Die »Identitäre Bewegung« in Deutschland

Identitäre Inszenierung

Die »Identitäre Bewegung«, die in Frankreich schon seit Jahren ihr Unwesen treibt, ist jetzt offenbar auch im deutschsprachigen Raum angekommen.

Die sich selbst als »Identitäre« Bezeichnenden sind Teil einer extrem rechten Strömung, die ihren Ursprung in Frankreich hat, doch mittlerweile in mehreren europäischen Ländern in Erscheinung tritt. Der Anlass für die Gründung entsprechender Gruppen in Österreich und Deutschland war die Besetzung eines Moscheedachs im französischen Poitiers am 20. Oktober 2012 durch die Génération Identitaire (GI). Gemeinsam ist den »identitären« Gruppen in Europa der Kampf gegen die Achtundsechziger-Generation, die für die »multikulturelle« Gesellschaft und die angebliche Islamisierung Europas verantwortlich gemacht wird.
Als verbindendes Symbol haben die »Identitären« das Lambda, einen Buchstaben des griechischen Alphabets, gewählt. Es ist der Comic-Verfilmung »300« aus dem Jahr 2007 entlehnt, in der die Schlacht bei den Thermopylen fiktional dargestellt wird. Der Überlieferung nach kämpften dort während der Perserkriege 300 Spartaner, mit dem Lambda auf ihren Schilden, gegen die Übermacht der persischen Invasoren. Die »Identitären« bedienen sich dieses Ereignisses als Metapher, um ihrem Kampf als Europäer gegen Einwanderung Ausdruck zu verleihen.

Programmatik und Ziele der »Identitären Bewegung Deutschland« (IDB) entsprechen denjenigen der »Identitären Bewegung Österreich« (IBÖ) nahezu im Wortlaut. Die »Identitären« halten sich für die »Stimme der jungen Deutschen« respek­tive für jene »der jungen Österreicher«, die sich kreativ, gewaltfrei und demokratisch gegen den Verlust der eigenen Identität und die vermeintliche Islamisierung zu wehren vorgeben. Ein »schrankenlose(r) Globalismus«, eine angeblich vorherrschende »linke Utopie« sowie eine ima­ginierte außereuropäische Masseneinwanderung werden für den Zerfall der eigenen Identität verantwortlich gemacht.
Mit Slogans wie »100 % Identität – 0 % Rassismus« versuchen sie anschlussfähig für die vermeintliche gesellschaftliche Mitte zu erscheinen. In weiteren Ausführungen wird jedoch deutlich, dass es sich um eine bloße Verschleierung von antimuslimischem Rassismus handelt. Die eigene Identität sehen sie durch den »Zerfall (…) aller organischen Gemeinschaften, aller Bedeutungszusammenhänge und Werte« bedroht. Im Beschwören angeblich feststehender Größen wie Kultur, Volk, Heimat, Nation und Religion entlarven sich die »Identitären« selbst als Vertreter extrem rechten Gedankenguts. Sie propagieren ein »Europa der Vaterländer«, das sich durch »gemeinsame Traditionen, unser gemeinsames Schicksal und unsere ethnokulturelle Verwandtschaft« auszeichne. Zugleich sprechen sie sich »gegen jeden Totalitarismus und die Ideologien des 20. Jahrhunderts« aus.

