Skandale und Proteste rund um den Goldabbau in Griechenland

Zyanid oder Arsen

Auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki grassiert das Goldfieber. Wegen der wirtschaftlichen und ökologischen Skandale rund um den Goldabbau eskalieren die Konflikte mit dem Konzern Hellas Gold und der Polizei.

Die Idylle ist trügerisch. Der Wald von Skouries, im Norden von Chalkidiki, der griechischen Halbinsel südöstlich von Thessaloniki, ist einer der wenigen verbliebenen ursprünglichen Primärwälder Europas, der bislang von Waldbränden und ökonomischer Ausbeutung unberührt geblieben ist. Er bedeckt 75 Prozent des Gebiets, und in ihm stehen Buchen und Eichen, die teils älter sind als der griechische Staat selbst. Unter der Oberfläche spenden seine Aquifere der reichhaltigen Flora Wasser – von dem Stratoniki- und dem Kavakos-Berg bis hin zum Ägäischen Meer im Süden. Aber Wasser ist nicht das einzige, das sich unter der Erdoberfläche findet. Die Gegend ist reich an Bodenschätzen. Schätzungen zufolge könnten 102 Tonnen Gold extrahiert werden. Nach offiziellen Angaben sitzen die Einwohner auf zehn Milliarden Euro; um diese Reichtumsquelle auszubeuten, müssten nur die Bergbaupläne in die Tat umgesetzt werden. In einem kürzlich geführten Interview gab der frühere Finanzminister Georgios Papakonstantinou den Ton in der Diskussion an: »Wollen wir das einzige Land in Europa sein, das seine Bodenschätze nicht verwertet?« Für eine große Anzahl der Anwohner ist die Antwort klar. Sie gehen davon aus, dass die Profite ihr krisengebeuteltes Leben keineswegs verbessern werden. Tatsächlich werden die Profite nicht einmal die Staatseinnahmen vergrößern, weil die Gesetze, die die Bergbauindustrie betreffen, Förderabgaben ausschließen. Papakonstantinou selbst meinte, der Staat werde über die Steuern und die Versicherungsabgaben aus den Löhnen der Arbeiter profitieren. Viele Anwohner gehen zudem davon aus, dass der geplante Abbau von Gold ein irreversibles ökologisches Desaster verursachen wird.
Hellas Gold, ein Konsortium, an dem mittlerweile der kanadische Konzern Eldorado Gold mit 95 Prozent und der griechische Baukonzern Aktor mit fünf Prozent beteiligt ist, hat das Recht erworben, ein Gebiet von etwa 128 Quadratkilometern auszubeuten. Im Zentrum seines Betriebs liegt der Wald von Skouries. Dort soll eine offene Grube mit einem Durchmesser von 750 Metern und 22 Metern Tiefe gegraben werden, dazu sollen eine unterirdische Mine, zwei Dämme, zwei Abfallbecken für 346 Tonnen giftigen Schlamm und Anlagen zur Weiterverarbeitung gebaut werden. Damit das Projekt beginnen kann, müssen zunächst 250 Morgen Wald abgeholzt werden, und man muss an neun verschiedenen Punkten in eine Tiefe von 140 Meter unter dem Meeresspiegel bohren. Bereits jetzt hat Hellas Gold gegen diverse Regelungen zur Flächennutzung verstoßen, Anlagen errichtet, die in seinem Report nicht erwähnt wurden, Bäche mit Geröll angefüllt und mehr Bäume gefällt als gesetzlich erlaubt. Das Konsortium hat das Gebiet außerdem in etwas verwandelt, das einem Militärcamp ähnelt: Checkpoints mit privaten Wachleuten, die Spaziergänger kontrollieren, Zäune aus Stacheldraht, Kameras und Straßensperren.

