Eine Ausstellung über Musik im Berliner Haus der Kulturen der Welt

Halb Wesen und halb Ding

Was ist Musik? Eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt lotete das Verhältnis zwischen Mensch, Technik und Musik neu aus. Von

Ob Tiergeräusche in der Musique concrète oder die Verwendung von Elektronik in moderner Tanzmusik – die Grenze zwischen Tierischem, Menschlichem und Technik spielte schon immer eine wichtige Rolle bei der Frage, was als Musik gelten könne und was nicht.
Ausgehend von diesem Thema, entwickelte das Berliner Haus der Kulturen der Welt ein abwechslungsreiches Festival, das Humor mit Sujets der Avantgarde und experimentellen Quatsch mit theoretischem Ernst verband. Als Teil des im gleichen Haus stattfindenden »Anthropozän-Projekts« veranschaulichte auch »Unmenschliche Musik« den Gedanken: »Unser Konzept der Natur ist überholt. Die Natur ist weder ein Hindernis noch ein harmonisches Anderes, keine Macht mehr, die sich von menschlichem Handeln abtrennen ließe oder diesem ambivalent gegenüberstünde.«
So wird der Mensch nicht mehr als Herr über die Natur und die Dinge gedacht, sondern als gleichberechtigter Partner, der auf verschiedenen Ebenen mit ihnen in Austausch tritt. Oder, einfacher gesagt, die Natur ist Teil der Kultur: »Welches Menschenbild nimmt Form an, wenn die Natur uns im Bild des Menschen erscheint – als ob sie menschlich wäre? Was bedeutet eine Co-Produktion des Planeten und welche Visionen könnte eine gemeinschaftliche Vorstellung des Kosmos hervorbringen?«
Diese Fragestellung versuchte das Festival unter anderem mit Konzerten von Grillen zu beantworten, kommentiert von einem sogenannten »Tiermusikexperten«. Selbst eine Oper der aus »Star Trek« bekannten Klingonen stand auf dem Programm.
Im experimentellen Zusammenspiel von Theorie und Praxis versuchte die Veranstaltung einen schwierigen Spagat. Einerseits sollten die Fragen, die die »unmenschliche Musik« aufwirft, in aller Ernsthaftigkeit diskutiert werden, andererseits sollte die Ironie einer Quiz-Show mit Soundbeispielen und absurden Kandidatenpreisen genau diesen Ernst wieder konterkarieren.
Ein Drahtseilakt, der oftmals gemeistert wurde. Vor allem Moderator und Kurator Detlef Diederichsen gelang es in parodistischen Ansagen, Respekt vor dem Programm zu wahren und doch die formal strengen Beiträge von Komponisten wie Nobukazo Takemura und Julian Cope nicht leblos erscheinen zu lassen. Manchmal aber wirkte die Entgegensetzung von hochtrabendem Ernst und alberner Spielerei zu dualistisch. Ein subtiler Mittelweg, in dem sich intellektuelle Auseinandersetzung mit einem Augenzwinkern verbindet, wurde nicht immer gefunden.
Ein Dokumentarfilm über den US-amerikanischen Komponisten Raymond Scott lieferte das passende Lehrstück über die Verquickungen von E und U in Sachen Sound. Scott, den Mark Mothersbaugh von der Band Devo einmal »nicht nur den Frank Zappa seiner Zeit, sondern auch eine Audio-Version von Andy Warhol« genannt hat, wurde durch den Verkauf der Verwertungsrechte an seiner Musik einem Millionenpublikum bekannt. Adaptionen seiner Bigband-Stücke lieferten den Puls für die Cartoons von Bugs Bunny und anderen Comic-Figuren und wurden auch in neueren, trashigen Animationsfilmen wie »Ren und Stimpy« wiederverwendet. Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer war außerdem ein ständiger Experimentierer, der elektronische Kompositionsmaschinen entwickelte und zum Epigonen der elektronischen Klang­synthese wurde.
Humoristisch erfolgreich war der täglich stattfindende Gig einer Roboterband des Künstlers Kolja Kugler. Wie aus einem Science-Fiction-Retrofilm gefallen, hampelten sich die aus Industrieabfall und Recycling-Material hergestellten Druckluftroboter schrottig und niedlich zugleich durch kleine, funkig rockende Musikdarbietungen. Unter Anleitung von Sir Elton Junk, dem Lead-Roboter und Bassisten der Band, wurde so die Annahme widerlegt, dass Maschinen keinen Groove besäßen. Weniger musikalisch fiel das Fußballspiel der Mid Size Robots aus. Die Darbietung zweier gegeneinander angetretener Teams aus possierlichen Maschinchen wirkte eher wie ein aufgesetztes, absurdes Spektakel. Musik kam selbst in ihrer avantgardistischsten Definition selten dabei heraus, auch ein Fußballspiel entwickelte sich kaum. Vielmehr entstand der Eindruck, man würde Zeuge eines von merkwürdigen Professoren entwickelten Experiments, das sich trotz viel Technikfetischismus in diffuser, aber immerhin unterhaltsamer Sinnlosigkeit verlor.
