Über Pränataldiagnostik

Gegen das Diktat der Gene

Die Pränataldiagnostik ist ein Thema von großer gesellschaftlicher Tragweite, über das jedoch sehr wenig bekannt ist. In Berlin fand vergangene Woche eine Tagung dazu statt.

Das Netzwerk gegen Selektion durch Pränatal­diagnostik hat auf seiner Jahrestagung, die unter dem Motto »Keine Angst vor großen Fragen: Vorgeburtliche Diagnostik zwischen Ethik und Monetik« stand und am vergangenen Wochen­ende in Berlin stattfand, über die neuen Entwicklungen bei Pränataldiagnostik (PND) sowie Präimplantationsdiagnostik (PID) und die damit verbundenen Probleme diskutiert.
Das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik wurde Mitte der neunziger Jahre gegründet. Sein Ziel ist es, »eine öffentliche Gegenstimme zur rasanten Entwicklung der Medizintechniken zu sein«. Die beteiligten Gruppen und Einzelpersonen eint eine kritische Haltung gegenüber PND und PID samt deren selektiver Funktion. Nicht die einzelne Frau wird kritisiert, sondern eine Gesellschaft, die Behinderung mit Leid und Belastung gleichsetzt, eine medizinische Praxis, der eine Vermeidungslogik zugrunde liegt, und die mediale Debatte, der es weder gelingt, die rechtlichen Grundlagen wahrheitsgetreu darzustellen, noch ein nicht defizitorientiertes Bild von Behinderung zu zeichnen.

Entsprechend breitgefächert war das Tagungsprogramm. 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland und Österreich, darunter viele, die im Bereich der Schwangerschaftsberatung arbeiten, debattierten über die mediale Berichterstattung, ethische Ambivalenzen und den Wandel in der Arzt-Patienten-Beziehung, über die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, mögliche Forderungen und über weitreichende Fragen.
Die Auswirkungen des »Praenatest«, eines im August 2012 auf dem deutschen Markt eingeführten nichtinvasiven molekulargenetischen Tests, der das Blut der schwangeren Frau auf Trisomie 21, das sogenannte Down-Syndrom, untersucht, wurden besonders lebhaft diskutiert. Die von der Herstellerfirma Life Codexx, einem Tochterunternehmen der Firma GATC Biotech mit Sitz in Konstanz, angekündigte Freigabe für vergleichbare Tests auf die Trisomie 18 und ­Trisomie 13 bestätigt die Befürchtungen der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, der Test werde künftig für immer mehr chromosomale Abweichungen zur Verfügung stehen. Ferner wird befürchtet, die Tests könnten immer früher eingesetzt werden. Derzeit darf der Test in Deutschland erst ab der zwölften Schwangerschaftswoche angewandt werden, rein technisch wäre es aber auch früher möglich.
Gegen die Einführung und die Verbreitung des »Praenatest« plant das Netzwerk eine Kampagne. Erste Veranstaltungen fanden bereits statt, und auf der Internetseite praenataldiagnostik-bluttest.de wurde zudem ein kritischer Blog zum Thema eingerichtet. Gaby Frech, Beraterin bei Cara, einer Beratungsstelle zu Schwangerschaft und vorgeburtlicher Diagnostik in Bremen, berichtete: »Mit unserer Kampagne gegen den Bluttest auf Trisomie 21 haben wir viele Leute erreicht und festgestellt, dass sie unheimlich interessiert sind, ihr Wissensstand aber sehr niedrig ist. Die Dimensionen und Auswirkungen von Bluttests und PND sind nicht bekannt. Wichtig war uns, auch grundsätzlich über Themen wie Behinderung, Selektion, Pränataldiagnose und Abtreibung ins Gespräch zu kommen.«
Viele Beraterinnen berichteten auf der Tagung von neuen Schwierigkeiten für die Beratung durch die neuen und verfeinerten Technologien. Nahezu alle Frauen kämen erst zu den Beratungen, wenn bereits mehrere Untersuchungen durchgeführt worden seien und es eine Diagnose gebe. Informationen über ihr Recht auf Nichtwissen und eine mögliche dramatische Dynamik der mit Pränataldiagnosen verbundenen Entscheidungen müssten Frauen aber erreichen, bevor sie sich darauf einlassen.

