Gedenken an die NS-Dichterin Agnes Miegel in Niedersachsen

Die Mutter der Ostpreußen

Das Andenken der NS-Dichterin Agnes Miegel wird im niedersächsischen Bad Nenndorf nach wie vor gepflegt. Kritik kommt meist nur von außerhalb und findet vor Ort kaum Gehör.

Bad Nenndorf ist ein verschlafenes Örtchen im Landkreis Schaumburg am Rande des Weserberglands. Jedes Jahr im August jedoch marschieren Hunderte Neonazis dort auf, um bei einem rechten »Trauermarsch« vermeintliche alliierte Verbrechen an »deutschen Opfern« anzuprangern. Im dortigen »Wincklerbad« nämlich hatten die bri­tischen Befreier nach 1945 NS-Funktionäre und angebliche sowjetische Spione interniert, einige sogar gefoltert. An kritischer Distanz zur nationalsozialistischen Vergangenheit scheint es in Bad Nenndorf auch jenseits der Aufmärsche zu mangeln, wie der Umgang mit der Dichterin Agnes Miegel belegt.
Bis heute ist Miegel, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Stadt wohnte, Ehrenbürgerin des Ortes. Im Kurpark steht ein Denkmal, das an sie erinnert und an dem auch immer wieder Neonazis Kränze niederlegen. Bereits ein kurzer Blick auf Miegels Aktivitäten und Veröffentlichungen offenbart, wieso die heutigen Rechten sie verehren.

Miegel war NS-Funktionärin und Hitleristin. 1879 in Königsberg geboren, fiel sie zunächst als nationalkonservativen Heimatdichterin auf und wurde später zur glühenden Verehrerin Hitlers. Bereits im Oktober 1933 unterzeichnete sie mit anderen systemkonformen Schriftstellern ein »Gelöbnis treuester Gefolgschaft« zu Adolf Hitler. In einem Brief an den NS-Kulturpolitiker Hans Friedrich Blunck bekannte Miegel im Folgejahr ausdrücklich: »Ich bin Nationalsozialist.« Ihrem »Führer« widmete sie in der Folge auch ihre Lyrik: »Laß in deine Hand, Führer, uns vor aller Welt bekennen.« 1937 war Miegel der NS-Frauenschaft beigetreten, drei Jahre später der NSDAP. Auch für den Bund Deutscher Mädel griff sie zur Feder. »Ich traue auf Gott und den Führer, nicht so kindlich-bequem, wie viele es tun, sondern so, wie man als Deutscher und Ostgermane dem Schicksal vertraut«, schrieb sie an Blunck.
Aus Sicht von Historikern erfüllte Miegel mit ihren Dichtungen eine wichtige Propagandafunktion. Während kritische Autoren verfolgt, in Konzentrationslager geworfen und ermordet wurden, unterstützte die Balladendichterin im NS-Kulturbetrieb das System und dessen Kriegspropaganda. Sie wurde Mitglied in der Preußischen Akademie der Künste und gehörte dem Vorstand der Deutschen Akademie der Dichtung an. Auch nach Kriegsende distanzierte sie sich nicht von ihrer Haltung. »Dies habe ich mit meinem Gott alleine abzumachen und mit niemand sonst«, meinte sie. Wohl auch deshalb ist sie für Rechtsextreme noch immer ein Vorbild. Die rechtsextreme »Bürgerinitiative für Zivilcourage« aus Hildesheim zum Beispiel setzte sich für den Erhalt des Namens einer nach Agnes Miegel benannten Straße ein.
In den Werken der »Mutter Ostpreußens«, wie Miegel von ihren Anhängern aufgrund ihrer Heimatgedichte pathetisch genannt wird, finden sich klare ideologische Bekenntnisse und Blut-und-Boden-Romantik. Kein Wunder also, dass Miegels Schriften sich nach Kriegsende vor allem in völkischen und neonazistischen Kreisen reger Verbreitung erfreuten. So erschienen Texte von ihr beispielsweise in den Zeitschriften Nation Europa und Mensch und Maß.

