Linke Medien in Europa

Eine Frage der Perspektive

In Deutschland sind linke Medien kaum von der derzeitigen Zeitungskrise betroffen. Die Krise ist vielmehr ihre ganz natürliche Umgebung.
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Als die Prawda am 22. April 1912 erstmals erschien, herausgegeben von dem damals 22jährigen Studenten Wjatscheslaw Molotow, hieß es im Leitartikel: »Wir möchten, dass sich die Arbeiter nicht auf die Sympathie beschränken, sondern an der Leitung unserer Zeitung aktiv mitarbeiten. Mögen die Arbeiter nicht sagen, Schriftstellerei sei für sie eine ›ungewohnte‹ Arbeit. (…) Man muss nur mutig ans Werk gehen: Ein paar Mal wird man stolpern, und dann lernt man schreiben.« Eine Zeitung für Arbeiter von Arbeitern sollte die Prawda sein. Schon dieser DIY-Ansatz galt als links, ein Ansatz, der die Geschichte linker Medien, wenn auch nicht gerade die der Prawda, begleitet hat, bis zum Online-Portal Indymedia in der heutigen Zeit, das sich als Projekt des »Graswurzel-Journalismus« begreift. Dank des Internet ist diese Art des partizipativen Journalismus, heute ist auch gerne von »Bürger-Journalismus« die Rede, längst nicht mehr subversiv und wird in unzähligen Weblogs, Online-Magazinen und -Portalen bis zum Überdruss praktiziert. Manche Perle lässt sich dort entdecken, doch 95 Prozent davon sind Kokolores und das wenigste ist auch nur im Ansatz links. »DIY gleich links« hat noch nie gestimmt.

Schon der Verweis auf die Prawda, die später bekanntlich das Zentralorgan der KPdSU wurde, wirft natürlich sofort die Frage auf: Was ist eigentlich links? Worüber reden wir, wenn wir von linken Medien reden? Die aus dem Umfeld der Linkspartei hervorgegangene Linke Medienakademie (»LiMA«), die gerade wieder in Berlin veranstaltet wird und es ja eigentlich wissen müsste, tut sich schwer, das zu definieren. Das Neue Deutschland (ND), die Tageszeitung (Taz) und die Blätter für deutsche und internationale Politik sind dabei, aber die Medienpartnerschaft mit der Jungen Welt wurde zumindest offiziell beendet, nachdem die Redaktion des nationalbolschewistischen Blatts sich auf der Titelseite am 13. August 2011 für den Mauerbau bedankt hatte. In diesem Jahr wurde dann ein Kooperationsangebot an die Jungle World ohne Angabe von Gründen wieder zurückgezogen. Zu deutlich festlegen, welches »links« gemeint ist, will man sich offenbar nicht. »Irgendwie links« ist denn auch das Motto, mit dem Jakob Augstein seinen Freitag möglichst unverbindlich zu positionieren versucht.
Da sich die Frage nach dem, was links ist, tatsächlich nicht so einfach klären lässt, können als »linke Medien« in diesem Kontext nur solche behandelt werden, die sich selbst als links bezeichnen. In der derzeitigen Debatte in Deutschland über »linke Medien« ist meist vom Desaster der Frankfurter Rundschau (FR) die Rede und von der Zeitungskrise, die linke Medien besonders hart treffe. Aber so »links« wie die FR ist die Zeit auch, und dort kriselt es keineswegs. Linke Medien, auch und gerade die »alternativen«, sind in Deutschland kaum von der Zeitungskrise betroffen. Anzeigen können nicht wegbrechen, weil man eh kaum welche hatte, und die Leserinnen und Leser sind treu. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass in Deutschland Linke nicht Anhänger dieser oder jener Partei oder Bewegung sind, sondern einer Zeitung. Linke WG-Gesuche kommen selten ohne den Hinweis aus, welche Zeitung auf dem Küchentisch liegt, denn darin sieht man einen dezenten, aber eindeutigen Hinweis darauf, welche Anschauungen über das Leben und die Politik der neue Mitbewohner oder die neue Mitbewohnerin mitbringen soll. »Wir haben die Jungle World abonniert« ist der halboffizielle Code für: »Anti­semiten und Antiimps wollen wir in unserer WG nicht haben.« Identitätsstiftend sollen linke Zeitungen sein, man kann auch sagen: Sie haben sich in ihren Nischen eingerichtet. Selbst für eine Zeitung wie die Jungle World, die sich zum Ziel gesetzt hat, für keine Szene das Zentralorgan und für keine Bewegung eine harmonische Kuschelecke zu sein, gilt, dass sie nur schwer über ein bestimmtes politisches Spektrum der Leserschaft hinauskommt. Es ist sogar so, dass nicht wenige junge Menschen, die sich heute in einem linken Milieu politisieren, irgendwann vor der Frage stehen: Jungle World oder Junge Welt? – und damit vor der Frage, welches »links« sie sich künftig zu eigen machen wollen.
Für alle linken Medien gilt daher, was Wolfgang Michal im Autoren-Blog Carta im Hinblick auf die Taz formulierte: Sie haben eine »Gemeinde-Stabilität auf niedrigem Niveau«. Dabei verlieren sie kaum Abos – aber sie hatten ohnehin nie viele. Nur das ehemalige SED-Zentralorgan Neues Deutschland verliert weiter kontinuierlich – zu DDR-Zeiten betrug die Auflage eine Million Exemplare –, einfach weil ihm nach wie vor die Leser altersbedingt wegsterben.