In ihren programmatischen »Positionierungen« greifen die »Identitären« grundlegende Ideen von Alain de Benoist, einem der Vordenker der »Neuen Rechten« in Frankreich, auf, die dieser in den sechziger Jahren entwickelte. Er wendet sich gegen verschiedene Erscheinungsformen des Totalitarismus, zu denen er den Kommunismus, den Nationalsozialismus und die Globalisierung zählt. Die echte Demokratie sieht er Angriffen ausgesetzt, »die andere Meinungen zum Schweigen verurteilt«. Heutzutage wird hierfür der Begriff der Political Correctness verwendet.
De Benoist und die Vertreter der »Neuen Rechten« verfolgen das Ziel, rechte Ideologien in neue Begriffe zu fassen, um innerhalb öffentlicher Debatten die Diskurshoheit zu erlangen. Im Rahmen dieser Bestrebungen wird zum Beispiel der Begriff der Rasse durch den der Kultur ersetzt und die Ideologie des Ethnopluralismus propagiert. Die Selbstbezeichnung als »Identitäre« ist als eine neurechte Strategie zu verstehen, die versucht, den sehr breit gefassten Begriff der Identität mit extrem rechten Vorstellungen aufzuladen.
Gemessen an der starken Präsenz im Internet, speziell der Erstellung von Profilen und der Zahl der »Gefällt mir«-Klicks auf Facebook sowie den dort geführten Diskussionen, sind die »Identitären« in der Öffentlichkeit wenig aktiv. Die erste wahrnehmbare öffentliche Aktion in Deutschland war am 30. Oktober 2012 die Störung der Eröffnungsveranstaltung der »Interkulturellen Woche« in der Frankfurter Stadtbibliothek. Eine weitere Aktion, ebenfalls in Frankfurt am Main, war ein Flashmob vor einer Moschee. Beide Male traten sie maskiert, zu »Hardbass«-Musik, einer Stilrichtung des Techno, tanzend auf und zeigten Schilder mit der Aufschrift »Multikulti wegbassen«.
Eigenen Angaben zufolge hat die IBD am 1. Dezember 2012 in Frankfurt am Main mit 50 »Identitären« aus Deutschland sowie Vertretern aus Österreich und Italien ein erstes bundesweites Treffen abgehalten. Man traf sich mit der Absicht, in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen und nicht mehr primär als ein virtuelles Phänomen angesehen zu werden. In diesem Sinne gab man sich eine Struktur, verteilte Aufgaben und bekräftigte die bereits vorhandenen »Positionierungen«. Ehrgeizig wird behauptet, man sei »keine Eintagsfliege, keine Modewelle und kein flüchtiges, virales Internetphänomen«. Doch am bundesweiten Aktionstag am 21. Dezember beteiligten sich nur Wenige. Öffentlich wahrnehmbar ist die IBD derzeit durch das verstärkte Kleben eigener Aufkleber und Plakate sowie durch Sprühereien. Letztere wurden unter anderem aus Kassel und Mainz gemeldet.

In Österreich existieren gleich zwei Gruppen, die sich als »identitär« begreifen: Zum einen die vornehmlich theoretisch und ideologisch arbeitende Gruppe »Wiens Identitäre Richtung« (WIR) und zum anderen die aktionistisch auftretende »Identitäre Bewegung Österreich« (IBÖ). Ihre überwiegend männlichen Anhänger sind sowohl dem rechtskonservativen, dem neurechten als auch dem extrem rechten Milieu zuzuordnen.
WIR gründete sich bereits im Frühjahr 2012, um sich »dem Erhalt und der Pflege« dessen, was sie ihre Identität nennen, zu widmen und über die angeblich drohende Islamisierung Wiens aufzuklären. Wie die »Identitären« grenzt man sich von Neonazis ab und möchte den »dritten Weg gehen, der jenseits von Extremismus (…) liegt«. Doch auch bei WIR wird lediglich alter Wein in neuen Schläuchen angeboten. Nach eigener Darstellung werden regelmäßig Infotische, Liederabende, Stammtische und Stadtrundgänge durchgeführt. Doch offenbar findet nur ein Bruchteil dessen, was angegeben wird, auch wirklich statt.
Die IBÖ trat zum ersten Mal am 1. Oktober 2012 mit der Störung eines Workshops der Caritas im Wiener Stadtteil Florisdorf in Erscheinung. Mitte November platzten die »Identitären« dann in eine Veranstaltung zur extremen Rechten und deren neuen Tarnstrategien in die Wiener Universität. Wenige Tage später, am 28. November, protestierten die »Identitären« mit einem Flashmob gegen das Refugee-Camp in Wien. Nach der Räumung des Camps am 28. Dezember und nachdem die Flüchtlinge Zuflucht in der nahegelegenen Votivkirche gesucht hatten, tauchten die »Identitären« auch dort auf und protestierten abermals tanzend gegen das Kirchenasyl. Am 10. Februar kam es zu einer erneuten Aktion mit derselben Stoßrichtung. Unter dem Motto »Besetzt die Besetzer« betraten neun Mitglieder von IBÖ und W.I.R. die Votivkirche und ließen sich dort demonstrativ in einer Ecke nieder. Durch diese Aktion verhöhnten sie die über 50 sich in der Kirche befindenden Flüchtlinge, die mittels eines Hungerstreiks mehr Rechte für Asylsuchende fordern. Nach knapp fünf Stunden mussten sie die Kirche wieder verlassen, nachdem der örtliche Pfarrer von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht hatte, trauten sich jedoch nur unter Polizeischutz hinaus. Vor der Tür wurden sie dann von einigen der rund 250 Gegendemonstranten mit Schneebällen beworfen. Darüber verloren die »Identitären« jedoch im Nachhinein kein Wort. Sie sprachen lieber von einer »frechen Protestaktion« und einer »bedrohten Minderheit im eigenen Land«.