Doch nicht nur NS-Apologeten halten heute das Andenken an die Autorin hoch. Noch immer ist Miegel kulturelles Aushängeschild Bad Nenndorfs. Ihren Beitrag zur Stilisierung Miegels als »Heimatvertriebene« und damit eigentliches Opfer des Krieges leisten freilich auch die Verbände der »Vertriebenen«. Ansässig ist in der Gemeinde die Agnes-Miegel-Gesellschaft (AMG), eine Organisation aus dem Milieu der »Vertriebenen«, die »die Bedeutung einer großen Dichterin in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen« will. In Miegels ehemaligem Wohnhaus betreibt die AMG inzwischen ein Literaturmuseum.
Die Vorsitzende der AMG, Marianne Kopp aus dem bayerischen Stadtbergen, betont stets den ­literarischen Wert von Miegels Werken sowie die vermeintlich »unpolitische« Haltung der Schriftstellerin. »Agnes Miegel war keine Rechtsradikale«, sagte Kopp dem NDR.
Im März organisiert die AMG jedes Jahr die »Miegel-Tage«. Gäste aus der ganzen Bundesrepublik reisen an und lauschen den Schriften der von ihnen Angehimmelten. Die Zeit des Nationalsozialismus wird dabei meist einfach ausgeblendet, doch pflegte die AMG offenbar zumindest zeitweise auch Kontakte zu extrem rechten Kreisen. So berichtete das Ostpreußenblatt 2002, dass Gisela Limmer von Massow Beisitzerin der Gesellschaft sei. Die Ehefrau des 2006 verstorbenen Ludwig Limmer soll genau wie dieser nach Angaben der Leipziger Initiative Fence Off Mitglied des Vereins »Gedächtnisstätte e. V.« gewesen sein, der dem mittlerweile als verfassungswidrig verbotenen »Collegium Humanum« nahegestanden haben soll.

»Mit dem Agnes-Miegel-Kult brechen« will deshalb eine antifaschistische Gruppe, die auf die Geschichtsverklärung aufmerksam macht. Am kommenden Samstag ist eine Demonstration durch Bad Nenndorf geplant. Bereits vor fünf Jahren waren Demonstranten gegen den »Miegel-Kult« durch die Stadt gezogen. Damals hatten rund 20 Rechtsextremisten aus der Schaumburger Kameradschaftsszene versucht, dagegen aufzumarschieren, wurden jedoch von der Polizei gestoppt.
Andernorts hingegen entbrannten in den vergangenen Jahren Debatten um Agnes Miegel, die teilweise zur Umbenennung von nach ihr benannten Straßen und Schulen führten – nicht jedoch in Bad Nenndorf und im Schaumburger Land. Ernsthafte Bemühungen, einen nach Miegel benannten Platz umzubenennen, gab es dort bisher nicht. Doch diese Diskussion will das »An­tifa-Infoportal Weser/Deister/Leine« nun anstoßen. Wie die Sprecherin Pia Möller der Jungle World sagte, wolle man den Umgang mit der bekennenden Nationalsozialistin und deren Huldigung thematisieren. Neben der akuten Bedrohung, die regelmäßige Angriffe von Neonazis auf politische Gegner im Landkreis Schaumburg darstellen, (Jungle World 5/2012), will die Gruppe vor allem auf das in Bad Nenndorf »immer Dage­wesene« aufmerksam machen, denn dort scheint noch immer keinerlei Bewusstsein über die po­litische Gesinnung der Dichterin zu bestehen.
»Im besonderen Maße spielt das Andenken an die Dichterin in Bad Nenndorf eine Rolle«, kritisiert die Gruppe. Nachdem vor fünf Jahren anlässlich der Demonstration kritische Stimmen gegen den Miegel-Kult laut geworden seien, verstummten diese inzwischen wieder. Die Glorifizierung werde nun ungestört fortgesetzt. So stünden die Chancen schlecht, dass sich vor Ort wirklich etwas ändere, schätzt Möller, denn aus Bad Nenndorf selbst, so stellt sie fest, gebe es keinerlei Unterstützung für die Kampagne.
Während in den Lokalzeitungen weiter regelmäßig die Termine der AMG angekündigt werden, hoffen die Organisatoren der Demonstration am Samstag auf rege Beteiligung von Außerhalb. Sie sehen in der auf die Straße getragenen Kritik die einzige Möglichkeit, dem Unwesen ein Ende zu bereiten. Ob ihre Kritik auch vor Ort Gehör finden wird, bleibt abzuwarten.