Die Krise des linken Journalismus am Beispiel Italiens

Italien: Schlechte Zeit für Manifeste

Die Situation linker Medien in Italien ist symptomatisch für die Krise einer Linken, die nicht mehr weiß, wen sie ansprechen soll. Dass die wirtschaftliche Lage und der Verlust der eigenen »linken Identität« gleichermaßen existenzbedrohend sein können, zeigt der Konflikt bei il manifesto.

In dem verworrenen politischen Szenario, das aus den Parlamentswahlen vom 25. und 26. Februar hervorgegangen ist, steht wenigstens eines fest: Die radikale Linke wird nicht dazugehören. Das jüngste Wahldebakel war nur der vorläufige Schlusspunkt eines langen Prozesses, der oft als »Agonie« bezeichnet worden ist. Dieser Prozess begann 2008, als das Bündnis der radikalen Linken unter dem Namen La Sinistra – L’Arcobaleno (Regenbogenlinke) an der Vier-Prozent-Hürde scheiterte und den Einzug ins Parlament verpasste. Zum ersten Mal seit Gründung der Republik war keine radikale linke Partei im Parlament vertreten. Das ist bis heute so geblieben.
Über linke Medien in Italien zu sprechen, bedeutet deshalb in erster Linie, die Krise der italienischen Linken zu thematisieren, die nun durch den Sieg einer Bewegung, die sich als »weder rechts noch links« bezeichnet, besiegelt worden ist. Über linke, unabhängige Information in Italien zu sprechen, bedeutet auch, über eine Medienlandschaft zu sprechen, die schon immer ein Schlachtfeld für Interessen der politischen Parteien und der privaten Medienkonzerne war. Die Krise linker Traditionszeitungen in Italien hängt schließlich mit der wirtschaftlichen Situation des Landes zusammen, insbesondere hinsichtlich der prekären Arbeitsbedingungen für Redakteure, Grafiker und freie Journalisten. In diesem Zusammenhang steht auch die drastische Reduzierung der staatlichen Subventionen für Parteizeitungen und gemeinnützige unabhängige Presseerzeugnisse unter der letzten Regierung Berlusconi und der ersten Regierung Monti, die viele Zeitungen und Zeitschriften finanziell ruiniert hat.
Was das große Zeitungssterben eingeleitet hat, die Krise der Linken oder die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen Austeritätsmaßnahmen, erscheint vor diesem Hintergrund weniger wichtig als die Frage: Gibt es denn in Italien keine Leserinnen und Leser mehr, die an linken Themen und Analysen interessiert sind, oder sind linke Zeitungen nicht mehr in der Lage, die veränderte Welt mit neuen Kategorien und einer neuen Sprache zu interpretieren?

