Nazi-Aufmarsch in Stolberg

Chaostage in Stolberg

Neonazis wollen erneut durch Stolberg bei Aachen marschieren. Nach dem Verbot der Kameradschaft Aachener Land will nun offenbar die Partei »Die Rechte« als Anmelderin der geplanten Aufmärsche fungieren.

Marschieren sie oder marschieren sie nicht? Wie in den vergangenen Jahren wollen Neonazis am ersten Aprilwochenende wieder zweimal durch die Kleinstadt Stolberg in der Städteregion Aachen marschieren. Angeblich gedenken sie alljährlich eines dort von einem Migranten erstochenen Deutschen. In Wahrheit steht jedoch eher aggressiver Fremdenhass im Mittelpunkt. Weil die ursprünglichen Anmelder dem Lager der verbotenen »Kameradschaft Aachener Land« (KAL) zugerechnet werden, will Aachens Polizeipräsident Klaus Oelze die Aufmärsche verbieten. Doch da seit dieser Ankündigung die Anmelder immer wieder wechselten, bleibt alles im Ungefähren.
Seit 2008 finden die Aufmärsche regelmäßig im April statt. In Stolberg hatte in der Nacht vom 4. auf den 5. April 2008 ein zur Tatzeit 18jähriger Migrant im Streit einen 19jährigen Berufsschüler aus Eschweiler erstochen. Allein 2008 kam es aus diesem Anlass zu drei Aufmärschen. Seit dem Folgejahr finden jeweils rund um den Todestag freitags ein »Fackelmarsch« und samstags ein größerer »Trauermarsch« statt. Für dieses Jahr wurden der Fackelmarsch für den 5. April und der Trauermarsch für den 6. April angemeldet. Das Motto lautet: »Gegen Ausländergewalt und Deutschfeindlichkeit! – Mord! Trauer! Widerstand!«

Organisatoren der Aufmärsche waren in der Vergangenheit Ingo Haller, der frühere Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Düren und Mitglied des Kreistags in Düren, der damalige Neonazi-Kader Axel Reitz und die »Kameradschaft Aachener Land« (KAL). Reitz soll die rechte Szene inzwischen verlassen haben, die KAL ist im August vergangenen Jahres verboten worden. Die Behörden stellten damals auch Haller eine Verbotsverfügung zu, weil sie ihn zu den Mitgliedern zählten. Haller fungierte auch 2013 zunächst wieder als Anmelder. Als Mitorganisator sollte André Plum auftreten, ein ehemaliges KAL-Mitglied.
Die Polizei teilte Anfang Februar mit, Oelze habe dem »privaten Anmelder« schriftlich mitgeteilt, dass er die Aufmärsche verbieten wolle. Man habe diesen aufgefordert, »sich zu dem beabsichtigten Verbot zu äußern«, sagte der Aachener Polizeisprecher Paul Kemen. »Der Polizeipräsident begründet das beabsichtigte Verbot damit, dass diese Versammlungen organisatorisch eindeutig der inzwischen verbotenen Kameradschaft Aachener Land zuzurechnen sind.«
Wenig später trat Haller als Anmelder zurück. Juristisch korrekt teilte die Polizei nun auch Plum mit, er möge sich zu dem geplanten Verbot äußern. Doch auch dieser zog sich zurück – als Privatperson zumindest. Unterdessen fungiert er aber auch als Vorsitzender des Aachener Kreisverbandes der Partei »Die Rechte« (DR). Eben jene Splitterpartei respektive deren Funktionäre treten nun, begünstigt durch das Parteienprivileg, als neue Anmelder der Aufmärsche in Erscheinung.
Dessen ungeachtet teilte die Polizei Mitte März mit, Oelze halte an dem beabsichtigten Verbot fest. Da die Polizei sich aber zuletzt nicht in der Lage sah, eine DR-Kundgebung Mitte März in Aachen zu verbieten, bezweifeln Antifaschisten und das Stolberger Bündnis gegen Radikalismus (BgR), dass ein solches Verbot vor Gericht Bestand haben kann. Außerdem kann der DR-Bundesvorsitzende Christian Worch als geübt darin gelten, auch ausweglos erscheinende Rechtsstreitigkeiten mit Behörden erfolgreich auszufechten. Bereits in den vergangenen Jahren war Worch als Anmelder und Unterstützer der Stolberger Aufmärsche aufgetreten und auch anderswo trat er immer wieder als Anmelder rechter Demonstrationen in Erscheinung.
Am 23. August 2012 waren die KAL, die »Kameradschaft Hamm« und der »Nationale Widerstand Dortmund« durch Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) verboten worden. Personen aus dem Umfeld der Gruppen oder ideologisch weniger gefestigte Mitglieder wurden durch das Verbot verunsichert. Sie zogen sich ins Privatleben zurück oder werden in Aussteigerprogrammen betreut. Doch schon damals wies die Polizei darauf hin, dass ein Verbot zwar die Lage beruhige, die Neonazis verunsichere und deren Organisationsstrukturen erheblich schwäche, der harte Kern jedoch aktiv bleiben werde, auch wenn er sich werde umstrukturieren müssen.

