Deutsche Waffengeschäfte in Mexiko

Sturmgewehre aus dem Schwarzwald

Polizei, Mafia und Drogenkartelle in Mexiko benutzen deutsche Waffen der Firma Heckler & Koch – auch in Bundestaaten, für die keine Exportgenehmigung besteht. Gegen das Rüstungsunternehmen wird jetzt ermittelt.

»Schnell, präzise und durchschlagskräftig« – die Qualitäten, mit denen das Schwarzwälder Rüstungsunternehmen Heckler & Koch für sein Sturmgewehr G36 wirbt, haben Militaristen weltweit überzeugt. Bei der Bundeswehr zählt es zu den wichtigsten Waffen, georgische Soldaten schießen mit den Gewehren aus dem schwäbischen Oberndorf und auch in Muammar al-Gaddafis Residenz wurden sie gefunden. Saudi-Arabien stellt sie sogar in lizenzierter Produk­tion selbst her und bietet sie, wie vergangene Woche in Abu Dhabi, auf großen internationalen Waffenmessen an. Kaum ein Krisengebiet kommt ohne die G36 aus. Das alles sei legal, lassen die Waffenbauer wissen, wenn mal wieder ein fragwürdiger Export ihres Verkaufsschlagers aufgedeckt wird. Und sollte wie im Fall Libyen so gar nichts legal gewesen sein, dann habe Heckler &  Koch schlicht nicht gewusst, dass das Gewehr offenbar über seine ägyptischen Kunden nach Tripolis geliefert worden war.
Ganz so einfach kommt die Firma in ihrem derzeit jüngsten Exportskandal nicht davon. Von 9 652 Sturmgewehren, die das Unternehmen zwischen 2006 und 2009 an die mexikanische Polizei geliefert hat, geriet etwa die Hälfte in vier Bundesstaaten, die wegen der schlechten Menschenrechtslage explizit von der Ausfuhrgenehmigung ausgenommen waren: Chihuahua, Guerrero, Chiapas und Jalisco. Mehrmals veröffentlichten deutsche Medien Fotos, auf denen Beamte mit den Waffen zu sehen waren. Die Aufnahmen zeigten Polizisten, die offensichtlich mit Heckler &  Koch-Gewehren in der als besonders gefährlich bekannten Stadt Ciudad Juárez patrouillierten. Auch in Guerreros Landeshauptstadt Chilpancingo waren Uniformierte nach Aussagen von Experten mit diesen Gewehren bewaffnet, als sie im Dezember 2011 gewaltsam gegen Demonstrierende vorgingen. Lokale Zeitungen berichten zudem immer wieder, dass in den Waffenarsenalen der Mafia G36-Gewehre gefunden worden seien.
In Oberndorf am Neckar reagiert man auf solche Beweise abweisend: »Heckler & Koch hält sich an Recht und Gesetz der Bundesrepublik Deutschland.« Mit Blick auf den Einsatz in Chilpancingo, bei dem zwei Studenten getötet wurden, ließ das Unternehmen wissen, es habe sich um israelische oder belgische Gewehre gehandelt, »aber nicht um eine G36 von Heckler &  Koch«.
Eine gewagte Behauptung. Denn spätestens seit November steht außer Frage, dass die Gewehre in die »verbotenen« Bundesstaaten gelangt sind. »Es sind Waffen dort aufgetaucht, wo sie nicht hätten auftauchen dürfen«, bestätigte damals die Stuttgarter Staatsanwältin Claudia Krauth. Die Strafverfolger ermitteln bereits seit April 2010 gegen das Rüstungsunternehmen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz. Damals hatte der Freiburger Friedensaktivist Jürgen Grässlin Anzeige erstattet. Dass die Staatsanwaltschaft erst jetzt zu ihrem Schluss kommt, lässt an der Ernsthaftigkeit ihrer Ermittlungen zweifeln. Bereits im März 2011 veröffentlichte das mexikanische Verteidigungsministerium (Sedena) – immerhin der Vertragspartner in diesem Deal – ein Schreiben, das den Verbleib der eingekauften Gewehre genau auflistet: 2 113 nach Chihuahua, 1 924 nach Guerrero, 561 nach Chiapas, 198 nach Jalisco. Seit November liegt dieses Dokument auch der Stuttgarter Behörde vor, die Bemühungen der Strafverfolger halten sich aber in Grenzen. Der zuständige Kollege sei mit anderen Dingen sehr beschäftigt, erklärt Sprecherin Krauth regelmäßig auf Nachfrage.