Damit die Mine in Betrieb genommen werden kann, muss das horizontal fließende Grundwasser blockiert werden – aus Gründen der Arbeits­sicherheit, wie Umweltbeauftragte von Hellas Gold erklärten. Das senkt den Grundwasserspiegel weiter, und die Gefahr besteht, dass der Berg austrocknet und in der ganzen Region die Grundwasserflüsse blockiert werden. Selbst der Umweltreport von Hellas Gold zeigt an, dass die bestehenden Grenzwerte für die Luftverschmutzung nicht eingehalten werden können, was einen Umkreis von vielen Kilometern betrifft. Der pH-Wert des Bodens wird wegen toxischer Abstiche gesenkt werden. Die Auswirkungen auf die heutigen Einnahmequellen in der Region – vor allem Tourismus, Landwirtschaft und Viehzucht – werden beträchtlich sein. Und das ist erst der Anfang.
Hellas Gold hat behauptet, das Gold werde mit dem Schwebeschmelzverfahren extrahiert. Dieses Verfahren wird als vergleichweise umweltverträglich betrachtet, weil dabei kein Zyanid (NaCN) verwendet wird, die giftigste – und billigste – Substanz, die im Bergbau zum Einsatz kommt. Das Problem beim Schwebeschmelzverfahren aber ist, dass es nur dann vergleichsweise sicher ist, wenn das behandelte Erz weniger als 0,4 Prozent Arsen enthält. In dem 4 000 Seiten starken, im Oktober 2010 publizierten Report von Hellas Gold wurde vergessen, die in dem Gebiet ermittelte Arsenkonzentration zu erwähnen, aber zum Unglück des Konsortiums tat dies der vorherige Eigentümer der Mine, TVX Gold: Sie liegt bei elf Prozent. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, behauptet der Report von Hellas Gold außerdem, das Schwebeschmelzverfahren sei »auf industrieller Ebene ausreichend getestet« worden, so dass keine alternative Methode in Betracht gezogen werden müsse. In schierer Arroganz übersieht das Konsortium den eigenen Widerspruch: European Goldfield, eine Gesellschaft, die 2007 95 Prozent der Anteile von Hellas Gold kaufte und im Dezember 2011 von Eldorado Gold übernommen wurde, hatte im Juli 2011 auf ihrer Webpage einen Bericht veröffentlicht, in dem zu lesen ist, das Schwebeschmelzverfahren sei »noch immer in der Erforschungs- und Entwicklungsphase«, regelmäßige Pilottests müssten unternommen werden. Die Einwohner der Region stehen somit vor der Wahl zwischen Arsen und Zyanid. Für Hellas Gold scheinen beide Risiken akzeptabel, eine verständliche Entscheidung – das Konsortium wird die Konsequenzen nicht zu tragen haben. Die Anwohner hingegen haben einen erbitterten Kampf begonnen.

