Christliche Fundamentalisten demonstrieren in Münster

Jeder nur ein Kreuz

In Münster wollen christliche Fundamentalisten gegen das Recht auf Abtreibung demonstrieren. Zu Überschneidungen mit der extremen Rechten kommt es dabei nicht nur in der Rhetorik.

Im erzkatholischen Münster werden am kommenden Samstag erneut fundamentalistische Christen gegen das Recht auf Abtreibung demonstrieren. Ihre Anhänger sollen mit Bussen aus ganz Deutschland zusammengekarrt werden und auch Wolfgang Hering, der Vorsitzende von Euro Pro Life, wird wohl eigens aus München anreisen. Wie bereits in den vergangenen sieben Jahren ist es nämlich sein Verband, der den Gebetszug unter dem Titel »1 000 Kreuze für das Leben« organisiert, bei dem die Teilnehmer regelmäßig betenderweise weiße Holzkreuze mit sich herumtragen. Die »1 000« im Namen steht für die Zahl der nach Ansicht der Veranstalter angeblich an jedem Werktag durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche. Das Statistische Bundesamt dagegen spricht von lediglich 300 Schwangerschaftsabbrüchen, was unter anderem ein Grund dafür ist, dass eine ähnliche Veranstaltung in Berlin sich mittlerweile nur noch »Marsch für das Leben« nennt. Weitere Demonstrationen unter dem statistisch zweifelhaften Motto finden alljährlich in Fulda und München statt.

Für die Organisatoren ist eine Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen bereits mit der Tötung eines Kindes gleichzusetzen. Im vorigen Jahr gedachten die etwa 150 selbsternannten Lebensschützer diesen mit einer symbolischen Aktion und warfen verschiedenfarbige Rosen in den Fluss Aa, der durch Münster fließt, und lasen dazu abwechselnd männliche und weibliche Vornamen vor, bevor die Blüten den Strom hinabtrieben. Einige Beobachter fühlten sich an den Titanic-Comic »Der Papst treibt ab« erinnert.
In ihren Publikationen versucht die Organisation Euro Pro Life, Frauen mit dem wissenschaftlich nicht belegten »Post-Abortion-Syndrom« zu ängstigen. Die angebliche psychische Erkrankung wird ausschließlich von vorgeblichen »Lebensrechtaktivisten« als solche anerkannt und als eine spezielle Form der posttraumatischen Belastungsstörung klassifiziert. Die Erfahrungen der Frauen werden dabei häufig mit denen von Kriegsveteranen verglichen. Die Möglichkeit negativer psychischer Folgen von ungewollter Mutterschaft wird hingegen bestritten.

