Sebastian Vollnhals stellt im Gespräch das Projekt »Lobbyplag« vor

»Es ist cool, die EU zu trollen«

Kaum im Netz, machte die Website Lobbyplag schon international Schlagzeilen. Das vom Journalisten Richard Gutjahr, dem Studenten Max Schrems und dem Datenjournalismus-Unternehmen Open Data City initiierte Projekt wies am Beispiel der EU-Datenschutzverordnung erstmals detailliert den Einfluss von internationalen Lobbyisten auf die europäische Politik nach. Der Programmierer Sebastian Vollnhals hat an den Tools gearbeitet, die diesen Lobbyeinfluss aufzeigen. Im Interview mit der Jungle Word spricht er über Transparenz und Möglichkeiten, Lobbyplag auch auf deutsche Gesetze anzuwenden.

Was interessiert einen Programmierer an Lobbyplag?
Es ist ein spannendes Projekt – und sehr notwendig, wie die ersten Ergebnisse ja bereits gezeigt haben. Und außerdem ist es natürlich schon sehr cool, die EU zu trollen.
Eigentlich klingt das, was Lobbyplag macht, technisch nicht besonders kompliziert.
Die Software ist selbstgemacht, denn es gibt zwar einzelne Lösungen, wie zum Beispiel Programme zur Textanalyse, wie sie Guttenplag verwendet, aber Unterschiede zwischen alten und neuen Gesetzesversionen zu finden und sie mit den oft nicht digital verfügbaren Lobbypapieren zu vergleichen, war bislang nicht so einfach möglich. Mit EurLex.js haben wir jetzt zum Beispiel ein Kommandozeilenprogramm, das Texte aus der EU-Datenbank kopieren kann.
Was ist das große Ziel von Lobbyplag, ein Verbot des Lobbyismus?
Lobbyplag hat kein politisches Ziel im engeren Sinne. Unser Anliegen ist es, mehr Transparenz zu schaffen und so zu ermöglichen, dass nicht nur Lobbyorganisationen legislative Prozesse durchschauen und Einfluss nehmen können, sondern gerade auch Menschen, die von den Richt­linien und Verordnungen aus Brüssel betroffen sind und deren Interesse an den bürokratielas­tigen Prozessen der EU bislang gering ist.
Wie Vroniplag stößt auch Lobbyplag auf große Freude bei Leuten, die es »denen da oben« gern zeigen wollen. Wird Ihnen unwohl beim Gedanken, dass Sie das Klischee vom faulen und korrupten Berufspolitiker bestätigen?
Das ist eine fiese Suggestivfrage. Nein, im Grunde ist es doch eher so, dass mehr Transparenz zu einer realistischeren Sicht führt – im negativen, aber eben auch im positiven Sinn.
Lobbyplag untersucht im Moment, wie auf die EU-Datenschutz-Grundverordnung Einfluss genommen wurde. Können Sie abschätzen, auf welchen Gebieten generell viele Lobbyisten aktiv sind?
Nein, wir hörten allerdings, dass im Bereich Datenschutz sehr viele Lobbys zugange sind – dazu passt, dass in Änderungsvorschlägen von Parlamentariern Sätze bis hin zu ganzen Absätzen aus Lobby-Papers von Unternehmen wie Amazon und Ebay stammen. Die Datenschutzlobbys haben übrigens, soweit uns bekannt ist, die wenigsten Papiere erstellt.
Lohnt es sich für Lobbyisten denn wirklich so sehr, Einfluss auf einzelne Abgeordnete auszuüben? Im Bundestag gibt es bei wichtigen Abstimmungen Fraktionszwang und die Mehrheiten sind meist so groß, dass einige Abweichler nicht weiter ins Gewicht fallen.
