Ökolibertärer Widerspruch

Wie ein Eselskarren, der sich einen steinigen Bergpfad hinaufarbeitet, so arbeiten sich auch seine Sätze vor. Winfried Kretsch­mann erzählt, wenn er gefragt wird, davon, wie es ist, erster grüner ­Ministerpräsident von Baden-Württemberg zu sein. Er spricht gerne von Umweltschutz und Nachhaltigkeit – immer ein guter Schachzug, wer ist schon gegen Nachhaltigkeit? Und Bildung findet Kretschmann auch gut. Eigentlich wollte er Pfarrer werden. Dann ist er doch für eine Weile maoistischer Kommunist geworden, wurde sogar mit Berufsverbot belegt. Inzwischen ist er geläutert, wie es sich gehört. Er muss also ein guter Mensch sein, denn er war in jungen Jahren Sozialist, und er muss ein kluger Mensch sein, denn er erkannte, dass er früher irrte. Heute ist er nicht nur Chef der Schwaben, sondern auch führender Vertreter des »ökolibertären« Flügels der Grünen. Die Ökolibertären sind für eine Öko-Marktwirtschaft. Ihre Lieblingsgegner sind die Ökosozialisten, die den Atem der Gesellschaft durch Überregulierung und gar sozialistische Ideen abschnüren wollen. Aber auch die Realos sind den Ökoliberalen schon zu staatsgläubig und zu sozialdemokratisch. Die Verbindung von Freiheit und Ökologie, marktwirtschaftliche Dezentralisierung, Deregulierung und Ökowende bringen das Heil.
Dass diese Verbindung unlösbar widersprüchlich ist, ist wohl keine allzu steile These. Gestalt nimmt dieser Widerspruch nun an, da Kretschmann anscheinend wichtige Informationen zum teuren und ökologisch bedenklichen Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« zurückgehalten hat. Dem Stern zufolge haben die Grünen nämlich schon vor der Volksabstimmung 2011 gewusst, dass der Untergrundbahnhof nicht mehr leisten würde als der jetzige. Dabei war die Leistungsfähigkeit eines der Hauptargumente in dem Streit um dessen Bau, der letztlich fortgesetzt werden soll. Vor seiner Wahl hatte sich Kretschmann noch eindeutig gegen das Großprojekt gestellt, danach wurde er leiser. Möglicherweise zwingt ihn der kapitalistische Wachstums- und Verwertungszwang zum Festhalten an dem Projekt: Acht Millionen Kubikmeter Aushub und Abraum bewegen und 1,5 Millionen Kubikmeter Beton abtransportieren und verbauen, dabei gibt es eine ganze Menge zu wachsen und zu verwerten. Der umweltfreundliche Esel hat gegenüber dem umweltschädlichen Lastwagen eben nur in Ausnahmesituationen eine Chance.