Die erste Traditionszeitung, die an dieser Stelle erwähnt werden soll, ist il manifesto, die »kommunistische Tageszeitung«, die 1969 zunächst als Monatszeitung von einer Gruppe sogenannter Häretiker der KP, die mit der Parteilinie gebrochen hatten, gegründet worden war. Im vergangenen Jahr erlebte die hoch verschuldete Zeitung die schwerste Krise ihrer Geschichte, an deren Ende die Zwangsliquidation stand. Die Redaktion wurde stark verkleinert, von 67 Angestellten sind 41 geblieben, nur der Hälfte von ihnen ist die Kurzarbeit erspart worden. Die wohl gravierendste Folge der wirtschaftlichen Sanierung war die Auflösung der Genossenschaft, die die Zeitung gegründet hatte. Anfang 2013 ist eine neue Genossenschaft gegründet worden. Dieser kann nach Aufnahme durch den Vorstand und Überweisung eines Mitgliedsbeitrags von 1000 Euro jeder und jede beitreten.
Schulden, niedrige Verkaufszahlen und die Anpassung an die digitale Medienwelt sind nicht die einzigen Probleme für den neuen manifesto. Die Frage, die sich der neuen Zeitungsgenossenschaft stellt, ist politisch. In den vergangenen Monaten haben sich die prominentesten Persönlichkeiten, die in Verbindung mit der Zeitung standen, von ihr verabschiedet: die Mitbegründer Rossana Ros­sanda und Valentino Parlato sowie auch bekannte Persönlichkeiten wie der Comiczeichner Vauro, ehemalige Chefredakteure wie Gabriele Polo und Mariuccia Ciotta und langjährige Mitarbeiter wie Ida Dominijanni, Loris Campetti und Marco D’Era­mo. Menschen, die die Geschichte des linken, unabhängigen Journalismus in Italien geschrieben haben. Die daraus folgende, im Blatt öffentlich ausgetragene Debatte um die politische Identität der Zeitung dokumentiert viel mehr als nur die Krise eines publizistischen und politischen Projektes.
In ihrem letzten Artikel für il manifesto kritisiert Rossana Rossanda etwa, die Zeitung habe in den vergangenen Jahren jeweils den verschiedenen Akteuren einer fragmentierten Linken beliebig eine Stimme gegeben, ohne sich selbst politisch zu positionieren: »Identität und Zweck des manifesto sind nicht mehr die der Ursprünge, aber die Veränderungen sind nicht deklariert worden. Ebenfalls scheint, auch hier ohne explizite Gründe dafür zu nennen, unsere Suche nach einem kritischen Marxismus verschwunden (…) Solange Chefredaktion und Kollektiv sich nicht dafür aussprechen, mit der Geschichte der Zeitung zu brechen, ist il manifesto politisch und moralisch dazu verpflichtet, sich selbst in Bezug auf seine ursprüngliche Intention zu definieren.«
Ähnlich fällt die Kritik von Valentino Parlato aus: »Dass diese Krise uns in solche Schwierigkeiten gebracht hat, ist auch unsere Verantwortung. (…) es gibt eine gewisse Passivität und Beliebigkeit in der Art und Weise, wie die Zeitung gemacht wird, stattdessen sollten wir Kampagnen organisieren.«
Das Fehlen einer klaren Linie, das Rossanda und Parlato mit solch deutlichen Worten beklagen, wird von der neuen Chefredaktion unter Norma Rangeri und Angelo Mastrandrea als die Stärke der Zeitung bezeichnet: »Das ist die Zeitung der pluralen Linken: der politischen, gewerkschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Linken.« Die beiden wehren sich gegen den Vorwurf, die Zeitung sei ihrer ursprünglichen Intention nicht treu geblieben: »Unsere Geschichte zu verteidigen, ohne zu berücksichtigen, dass die jüngeren Generationen nicht einmal wissen, was ›Kommunismus‹ heißt, würde bedeuten, minoritär zu bleiben, sowohl politisch als auch publizistisch.«
Eine identitäre oder eine pluralistische Zeitung machen – in diesem Dilemma findet sich früher oder später jedes politische Medium, das den Anspruch hat, zu einer kritischen Linken beizutragen und die Komplexität der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse zu reflektieren. Und wenn auf der einen Seite die Grenzen zwischen Identität und Ideologie nicht immer deutlich sind, ist der Begriff des Pluralismus auch nicht unproblematisch, wie etwa Ida Dominijanni in ihrem Beitrag betont: »Die verschiedenen Positionen in der Linken zu beobachten, ist pluralistisch (…) diese zu hinterfragen und aus einer eigenen Position herauszufordern, wäre ein Zeichen politischer Subjektivität und nicht identitärer Verschlossenheit.« Auch hier wird der Pluralismus mit der Beliebigkeit gleichgesetzt und mit der Unfähigkeit, Position zu beziehen. Wie sich der neue manifesto zum politischen Umbruch äußern wird, das Beppe Grillos Bewegung vor allem für die Linke ausgelöst hat, ist noch nicht deutlich abzusehen. Die neue politische Konstellation bietet mit Sicherheit eine Chance, sich als linkes Medium neu zu definieren.