Das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag ist anders und viel direkter als die Art und Weise, wie im EU-Parlament gearbeitet wird. Die EU-Direktiven kommen auf komplizierte Weise zustande und in den unscheinbarsten Ecken kann es sich sehr auszahlen, jemanden beeinflusst zu haben. Nebenausschüsse sind beim Verfahren sehr wichtig, denn dort werden die Änderungsanträge einzelner Parlamentarier eingebracht und abgestimmt. Genau dort setzen Lobbyisten an, denn sie wissen, wenn genügend Abgeordnete in den Ausschüssen auf Änderungen drängen und die Vorschläge, die sie machen, auch noch im Großen und Ganzen gleich sind, haben sie gute Chancen, dass am Ende eine Direktive in ihrem Sinne ausfällt.
Die Person mit den meisten Lobbykontakten ist Amelia Andersdottir, Europaabgeordnete der schwedischen Piratenpartei. Es handelt sich zwar ausschließlich um Bürgerrechtsorganisationen, aber ist Lobbyismus von NGOs automatisch ungefährlich?
In den Fällen von Amelia Andersdottir, Christian Engström oder Eva Lichtenberger kann kaum von einem Einfluss gesprochen werden, da unseres Wissens bislang und vermutlich auch absehbar keiner der von ihnen eingebrachten Änderungsanträge in den Ausschüssen durchgekommen ist.
Welche Politiker sind besonders anfällig für Lobbyarbeit? Täuscht der Eindruck, dass meist Konservative und Liberale Verbindung zu professionellen Beeinflussern haben?
Bei den von uns ausgewerteten Dokumenten haben wir in der Tat vor allem bei EU-Parlamentariern der Gruppen ECR, EPP und ALDE Übernahmen aus Lobby-Papieren entdeckt. Das legt die Vermutung nahe, dass Abgeordnete aus diesen Gruppen besonders offen für die Wünsche der Wirtschaft sind.
Arbeitet Lobbyplag direkt mit EU-Abgeordneten zusammen?
Ja, mit einigen. Jan Philipp Albrecht, der Vorsitzende des Hauptausschusses, hat uns beispielsweise Einblicke in die Abläufe im Parlament gegeben. Auch mit dem kürzlich verunglückten deutschen Vizepräsidenten Alexander Alvaro hatten wir Kontakt – natürlich haben wir die besten Kontakte zu den wenigen Abgeordneten, zu deren Kernthemen Datenschutz gehört.
Können Sie sagen, welche Lobbys aus welchen Ländern besonders aktiv sind?
Eine solche Aussage ist nicht möglich, weil wir nicht wissen, wie viele Lobby-Papiere wir noch gar nicht kennen und daher nicht auswerten können. Da wir bislang nur deutsch- und englischsprachige Dokumente haben, gehen wir davon aus, dass diese nicht repräsentativ für die gesamteuropäische Lobbyarbeit sind.
Welche weiteren Pläne gibt es bei Lobbyplag?
Zuallererst werden wir in den nächsten Tagen eine Visualisierung der gesamten EU-Datenschutz­direktive veröffentlichen, mit deren Hilfe nachvollziehbar wird, an welchen Stellen erfolgreich Lobbyarbeit geleistet wurde. Es ist spannend zu sehen, wo so eine Direktive unterwegs plötzlich abbiegt und einen anderen Weg nimmt. Durch den Buschfunk haben wir übrigens schon erfahren, dass die Änderungswünsche der Datenschutzlobby wohl nicht durchgekommen sind.
Werden auch deutsche Gesetzesvorlagen auf Lobbyeinflüsse untersucht werden können?
Wir haben schon Anfragen aus vielen anderen Ländern, unter anderem den USA. Wir werden sehen, in welcher Form unsere Tools beispielsweise für Deutschland gebraucht werden können – durch die unterschiedlichen Prozesse wäre es hier vermutlich eher interessant zu sehen, welcher Vorschlag von welcher Lobby durchgekommen ist, die Beeinflussung einzelner Abgeordneter ist dabei nicht so wichtig wie im Europa-Parlament. Langfristig sollen unsere Lobbyplag-Tools als Open-Source-Software für jeden überall kostenlos nutzbar sein, im Moment sind sie noch ausschließlich auf die EU zugeschnitten.