Flagge zeigen

Jetzt, wo wieder die Ferienpläne kollidieren und der Frühlingswind die Schnipsel postchristlicher Folklore übers Land trägt, hat sie ihre hohe Zeit: die Abwesenheitsnotiz! Und mit ihr die Prosa der Vertröstung: Ein grausames Konditional wie »in dringenden Fällen« wird von einem gönnerhaften »nur sporadisch« aufgehellt – bis ein »E-Mails werden nicht weitergeleitet« über jede Hoffnung Eiswasser ausgießt. Sorgsam geführte Korrespondenzen reißen ab. Doch sollten wir nicht dankbar sein, dass hier und da noch ein Mutiger sagt: Ja, es stimmt, auch auf Kreta gibt es W-Lan, und meine Geschäftspartner liebe ich wie mein Augenlicht, doch nein, ich will nicht tagelang erreichbar sein, ich entziehe mich bewusst dem System, ich will Sandkörnchen sein im Getriebe der kapitalistischen Sandstrahlmaschine.
Blödsinn! Die Abwesenheitsnotizler rütteln stärker am Menschenrecht auf Urlaub, als es BDI oder SPD je könnten: Wer sich für die Selbstverständlichkeit, einen Brief auch einmal eine Woche unbeantwortet zu lassen, schon ohne Ansehen seines Inhalts präventiv und serienmäßig entschuldigt, erfüllt ja gerade die Vorschrift, wonach jede Mail innerhalb eines Tages beantwortet werden muss. Mit Fleiß zeigt er an, dass die universelle Verfügbarkeit im Regelfall gewährleistet ist, wie ja im Notfall sowieso, und dass sämtliche Vertreter schon berufen und alle Zulieferer informiert und die Angehörigen verständigt und die Anwälte eingeschaltet sind, und dass man im Grunde sowieso im Lande ist, bittesehr, bittegleich.
Danke für Ihr Interesse. Leider gehe ich nun zu Bett und werde bis zehn Uhr morgens nicht erreichbar sein. In dringenden Fällen stehe ich aber auf und fange halt zwei Stunden früher mit allem an.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.