Eine Chance, die Liberazione, die Zeitung, die 1991 als Organ der Partei Rifondazione Comunista (PRC) entstanden war, völlig verpasst hat. Für Liberazione begann die politische und wirtschaftliche Krise zwischen 2006, dem Jahr des großen Siegesrausches – als die PRC neun Prozent der Stimmen bekam und ihr Sekretär Fausto Bertinotti zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer gewählt wurde –, und 2008, als sie als Teil der Regenbogenlinken den Einzug ins Parlament verpasste. In diesem Jahr begann die interne Abrechnung in der Partei, Bertinotti und Nichi Vendola, der die heutige Partei Sinistra Ecologia e Libertá gründete, traten aus der PRC unter der neuen Führung von Paolo Ferrero aus, an diesem blieb die verschuldete Zeitung hängen. Die neue Parteiführung drängte der Redaktion eine neue Linie auf: Die früher gegenüber der sozialen Bewegungen, den Centri Sociali, der sich politisierenden queeren Szene und der neuen Generation von Feministinnen offene Zeitung sollte immer mehr zum Sprachrohr der Partei werden. Dies führte nach der Entlassung von Chefredakteur Piero Sansonetti zu einem offenen Kampf. Die Kündigung erfolgte offiziell aufgrund der Schulden der Zeitung, inoffiziell jedoch, weil er sich dem Willen der Partei nicht angepasst hatte. Gleichzeitig verschärfte sich die Wirtschaftskrise, die Zeitung reduzierte die Auflage, entließ freie Mitarbeiter und ließ die Verbliebenen nach einem »Solidaritätsprinzip« rotieren. Das alles half nichts, die Zeitung wurde auf nur fünf Ausgaben in der Woche beschränkt. Die wirtschaftliche Lage verschärfte auch die politischen Konflikten zwischen einem Teil der Mitarbeiter und der neuen, von der Partei installierten Chefredaktion. Einige Redakteure traten erst in den Streik und kündigten schließlich, woraufhin die PRC die Einstellung der Zeitung ab Anfang 2012 beschloss. Doch die Redaktion führte ihren Protest weiter und beschloss, die Zeitung täglich als PDF-Datei online erscheinen zu lassen, die Redaktionsräume in Rom wurden besetzt. Die Erfahrung von »Occupy Liberazione« blieb allerdings kurz, den Streikenden wurde klar, dass die Zeitung, wenn überhaupt, nur als Parteibulletin weiterexistieren konnte. Nach nur zwei Monaten wurden die 40 Redakteure in die Arbeitslosigkeit entlassen. Anfang dieses Jahres ist Liberazione als Online-Zeitung wieder erschienen, mehr oder weniger als Wahlkampforgan der kleinen Partei Rivoluzione Civile.

Der Fall der linksliberalen Publikation Il Riformista ist eine typisch italienische Geschichte zwischen Medienmonopol und Interessenkonflikt um den ehemaligen Abgeordneten von Berlusconis Partei PDL, Antonio Angelucci. Seiner Verlagsgruppe gehörte nämlich auch die der rechtspopulitischen Lega Nord nahe stehende Zeitung Libero. Diese muss sich offenbar besser rentiert haben, weshalb Angelucci die linke Zeitung einstellen ließ und die rechte behalten hat.
Erwähnt werden soll hier auch Pubblico, das Projekt des bekannten TV-Journalisten Luca Telese, der Ende vergangenen Jahres versucht hatte, eine neue Zeitung für ein linkes Publikum auf den Markt zu bringen. Nach drei Monaten wurde auch diese Publikation eingestellt. Anfang dieses Jahres wurde außerdem die Monatszeitschrift Terra eingestellt, die sich auf die in Italien sehr kleine Grüne Partei bezog. Die andere, weitaus bekanntere Zeitschrift, die im Zusammenhang mit der globalisierungskritischen Bewegung Ende der neunziger Jahren enstanden war, Carta, war bereits 2010 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt worden.
Die italienische Linke ist nicht nur aus dem Parlament verschwunden, sondern auch aus den Kiosken. Während des Wahlkampfs und nach den Wahlen haben die für die italienische Linke relevanten Debatten eher im Internet stattgefunden. Auf Websites von Gruppen der radikalen Linken wie Global Project, Infoaut und Senza Soste, die von Gruppen rund um die Centri Sociali betrieben werden, beim eher theoretisch ausgerichteten postoperaistischen Kollektiv Uninomade und in dem aus den jüngsten sozialen Kämpfen der Studierendenbewegung entstandenen Webzine Dinamopress haben offene, undogmatische Debatten über den Zustand der Linken in Italien und darüber, was der Sieg von Beppe Grillo für sie bedeutet, stattgefunden.