Insgesamt gibt es in Deutschland erstaunlich viele kommerzielle linke Medien. Drei Tageszeitungen: Die Taz, das ND und die Junge Welt, und selbst die FR erhebt ja – bisher zumindest – den Anspruch, »linksliberal« zu sein. Außerdem, wenn wir die Zeit mal außen vor lassen, zwei Wochenzeitungen: Jungle World und Freitag, und verschiedene monatlich oder seltener erscheinende Zeitungen und Zeitschriften, wie Missy, Analyse und Kritik (AK) und Konkret. Daneben gibt es natürlich jede Menge unkommerzielle Medien, für die meist in der Freizeit produziert wird: Zeitschriften, Freie Radios und diverse Internet-Portale und -Magazine.
Wenn hier von »kommerziellen Medien« die Rede ist, sagt dies jedoch nur, dass die Menschen, die sie herstellen, davon halbwegs leben können. Und auch dies betrifft häufig nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Redaktionen und Verlage, schon die freien Autorinnen und Autoren werden von den meist mageren Honoraren nicht satt. Aber auch die Löhne, die in den linken Medienbetrieben gezahlt werden, sind untertariflich bis kärglich. Zynisch gesagt: Gerade die linken Medien sind bestens auf die Anforderungen des kapitalistischen Marktes ausgerichtet. Reich werden kann man in diesem Segment der Medienbranche jedenfalls nicht. Und das gilt auch für jene Zeitungen, die zwar keine Zentralorgane (mehr), aber nach wie vor eng mit Parteien verbunden sind, wie ND und Junge Welt mit der Linkspartei und die Taz mit den Grünen. Dass ausgerechnet die größte Partei, die SPD, ihre Zeitung, die FR, nicht retten konnte oder wollte, ist bemerkenswert.
Immerhin kommen allein Taz, ND, Konkret, Jungle World, Freitag, Junge Welt und AK zusammen auf über 130 000 Print-Abonnenten, woran die Taz mit knapp 45 000 den größten Anteil hat. Natürlich ist dies nicht im Geringsten vergleichbar mit der alten Prawda, die eine Auflage von bis zu 14 Millionen Exemplaren täglich erreichte, also fast so viel wie sämtliche 347 heute existierenden Tageszeitungen in Deutschland (18,83 Millionen). Aber auch die Prawda erscheint heute nur noch in 100 000 Exemplaren – und das in einem riesigen Land wie Russland. Die Krise linker Medien besteht in der Regel in der Krise der jeweiligen Linken, für die sie erscheinen.
Dafür, dass die Auflagen linker Medien in Deutschland recht bescheiden sind, ist ihr Einfluss im öffentlichen Diskurs doch beachtlich. Das liegt einerseits daran, dass Taz, ND und Junge Welt Parteien nahestehen, die zuweilen auch Regierungen stellen, aber auch daran, dass linke Zeitungen größtenteils nicht nur auf Papier zur Verfügung stehen, sondern auch durch ihre Internetpräsenz Verbreitung erfahren. Wobei auch sie, obwohl E-Paper- und Online-Abo-Angebote langsam zu fruchten beginnen, allesamt noch nicht herausgefunden haben, wie online Geld zu verdienen ist – da unterscheiden sie sich nicht von den anderen, den nicht linken Medien.
Nicht linke Medien? Was soll das nun wieder sein? Es ist die Abgrenzungsmasse. Die »Mainstreammedien«, die »Systempresse«, die »bürgerlichen« oder »etablierten« Medien dienen als gefälliges Feindbild, in Abgrenzung zu dem man sich als alternativ, subversiv oder dissident zu profilieren versucht. Früher hieß es gerne, man wolle »Gegenöffentlichkeit« schaffen. Sicher, im Kommentarteil sind linke Medien mehr oder weniger kritisch gegenüber der Gesellschaft, doch da ihnen die Kapazitäten für regelmäßige investigative Recherchen oft fehlen, muss konstatiert werden, dass es in der Regel die bürgerlichen, die etablierten, die »anderen« Medien sind, die hier und da einen Skandal aufdecken, einen Bundespräsidenten stürzen, die so etwas wie eine »vierte Gewalt« im Staate zumindest als Anspruch erahnen lassen.