Gut fünf Monate nach jenem Verbot gründete »Die Rechte« Kreisverbände in Aachen und im nahen Heinsberg. Insgesamt bestehen derzeit in Nordrhein-Westfahlen neben dem Landesverband sieben Kreisverbände und ein Bezirksverband der Partei. Geprägt sind der Landesverband und seine Untergliederungen durch Neonazis und »Autonome Nationalisten« aus dem militanten Spektrum. In den verschiedenen DR-Gliederungen, bis hinauf in den Bundesverband, finden sich Führungskader aller am 23. August 2012 verbotenen Gruppen – teilweise sogar in den Führungsgremien. Auch im Raum Aachen prägen ehemalige Mitglieder der KAL oder Personen aus deren engstem Umfeld die neuen Verbände.
Landesverfassungsschutz und Polizei werten den nordrhein-westfälischen Landesverband der Partei DR als ein »Auffangbecken« für die verbotenen »Kameradschaften«. Es bestehe zwar der Verdacht, dass das Parteienprivileg bewusst missbraucht werde; durch die Feststellung des Parteienstatus sei ein Verbot als Ersatzorganisation der »Kameradschaften« gegenwärtig aber nicht möglich, stellte Landesinnenminister Ralf Jäger am 22. März fest.
Im März gelang es der Splitterpartei und deren Kadern derweil, sowohl einen bisher traditionell durch die »Kameradschaft Hamm« organisierten Aufmarsch in Soest als auch eine »Kundgebungstour« durch Aachen, Mönchengladbach und Düsseldorf zu veranstalten. Dass dafür verantwortliche Personen ehemalige Führungskader und Aktivisten der verbotenen Gruppen waren, führte nicht zu einem Verbot dieser Aufmärsche.

So verlassen sich denn auch Gegner der Aufmärsche in Stolberg nicht darauf, dass das von Oelze angekündigte Verbot erfolgreich sein wird. Das BgR plant am ersten Aprilwochenende zahlreiche Protestaktionen und Kundgebungen, unter anderem mit einem Auftritt der Kölner Rockband Brings. Unabhängig davon, ob die Aufmärsche verboten würden, »werden wir auf jeden Fall auf die Straße gehen, um zu zeigen, dass rechtsradikale Ansichten und Fremdenhass nicht erwünscht sind in unserer Stadt«, sagte die Sprecherin des BgR, Beatrix Oprée.
Das Bündnis »Stolberg nazifrei«, das in den vorigen Jahren durch Blockaden am Bahnhof der Kleinstadt und mittels Schienenbesetzungen die Anreise der Neonazis stören konnte, plant ebenfalls Aktionen. Anders als in den vergangenen Jahren ruft man jedoch nicht direkt zu Blockaden auf. Vielmehr hat »Stolberg nazifrei« das Hin und Her zwischen den Anmeldungen der rechten Aufmärsche genutzt und eigene Demonstrationsrouten angemeldet – und zwar teilweise auf jenen Straßen und Plätzen, auf denen eigentlich die Nazis marschieren wollen.