Die wichtigste Frage für die Ankläger lautet nun: Sind die deutschen Lieferanten oder die mexika­nischen Abnehmer für den illegalen Verbleib der Sturmgewehre verantwortlich? Grässlins Anwalt Holger Rothbauer sieht eindeutig Heckler & Koch in der Pflicht. »Der Exporteur muss die Verantwortung dafür tragen, dass die Ausfuhr­genehmigung eingehalten wird«, ist der Jurist überzeugt. Sonst würden Exportgesetze und po­litische Grundsätze zur Farce. »Wenn künftig immer die Regierungen der Importstaaten für den Endverbleib verantwortlich sind, wäre das ein Freibrief, alle Waffen in alle Welt zu senden«, meint Rothbauer.
Beim Bundesausfuhramt, das solche Exporte absegnen muss, sieht man das anders. Zunächst müsse geprüft werden, ob die Waffenhersteller von ihrem mexikanischen Partner getäuscht worden seien oder beide »gemeinsame Sache« gemacht hätten, ob also Heckler & Koch darüber im Bilde war, wohin ihre Gewehre gingen.
Für Grässlin ist diese Frage so gut wie geklärt. »Alles deutet darauf hin, dass die Geschäftsführung genau wusste, was in Mexiko vor sich ging«, entgegnet der Friedensaktivist und verweist auf einen Informanten aus dem Innern des Betriebs. Nach Angaben des Zeugen habe das Unternehmen genau gewusst, dass die Waffen in die »verbotenen« Provinzen geliefert worden seien. Der Informant selbst habe mexikanische Polizisten in den Bundesstaaten Guerrero und Jalisco an den Gewehren ausgebildet. Der Mann, der Grässlin sein Wissen mitgeteilt hat, ist mittlerweile aus dem Schwarzwälder Betrieb ausgestiegen. Im Fall eines Verfahrens steht er als Kronzeuge zur Verfügung. Seine Vorwürfe gehen noch weiter: Ein »General Aguilar« soll 20 bis 25 Dollar Schmiergeld für jede verkaufte G36 kassiert haben. Tatsächlich hat General Guillermo Aguilar in der staatlichen Beschaffungszentrale DCAM, die im Auftrag der Sedena tätig ist, das Geschäft mit Heckler & Koch abgewickelt. So bestätigt es ein Dokument des Ministeriums aus dem Jahr 2011, das der Jungle World vorliegt.

