Die Berliner Bewegung für das Recht auf Wohnen

In Bewegung gekommen

Nach Hausbesetzern, Mieterbewegungen und Protesten gegen Gentrifizierung bildet sich in Berlin über den Widerstand gegen Zwangsumzüge und Wohnungsräumungen eine neue soziale Bewegung für das Recht auf Wohnen. Sie feiert erste Erfolge.

Der Jubel unter den knapp 200 Demonstrantinnen und Demonstranten war groß, als bekannt wurde, dass sie in letzter Minute ihr Ziel erreicht hatten. Sie waren am Vormittag des 27. Februar im Berliner Stadtteil Reinickendorf zusammengekommen, um die Zwangsräumung der 67jährigen Rentnerin Rosemarie P. zu verhindern, die im Herbst 2012 vom Amtsgericht Wedding wegen Mietrückständen zur Räumung ihrer Wohnung verurteilt worden war. Aufgerufen hatte das Bündnis »Zwangsräumungen verhindern«, das am 9. Februar vergeblich gegen die Räumung der Familie Gülbol in Kreuzberg protestiert hatte. Die Polizei hatte damals die Gerichtsvollzieherin mit einer Polizeiweste getarnt über ein Nachbargrundstück in die Wohnung geschleust, wo sie die Räumung vollstrecken konnte, während auf der Straße Hunderte Menschen die Zugänge zum Gebäude blockierten.
Zunächst sah es so aus, als wiederhole sich in Reinickendorf das Szenario. Schließlich war dieselbe Gerichtsvollzieherin schon Stunden vor dem Termin vor Ort, beschützt von der Polizei, die mit einem Großaufgebot die Straße abgesperrt hatte. Doch als sie das Schloss in der Wohnungstür gerade austauscht hatte, klingelte ihr Telefon und sie musste ihr Tagwerk schon wieder beenden. Sie erfuhr, dass das Berliner Landgericht zwei Vollstreckungsschutzklagen angenommen und die Räumung vorerst ausgesetzt hatte. Damit sollte die Mieterin »vor einer unbilligen Härte durch die drohende Zwangsvollstreckung« geschützt werden, hieß es in einer Erklärung des Gerichts zu dem Aufschub. Zuvor hatte bereits ein Arzt attestiert, dass der Stress einer Zwangsräumung der gesundheitlich angeschlagenen Rentnerin nicht zuzumuten sei.

Einen solchen Erfolg auf der juristischen Ebene hatten die Demonstranten, die vor dem Haus protestierten, nicht erwartet. Die Mobilisierungszeit für die Kundgebung war sehr kurz gewesen. Zudem stand in Reinickendorf anders als in Kreuzberg kein Stadtteilladen im Haus für die Infrastruktur des Widerstands zur Verfügung. Statt solidarischer Nachbarn kamen in den Berliner ­Lokalmedien Hausbewohner zu Wort, die die Räumung der Rentnerin begrüßten. Anders als in Kreuzberg wurde von dem Bündnis daher auch nicht zu einer Blockade, sondern zu einer Kundgebung gegen die Zwangsräumung aufgerufen. Umso erfreuter waren die Initiatoren des Protests, dass um acht Uhr dennoch rund 200 Menschen zusammengekommen waren, die nach der Aussetzung der Räumung in Feierlaune waren. Dem tat auch das aggressive Auftreten der Polizei keinen Abbruch, die den Rückweg der Aktivisten zur U-Bahn-Station als unangemeldete Demonstration wertete und mit Faustschlägen in die Menge und einigen vorübergehenden Festnahmen reagierte.
Tatsächlich hat sich die noch junge Bewegung gegen Wohnungsräumungen am 27. Februar als handlungsfähig auch über den Stadtteil Kreuzberg/Friedrichshain hinaus erwiesen. Zudem wird die Kampagne auch von Menschen ernst genommen, die weder in linken Organisationen aktiv sind noch in Stadtteilen wohnen, in denen poli­tische und soziale Initiativen allgegenwärtig sind. Rosemarie P. hatte durch eine Bekannte von dem Bündnis »Zwangsräumungen verhindern« erfahren. Anfang Februar nahm sie Kontakt auf. In den folgenden Wochen versuchte das Bündnis zusammen mit Behördenvertretern, unter anderem dem Reinickendorfer Sozialstadtrat Andreas Höhne (SPD), die Räumung zu verhindern. Höhnes Behörde hatte sich gegenüber dem Vermieter schriftlich bereit erklärt, die Mietrückstände von Rosemarie P., die Empfängerin von Grundsicherung ist, zu übernehmen und künftig für die Mietzahlungen aufzukommen. Die Eigentümer wollten sich allerdings auf dieses Angebot nicht einlassen und bestanden auf der Räumung. Auch die Klagen, die schließlich zur Aussetzung der Räumung führten, waren von dem Bündnis initiiert worden.