Was also macht linke Medien aus, wozu bedarf es ihrer, außer zur Selbstvergewisserung bestimmter Milieus? Die ehemalige Jungle-World-Redakteurin Doris Akrap hat in der Phase 2, einer nicht kommerziellen linken Zeitschrift, das Problem so formuliert: »Fast jedes ernstzunehmende Medium thematisiert Alltagsrassismus, Ausbeutung, Antisemitismus oder gar Antifaschismus, Themen, die einst linken Publikationen vorbehalten waren. Auch die spielerische Formatvielfalt, die betont autonome Bebilderung, der ironische Tonfall oder die überraschende Bearbeitung von Themen, einst auf dem linken Spielfeldrand der Medienlandschaft entstanden, sind Mainstream geworden. Längst sucht man nicht mehr nur in linken Medien den eigenen, den anderen Zugang.« Und tatsächlich schreibt auch Frank Schirrmacher gegen den Kapitalismus an, die ARD-Politmagazine brandmarken die Flüchtlingspolitik und die Lausitzer Rundschau wird zu Recht mit dem »Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus« ausgezeichnet.

Kritik zu üben durch Fakten, Analysen und Kommentare, bleibt neben dem Zweck, Debatten anzustoßen und auszutragen, dennoch die Hauptaufgabe linker Medien. Der eigene Zugang kann dabei nur in der eigenen Perspektive der Kritik bestehen. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb eine Zeitung wie der Freitag, die sich zwar »Meinungsmedium« nennt, hinsichtlich der ­eigenen Verortung aber ausdrücklich vage bleiben möchte, trotz immenser Investitionen und einer durch die Person Augstein völlig überproportionalen Medienpräsenz es nicht schafft, eine nennenswerte Zahl neuer Leser zu gewinnen. 2008, als Augstein die Zeitung kaufte, waren es dem ehemaligen Miteigentümer Wolfgang Storz zufolge 13 000, heute sind es rund 14 000. Davon, »schwarze Zahlen« zu schreiben, ist man weit entfernt, wie Augstein Ende vorigen Jahres zugeben musste.
Unverbindlichkeit kann so wenig wie Politikberatung das Geschäft linker Kritik sein. Diese muss vielmehr im besten Sinne systemkritisch sein, also den Zusammenhang zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Problemen herstellen und das Ganze, auch den Diskurs, zum Gegenstand der Kritik erheben. Und dabei auch sich selbst und das Milieu, das seine Leserschaft prägt. Linke Medien sind der genuine Kritiker der Linken. Propaganda und Hofberichterstattung haben mit linkem Journalismus nichts zu tun. Eine Zeitung, die sich »Wahrheit« nennt und diese zu verkünden vorgibt, ebenso wenig.
Das Weblog Lizas Welt hat es, zum Thema linke Medien befragt, in der bereits erwähnten Phase 2 treffend und ganz unphatetisch mit Katz & Goldt so formuliert: »Ich betrachte das Elend. Ich trage nicht dazu bei.« Mit dieser Einstellung – die sich im Übrigen nicht nur linke, sondern alle Medien zu eigen machen sollten – wäre schon viel gewonnen. Kommen dann noch Kritik und Selbstkritik hinzu, haben linke Medien eine Zukunft. Sofern die Linken eine haben. Aber das steht auf einem anderen Blatt – und ist natürlich den einen mehr zu wünschen als den anderen, naja, sonst wären wir ja keine Linken.