Welche Rolle die DCAM, beim Verbleib der Waffen gespielt hat, soll nun in Mexiko geklärt werden. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat das Land um Rechtshilfe gebeten. Sprich: Die Regierung in Mexiko-Stadt soll jetzt ermitteln, ob eine ihrer Behörden illegal G36-Gewehre in die vier Bundesstaaten weitergeleitet hat. Zweifel am Ermittlungseifer sind allerdings angebracht: Nur etwa zwei von 100 Verbrechen werden in Mexiko strafrechtlich verfolgt, noch weniger sind es, wenn sich die Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte richten. Die Mehrzahl aller Beamten ist korrupt, viele arbeiten, wie auch der Fund der Waffen in den Lagern der Kartelle zeigt, eng mit der Mafia zusammen. Wenn in Mexiko Migranten auf ihrem Weg in die USA ausgeraubt und entführt werden, wenn von Gewerbetreibenden Schutzgeld kassiert wird oder Killer der Mafia ihre Gegner ermorden, sind fast immer Sicherheitskräfte beteiligt und geben den Kriminellen Rückendeckung.
Allein zwischen 2006 und 2011 gingen bei der Nationalen Menschenrechtskommission 5 055 Beschwerden gegen Soldaten und Polizisten ein. Von den 21 000 Menschen, die in den vergangenen sechs Jahren verschwunden sind, geht etwa ein Drittel der Fälle auf das Konto von Sicherheitskräften. Fast im gesamten Land werden Oppo­sitionelle, Indigene und Kleinbauern willkürlich verhaftet oder gefoltert, praktisch überall verschwinden Personen. Warum die Waffen dennoch in 28 Bundesstaaten geliefert werden durften, ist folglich schwer nachvollziehbar. »Will man dafür sorgen, dass die Gewehre nicht in die falschen Hände kommen«, erläutert der Menschenrechtsaktivist Alejandro Cerezo, »darf man einfach keine Waffen mehr liefern.«
So sehen es auch die deutschen und die europäischen Exportrichtlinien vor. Für den Fall, dass eingekaufte Rüstungsgüter vom »Endverwender« oder an diesem vorbei »zu interner Repression« benutzt werden könnten, legt der »Gemeinsame Standpunkt« der EU von 2008 ihren Mitgliedsstaaten nahe, eine Ausfuhrgenehmigung zu verweigern. Die Bundesregierung verabschiedete bereits im Jahr 2000 ähnliche Grundsätze. Angesicht der korrupten und gewalttätigen Verhältnisse forderte der Menschenrechtsbeauftragte der schwarz-gelben Koalition, Markus Löning, vergangenes Jahr, dass keine Rüstungsgüter mehr nach Mexiko geliefert werden dürfen. Die Regierung selbst sieht das jedoch anders. Zwar darf Heckler & Koch wegen des Ermittlungsverfahrens keine G36-Gewehre mehr in das Land ausführen, grundsätzliche Bedenken hat die Bundesregierung aber nicht. »Eine vollständige Einstellung von Waffenlieferungen ist gegenüber Mexiko derzeit nicht beabsichtigt«, antwortete sie im Dezember 2011 auf eine Kleine Anfrage der Partei »Die Linke«. Die Koalition arbeitet sogar an einem gemeinsamen Projekt mit den Regierenden in Mexiko-Stadt. Im Rahmen eines Sicherheitsabkommens sollen deutsche Polizisten ihre mexikanischen Kolleginnen und Kollegen ausbilden. Man wolle »bei der Bekämpfung, Verhütung und Aufklärung schwerer Straftaten der Organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgift- und Schleuserkriminalität, des Menschenhandels sowie des Terrorismus« helfen, informiert die Bundesregierung.

Bei mexikanischen Aktivistinnen und Aktivisten stößt die Idee bestenfalls auf Skepsis. Das Vorhaben sei ein großer Fehler, meint etwa Bischof Raul Vera, der in seiner Arbeit mit Migranten täglich erlebt, wie Polizei und Kartelle zusammenarbeiten. Solange diese gefährliche Allianz nicht beendet sei, sei ein solches Abkommen kontraproduktiv, meint der befreiungstheologisch ­inspirierte Christ: »Es wird uns nicht schützen, wenn die Deutschen ausgefeilte Technologien liefern und unsere Polizisten über Geheimdienststrategien informieren. Im Gegenteil: Das wird sich gegen uns richten.«
Das dürfte den Verteidigungsattaché, Oberstleutnant Dirk Kraus von der deutschen Botschaft in Mexiko-Stadt, nicht so sehr interessieren. Auf einer von der deutsch-mexikanischen Handelskammer organisierten Veranstaltung in Stuttgart informierte der Diplomat im November Unternehmer über die Marktchancen im »Sektor Verteidigung« in Mexiko, zu dem auch die Polizei zählt. Die Haushaltsmittel für militärische Güter stiegen weiter, die Wunschliste sei lang und europäische Produkte seien beliebter als US-amerikanische, erklärte der Oberstleutnant den deutschen Waffenproduzenten. Und als wäre die illegale Lieferung der G36-Gewehre in die »ver­botenen« Bundesstaaten ein besonderes Zeichen guter Kooperation mit dem mexikanischen Verteidigungsministerium, versicherte der Diplomat seinem schwäbischen Publikum in einer PowerPoint-Präsentation: »Waffenregister/Kontrolle nur durch Sedena.«