffen möchte, wird in Deutschland über Schulpolitik gestritten. Die Medien präsentieren »prominente Schulversager«, wohl um auszudrücken, dass Sitzenbleiben die Karriere geradezu beflügeln kann. Schließlich wurde aus dem »Schulversager« Mehmet Scholl ein toller Fußballspieler und dem »Sitzenbleiber« Thomas Mann verdanken wir »Tonio Kröger«, eine eindrucksvolle Schicksalsstudie über das Elend eines phantasiebegabten Jugendlichen im deutschen Schulsystem. Nur bei Edmund Stoiber (CSU), der sein ganzes Berufsleben eifrig am Image des »Aktenfressers« und »Klassenstrebers« gearbeitet hat, kann man den Eindruck gewinnen, dass das Sitzenbleiben eine traumatische Erfahrung ist, die nicht immer bewältigt wird. Zur Ehrenrettung der »Ehrenrunde« treten derzeit nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) an. Die Welt schickt Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) ins Rennen, dessen Gastbeitrag sich wie ein Plädoyer für die Ausweitung der Hartz-IV-Sanktionen auf den Schulbetrieb liest. Sitzenbleiben ist für ihn »im Sinne eines Förderns und Forderns« ein »probates Mittel«. Nicht mehr dem Risiko des Sitzenbleibens ausgesetzt zu sein, sei für Kinder »demotivierend«. In der FAZ identifiziert Heike Schmoll die »Beseitigung des Sitzenbleibens« als sozialstaatliche »Beglückungsphantasie, die kollektiven Aufstieg und gesellschaftliche Gleichheit über Bildung garantieren will«. Das Sitzenbleiben sei ohnehin vor allem ein Problem der Schulschwänzer an den Haupt- und Sekundarschulen. Die Schule ist für Schmoll ein Ort, »an dem Kinder und Jugendliche lernen können, mit dem Erlebnis der eigenen Unzulänglichkeit konstruktiv umzugehen«. Und Sitzenbleiben muss keine Demütigung, sondern kann eine »echte Befreiung« sein. Schließlich habe der Schüler noch die »Chance«, das »Stigma« loszuwerden.