Der Erfolg macht aber auch deutlich, dass die Ausschöpfung sämtlicher offizieller behördlicher und juristischer Möglichkeiten notwendig war. Eine Blockade hätte bei der Polizeitaktik eben­so wenig zum Erfolg geführt wie in Kreuzberg. Auch in der Vergangenheit wurden bereits durch öffentlichen Protest Wohnungsräumungen verhindert. So hatte die Wohnungsbaugesellschaft Mitte die Kündigung eines Rentnerehepaar zurückgenommen, nachdem sich Mitte Januar im Foyer des kommunalen Immobilienunternehmens 30 Wohnrechtsaktivisten zum Sit-in niedergelassen hatten. Ebenfalls Mitte Januar hatte die Berliner Wohnungsbaugesellschaft GSW die Kündigung einer fünfköpfigen Familie nach Protesten zurückgenommen.
Solche Aktionen mögen nicht so spektakulär wie eine Blockade sein, tragen aber dazu bei, dass der Protest gegen Wohnungsräumungen zumindest in Berlin eine wahrnehmbare soziale Bewegung wird, die es auch schafft, den Zusammenhang zwischen hohen Mieten, niedrigen Einkommen und den Zumutungen des Hartz-IV-Regimes aufzuzeigen. So wurde in einem Redebeitrag auf der Kundgebung in Reinickendorf darauf hingewiesen, dass Mietschulden oft entstehen, weil sich Jobcenter weigern, die volle Miete zu übernehmen. Hier ergeben sich für die Bewegung gegen Räumungen Kooperationsmöglichkeiten mit anderen sozialen Bewegungen. In den vergangenen Jahren wehrten sich in verschiedenen Städten Erwerbslose mit »Zahltagaktionen« und der Kampagne »Keine/r muss allein zum Amt« gegen Sanktionen oder Kürzungen durch Jobcenter.
In Zukunft könnten solche Aktionen von Erwerbslosen- und Mieterinitiativen gemeinsam organisiert werden. So könnte nicht nur verhindert werden, dass sich der Widerstand gegen Zwangsumzüge und Wohnungsräumungen in arbeits- und zeitaufwendiger Sozialarbeit erschöpft. Den Zusammenhang zwischen hohen Mieten einer- und niedrigen Einkommen andererseits darzustellen, könnte auch Vereinnahmungsversuche von Politik und Medien erschweren. Der Berliner Kurier hat bereits eine Plakatserie mit dem Motto »Berliner wehren sich« in der ganzen Stadt kleben lassen. Und ausgerechnet die SPD, die am 14. März in Berlin zusammen mit dem »Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung« eine Feier zum zehnjährigen »Geburtstag« der Agenda 2010 veranstaltet, will sich im Wahlkampf als Mieterpartei profilieren. Daran, dass sie selbst an der prekären Lage Schuld trägt, will sie sich lieber nicht erinnern.