Mit Kampfbegriffen wie »Babycaust« und der Bezugnahme auf den umstrittenen Kardinal Clemens August Graf von Galen, der während des Nationalsozialismus Bischof von Münster war, begeben sich die Veranstalter auf diskursives Glatteis. Gegner des Marsches kritisieren die Positionen der Fundamentalisten unter anderem als anti­semitisch.
Zu allem Überfluss führen die Abtreibungsgegner in Münster jeden Monat sogenannte Gehsteigberatungen durch. Das aus den USA stammende Konzept besteht schlicht darin, Schwangere, die kurz vor einem Abbruch stehen, vor den jeweiligen Kliniken abzufangen und zu belästigen. Dabei arbeiten die Fundamentalisten unter anderem mit kleinen Plastikembryonen, um Schuldgefühle bei den Frauen zu erzeugen. Auf ihrer Website veröffentlichen die Westfalen zudem pseudowissenschaftliche Statistiken und bieten Beratungen an.
Dass der Aufzug gerade in Münster stattfindet, verwundert nur wenig. Die Stadt mit den beliebtesten »Tatort«-Kommissaren hat eine große katholische Gemeinde und die »Pille danach« ist nur in zwei Krankenhäusern der Stadt problemlos erhältlich. Auch wenn sich das Bistum Münster seit 2009 von den Fundamentalisten distanziert, sie sogar als »Kampftruppe am äußersten Rand der Kirche« bezeichnete und ihnen seitdem keine Räumlichkeiten mehr zur Verfügung stellt, sind ihre Positionen durchaus anschlussfähig für die Mitte der Gesellschaft. Ein Großteil der Organisierten stammt der Berliner Forschungsgruppe Christlicher Fundamentalismus zufolge aus der Mittelschicht und lebt in eher ländlichen Gegenden, agiert also mit Ausnahme der Märsche eher verdeckt und unbehelligt.
Doch es regt sich auch Widerstand in der Universitätsstadt. Ein Bündnis, das sich selbst als feministisch und linksradikal bezeichnet, ruft zu einer Demonstration unter dem Motto »Raise your voice – your body, your choice« auf, die drei Stunden vor dem Marsch stattfinden soll, und will versuchen, damit eigene Akzente zu setzen. Im Aufruf zur Veranstaltung kritisiert der Zusammenschluss, die Kreuzträger würden versuchen, ein »ho­mo­pho­bes und frau­enfeind­li­ches Welt­bild auf die Stra­ße zu tra­gen und Frau­en ihr Recht auf Selbst­stim­mung ab­spre­chen.«
In den vergangenen Jahren kam es bei den Gegenprotesten zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. 2009 wurden 106 Gegendemonstranten wegen des Vorwurfs der groben Störung mit der Absicht der Sprengung einer nicht verbotenen Versammlung angeklagt. Ein Großteil der Betroffenen erhielt einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von bis zu 2 400 Euro. Insgesamt sprach das Bündnis sogar von Kosten von mehr als 60 000 Euro. Bisher sind die Urteile nicht rechtskräftig und nach Angaben der Sprecherin des Bündnisses, Rita Tramm, ist auch noch kein Ende in Sicht. Sie sei aber guter Hoffnung.
Der Begriff der groben Störung, der unter Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes geführt wird, kam bisher nur selten zur Anwendung. Für gewöhnlich ziehen Störungen beispielsweise von Neonaziaufmärschen lediglich Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten nach sich. Die Münsteraner Staatsanwaltschaft beabsichtigt laut Angaben des Bündnisses gegen den Aufmarsch der christlichen Fundamentalisten die Schaffung eines Präzedenzfalles. Sebastian Nickel, Anwalt eines Betroffenen, sieht in den Verfahren eine Bedrohung der Grundrechte: »Die Strafbefehle stellen damit nicht nur ein völlig überzogenes Vorgehen im Einzelfall dar, der Versuch, friedlichen Protest pauschal als strafbares Verhalten zu verurteilen, muss vielmehr auch als ein Angriff auf die Versammlungsfreiheit als solche gewertet werden.«

Proteste gab es dennoch auch in den Folgejahren. 2011 kam es dabei erneut zu Schwierigkeiten mit der Polizei, die dem Marsch nach einigen Verzögerungen den Weg bahnte. Die Adressaten der Proteste jedoch zeigen sich jedes Jahr aufs Neue verärgert von den Aktionen. So echauffieren sich Nutzer eines christlichen Forums über Parolen wie »Nieder mit Jesus« und geworfene Kondome. Auch das Verkleiden als christliche Würdenträger missfällt ihnen. Ähnlich wie in Berlin sind auch in Münster die Gegenaktivitäten überwiegend bunt und kreativ. Tramm zufolge erregt besonders das Werfen von Konfetti die Gemüter der selbsternannten Lebensschützer.
Bei einer Rhetorik, die Euthanasieverbrechen im Nationalsozialismus durch deren Gleichsetzung mit Schwangerschaftsabbrüchen relativiert und mit Aussagen wie »Ein Volk stirbt im Mutterleib« völkische Positionen anspricht, verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren immer wieder Vertreter der NPD unter den Fundamentalisten anzutreffen waren und dass auch PI-News regelmäßig über die Demonstrationen berichtet. Zudem rief die rechtspopulistische Ver­einigung Pro NRW im vorigen Jahr ebenfalls zur Teilnahme am Gebetsmarsch auf. Derartige Überschneidungen scheinen keine Seltenheit zu sein und sind auch bei den Demonstrationen in anderen Städten zu beobachten. Somit ist der Aufzug am 9. März eine gute Gelegenheit, feministische mit antifaschistischer Kritik zu verbinden und auf der Straße sichtbar zu machen.