In der Region sind Kämpfe gegen Goldminen nicht neu. Bereits 2002 gelang es Protestierenden, TVX Gold zu zwingen, den Betrieb einzustellen, während das oberste Verwaltungsgericht (Council of the State) entschied – ein Novum in Griechenland –, dass Umweltkosten bei Entscheidungen über Investitionen auch zu berücksich­tigen seien. Im Dezember 2003 kaufte der Staat die Minen für elf Millionen Euro, um sie am gleichen Tag zum gleichen Preis an Hellas Gold zu verkaufen, eine Gesellschaft, die gerade zwei Tage zuvor mit einem Kapitalstock von 60 000 Euro gegründet worden war. Die beiden seinerzeitigen Eigentümer von Hellas Gold, Leonidas Bobolas und Dimitrios Koutras, Unternehmer mit guten Kontakten zu Politikern und Massenmedien, besitzen mit Aktor einen der größten Baukonzerne Griechenlands sowie den TV-Kanal Mega. Der Deal wurde von Christos Pahtas eingefädelt, der damals als Staatssekretär im Finanzministerium fungierte und heute Bürgermeister von Aristoteles ist, einem Gemeindeverband im Norden von Chalkidiki.
Sogar die Europäische Kommission befasste sich mit diesem Schnellverkauf. Nicht nur war der Preis lächerlich gering (der Marktpreis für die erwarteten Bodenschätze beträgt über 15 Milliarden Euro), darüber hinaus wurde Hellas Gold von der Zahlung von Übertragungsgebühren befreit, teils auch von Anwaltskosten. Der Verkauf wurde als rechtswidrig begünstigend betrachtet, und Hellas Gold wurde verurteilt, 15 Millionen Euro plus Zinsen an den griechischen Staat zurückzuzahlen. Ironischerweise ging der griechische Staat gegen diese Entscheidung vor und zog vor den Europäischen Gerichtshof, um sie aufheben zu lassen. Die Entschuldigung von Papakonstantinou sprach Bände: »Der griechische Staat geht regelmäßig gegen die Entscheidungen der Europäischen Kommission vor, insbesondere, wenn ihm gesagt wird, er mache seinen Job nicht ordentlich. Die Europäische Kommission ist nicht unfehlbar.« Als Papakonstantinou im Jahr 2011 das Finanzministerium verließ, wurde er zum Umweltminister ernannt. 20 Tage nach seiner Amtseinführung unterzeichnete er den Umweltreport von Hellas Gold und genehmigte den Beginn des Minenbetriebs. Seine Vorgängerin, Tina Birbili, hatte zwei Jahre lang ihre Unterschrift verweigert.
In den vergangenen Monaten wurde, weithin unbeachtet von den allermeisten Medien in Griechenland, der Norden von Chalkidiki zu einer wahren Kampfzone. Diejenigen, die das Goldfieber kritisieren, haben sich selbst organisiert und unzählige unabhängige Umweltberichte und Gegeninformationen veröffentlicht. Regelmäßig kam es zu Demonstrationen und zu Zusammenstößen mit der Polizei. Kürzlich schlich sich eine kleine Gruppe in das bewachte und befestigte Areal der künftigen Mine von Skouries, fesselte die Wächter und verbrannte nach offiziellen Angaben »Fahrzeuge, Container und Equipment«. Die Antwort des Staats kam sofort: Ein nicht erklärter Ausnahmezustand wurde über das Gebiet verhängt, maskierte Polizisten schwärmten in die Dörfer, terrorisierten die Bevölkerung und zwangen illegal Festgenommene, DNA-Proben abzugeben. Ihr jüngstes Ziel waren zwei 15- und 17jährige Schülerinnen, die von der Polizei vorgeladen wurden. Aus Protest wurden alle Schulen in dem Gebiet für einen Tag von Schülern und Lehrkräften besetzt, der Unterricht fiel aus.
Jene, die Widerstand gegen die Goldminen leisten, sehen sich auch mit eigenen Nachbarn konfrontiert, die auf künftige Jobs hoffen oder bereits von Hellas Gold in den existierenden Goldminen beschäftigt werden. Der Konflikt hat zu einer Polarisierung in den Gemeinden geführt, und der Widerstand gegen das Projekt wird als anachronistisch und starrsinnig dargestellt. »In welchem Teil des Landes werden in den kommenden fünf Jahren 5 000 neue Jobs geschaffen?« fragte Bürgermeister Pahtas kürzlich rhetorisch in einem Interview. Besser trifft es vielleicht der Kommentar eines Minenarbeiters in einem anderen Interview, in einem bizarren Versuch, die Investitionen zu verteidigen: »Früher sagten wir: ›Zuerst kommt die Gesundheit, dann die Arbeit.‹ Jetzt sagen wir: ›Die Arbeit kommt an erster Stelle.‹«
Nichts ist neu an einer Gesellschaft, die die Arbeit völlig unabhängig von ihren desaströsen gesellschaftlichen Folgen fetischisiert. Wie in anderen Fällen sind auch Einwohner von Chalkidiki gezwungen, der Arbeit Priorität einzuräumen, selbst wenn sie die Zerstörung der Umwelt und ihrer Gesundheit mit sich bringt. Doch ihr Kampf gegen das Projekt ist eine Weigerung, die Geschichte auf eine traurige Wiederholung der Vergangenheit zu beschränken, und ebenso, die Zukunft auf ein bloßes Management der Desaster der Gegenwart zu begrenzen.

Aus dem Englischen von Bernd Beier