Eine weitere wichtige Debatte behandelte die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Bezug auf PND und PID. In einem neuen Papier des Inklusionsbeirates der Bundesregierung werden PND und PID als »schädliche Praktiken«, also als Diskriminierung von Menschen mit Behinderung im Sinne von Artikel 8 der UN-BRK, bezeichnet. Die sich in den selek­tiven Verfahren von PND und PID ausdrückenden »negativen gesellschaftlichen Bewertungsmuster« hätten diskriminierende Auswirkungen auf bereits lebende Behinderte. Die Bundesrepublik sei daher verpflichtet, »wirkungsvolle Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung« zu ergreifen. »Die Alltäglichkeit, mit der in jeder Familie, in die ein neues Kind kommt, der infragestellende Blick eingeübt wird, ist dramatisch«, sagt Margaretha Kurmann, eine der Autorinnen der Studie. »Dieser von der Medizin suggerierte selektierende Blick ist eine diskriminierende Praxis, um die wir uns kümmern müssen.«
Den theoretischen Grundlagen zur Beantwortung dieser Fragen widmeten sich Katrin Bentele, katholische Theologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Ethikrates, sowie Günter Feuerstein, Privatdozent an der Uni­versität Hamburg, in ihren Vorträgen. Bentele kritisierte, dass sowohl die politische als auch die öffentliche Debatte zu PND und PID vornehmlich auf der Ebene der Individualethik verbleibe. Es geht vor allem um auf das Einzelschicksal von Frauen und Paaren, gesellschaftlich relevante ethische Aspekte würden zu wenig einbezogen. Feuerstein wartete mit der provokanten These auf, dass Ethik nicht die Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems sei. Ihn beschäftigte vor allem das Problem einer angebotsinduzierten Nachfrage, die eine Eigendynamik entwickele und so zu einem Verpflichtungsgefühl durch das vorhandene Angebot und einer Neudefinition elterlicher Verantwortung führe.

Die Autorin und Journalistin Monika Hey stellte auf der Tagung ihr 2012 erschienenes Buch »Mein gläserner Bauch. Wie die Pränataldiagnostik unser Verhältnis zum Leben verändert« vor. Darin beschreibt sie den Prozess, der sie vor über zehn Jahren veranlasste, nach einer Tri­somie-21-­Diagnose eine Abtreibung vornehmen zu lassen, obwohl sie eigentlich keinen einzigen Test machen lassen wollte. Sehr ehrlich setzt sie sich mit ihrer damaligen Hilflosigkeit auseinander und hinterfragt die Mechanismen, Suggestionen und Zwänge der Schwangerschaftsüberwachung. In der Verknüpfung ihrer eigenen Situation mit analytischen Betrachtungen wurde den Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmern sehr plastisch vor Augen geführt, wie sich die Selektionsdynamik konkret und gesellschaftlich entfaltet.
Silke Koppermann, Gynäkologin aus Hamburg und eine der Sprecherinnen des Netzwerks, bezeichnete die Tagung abschließend als gelungen: »In den Diskussionen gab es eine gute Mischung aus politischen und praktischen Forderungen unter dem Fokus der großen, lebensentscheidenden Fragen. Sie war ein guter Raum, um über die Berufsgrenzen hinweg offen, politisch und konstruktiv zu diskutieren. Faszinierend ist, wie sich über die Jahre unsere Kritik in der Debatte weiterentwickelt.« Die nächste Tagung soll die Themen Autonomie und Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellen, um sich in einer kritischen Reflexion einer Neubestimmung dieser Konzepte zu nähern.