Tamer Fahri Özgönencs Bohrmaschineninstallation bespielte den riesigen Raum des HKW auf mehreren Tableaus. Insgesamt 100 Heimwerkermaschinen erzeugten einen Klang, der an Drone-Loops und Wave-Sounds erinnerte und eine leichte Brise erzeugte, die durch die Festival-Halle strich.
Ein weiteres Gerätekonzert präsentierte Andrew Pekler mit »Prepaid Piano«. Die Installation, eine Hommage an John Cages Klassiker »Prepared Piano«, lud das Publikum zu spielerischer Teilnahme ein. Auf den Klaviersaiten hatte Pekler vibrierende Handys angebracht, die durch SMS der Zuschauer zum Klingen gebracht werden konnten. Die somit aus dem Zufall entstehende Musik wurde von Pekler live abgemischt und die Mitspieler konnten ihre Nachrichten auf einem Bildschirm durchlaufen sehen. Eine dazugehörige Reflexion des Verhältnisses von Konsum und Information im Spätkapitalismus gab es auch: Ist das Guthaben der Handys einmal aufgebraucht, ist das Konzert vorbei.
Nokebazu Takemura, dessen bisheriges Werk abstrakte DJ-Kunst, Noise-Core, House und eklektizistischen Jazz umfasst, trat in der Uraufführung von »Verinnerlichte Fremdkörper« mit einem Kammermusikquartett aus Cello, Posaune, Klarinette, E-Gitarre und Elek­tronik an. Im audiovisuellen Dialog mit einem Film, der auf vielfache Weise die Grenzen zwischen Humanem und Technologischem behandelte, blitzten die technophilen Elemente der japanischen Kultur auf, die das Elektronische und Digitale als Erweiterung des menschlichen Körpers und Bewusstseins in den Alltag inte­griert. Wie eine Filmfigur es formulierte: »Dank heutiger Technik konnten wir die Grenze zwischen dem Künstlichen und Natürlichen überwinden. Alles wird ineinander fließen! Kein Unterschied mehr sichtbar! Alle werden gleich und sicher sein.« Und doch zeigte sich in den strengen Tönen der Musik und den abstrakten Bewegungen der Tänzerinnen auch eine existenzialistische Sicht vom Ende des Menschen, der in dieser Fortschrittsvision einsam und überflüssig erschien.
Affirmativ und einladend war hingegen der denkwürdige Höhepunkt des Festivals: Jeffrey Dammers 24köpfige Bigband, die sich das visionäre Werk des afroamerikanischen Avantgarde­komponisten und selbst ernannten Afro-Alien Sun Ra vornahm. Die Darbietung bezog sich auf die zivilisationskritische Dimension des Posthumanismusdiskurses, die im Festivalrahmen wenig behandelt wurde: Das Spatial AKA Orchestra beschränkte sich nicht darauf, den Technikfetischismus zu thematisieren, wie er den Jazz damals durch das Experimentieren mit Moog-Synthesizern erweiterte. Die Performance wies auf die Leidenswege Hunderttausender Afrikaner hin, die von den Europäern im Zeitalter der Sklaverei entführt und verschleppt wurden.
Aus eben dieser afroamerikanischen Erfahrung entwickelte Sun Ra seine Gegengeschichte von den revolutionären Aliens, deren planetarischer Mythos wiederum an Afrika und insbesondere Ägypten erinnert. Dammers Band verkörperte Ras Idee einer universellen, futuristischen Musik, an der teilzuhaben schwarze und weiße Erdlinge eingeladen sind. Den Streichern, Bläsern, mehreren Drummern und anderen Musikern gelang es virtuos, die Stücke des im von brutaler Segregation geprägten Alabama geborenen Komponisten lebendig werden zu lassen.
Und doch schien es Dammer – bekannt als Mitglied der Ska-Punk-Band The Specials – leichter zu fallen, an die spielerische, postmoderne Seite Sun Ras zu erinnern, als die Zeichen in Ras Œuvre mitzudenken, die sich auf das Trauma der Sklaverei beziehen. Eine in ihrer sonischen Vielfalt und Intensität schillernde Aufführung hat das Spatial AKA Orchestra trotzdem verwirklicht. Das sich über mehrere Stunden erstreckende, beeindruckende Konzert war der Abschluss zu einem sehens- und hörenswerten Festival, das die Grenzen zwischen Menschlichem und Unmenschlichem in beeindruckender Vielfalt vorführte.