Der »Harlem Shake« als Protest gegen die Islamisten

Shake it up, baby!

Der »Harlem Shake« begann als inhaltsloser Internetgag. Dann benutzten tunesische und ägyptische Jugendliche den Internet-Tanz als Protest gegen die Islamisten. Mit unverhältnismäßig strengen Strafen versuchen die empörten Religionsführer, dem »unmoralischen Verhalten« ein Ende zu setzen. Und erreichen das Gegenteil.

Internet-Hypes sind meistens ziemlich peinlich. Wer kennt nicht das Gefühl des Fremdschämens, wenn man versehentlich auf die »Gangnam Style«-Videos von Psy stößt? Mit dem »Harlem Shake« ist das nicht anders: Junge Menschen auf der ganzen Welt zappeln in möglichst absurden Kostümen zu den trivialen Beats von DJ Baauer und filmen sich dabei selbst. Sie rollen sich über den Boden und zucken in Ekstase durch die Gegend. Ein Schwimmclub hat das sogar unter Wasser ausprobiert. Auf Youtube kann man diese 30sekündigen Kontrollverluste ausführlich ansehen. Ausgerechnet dieses Paradebeispiel sinnentleerter Internet-Rituale hat in Tunesien und Ägypten eine ungeahnte politische Dimension angenommen. Tanzen als Dissidenz in einem »Arabischen Winter«, der keinen Spaß mehr versteht.

Begonnen hat alles in einer Schule in Tunis. Die Studierenden dort wollten ihre Version des »Harlem Shake« filmen. Einige von ihnen hüpften hüftschwingend in Niqab und islamischer Kleidung herum, andere nur in Unterwäsche, wieder andere trugen bunte Perücken. Die Rektorin hatte offenbar ihr Einverständnis dazu erteilt, war aber an diesem Tag nicht anwesend. Das fertige Video wurde innerhalb weniger Tage im Netz zum absoluten Renner. Jetzt tobt in Tunesien darüber eine hitzige Debatte.
Einige Tage später tauchten, wie die Nachrichtenagentur AFP meldete, ein Dutzend Salafisten an einer Sprachschule in Tunis auf und versuchten, einen Dreh zu verhindern. Augenzeugen im Internet behaupten, einer der Männer sei bewaffnet gewesen und habe empört gerufen: »Unsere Brüder in Palästina werden ermordet und ihr tanzt!« Irgendwann zogen sich die Sittenwächter angeblich von alleine wieder zurück und der Dreh konnte fortgesetzt werden. Einer der Organisatoren berichtete später auf Youtube: »Die [Salafisten] haben uns als degenerierte Zionisten und Terroristen beschimpft.« Nachprüfen lässt sich das alles nicht.
Der tunesische Bildungsminister Abdellatif Abid von der sozialdemokratischen Partei Ettakatol befand den Tanz als »beleidigend für den Erziehungsauftrag« und bewies damit einmal mehr, dass die Regierung von der säkularen Opposition zu Recht für den Schulterschluss mit salafistischen Gruppierungen kritisiert wird. Als Konsequenz des jugendlichen Unsinns kündigte der Minister Schulverweise an, die verantwortliche Lehrerin wurde bereits entlassen. Diese Strafen führten aber nur dazu, dass eine Flut von Solidaritätsvideos über Tunesien hereinbrach. Unbekannte hackten die Homepage des Bildungsministeriums und verkündeten einen »Mega Harlem Shake« vor dem Ministeriumsgebäude. Salafisten und andere islamistische Gruppen empörten sich ihrerseits im Internet darüber, dass die Videos unanständig seien, schließlich würden die Teilnehmer »rauchen, wild tanzen und sexuelle Handlungen simulieren«. Wenn sexuelle Handlungen bei den Brüdern so aussehen, wie das, was in den Videos zu sehen ist, dann wäre man doch schon gerne einmal in ihren Schlafzimmern dabei. Ob sie auch Disney-Masken tragen oder jemand mit Motorradhelm und Flügeln aus Palmblättern durchs Zimmer fliegt?
Trotz dieser unfreiwilligen Komik ist die Situation, in der die tanzenden Proteste aufkommen, sehr ernst. Das politische Leben Tunesiens ist seit dem Sturz Ben Alis wie erstarrt. Immer wieder geraten liberale und säkulare Kräfte und vor allem junge Studierende mit den Islamisten aneinander. Die Ermordung des säkularen Oppositionsführers Chokri Belaïd Anfang Februar zeigte deutlich, wie zerbrechlich die tunesische Demokratie noch ist. Angesichts einer Regierung, die nicht in der Lage oder nicht willens ist, den Salafisten Einhalt zu gebieten, fürchten sich viele Tunesierinnen und Tunesier vor wieder aufkeimender Gewalt und islamistischem Despotismus. Umso bemerkenswerter ist die Wahl einer so unbeschwerten Protestform, deren Erfolg sich unter anderem damit erklären lässt, dass sie die vier goldenen Parameter: Jugend, Internet, Lust und Politik in sich vereint, die bereits die Aufstände während des »Arabischen Frühlings« getragen hatten.

Dass dieser Gedanke zumindest nicht ganz abwegig ist, zeigt auch ein Blick nach Kairo. »Wir bewegen uns weg von Gewalt, hin zum Sarkasmus und es bleibt friedlich«, sagte der 22jährige Student Noor al Mahalaawi jüngst im Interview mit der New York Times. Er ist einer der Organisatoren des »Harlem Shake Flashmob«, einem Tanzprotest, der kürzlich vor der Residenz der Muslimbrüder und von Präsident Mohammed Mursi in Kairo stattgefunden hat. »Der Gedanke war, wir protestieren auf lustige Weise, anstatt uns verprügeln zu lassen. Wir haben Spaß und gehen dann wieder«, erklärte er, und weiter: »Wir wollen den Leuten etwas bieten, mit dem sie sich identifizieren können.«
Gerade das scheinbar sinnlose Gezappel wird zu einem Sinnbild für alles, was sonst nicht sein darf: Hedonismus, Ausgelassenheit, Unbedarftheit. Während die tunesische Aktion ursprünglich noch unpolitisch war, hat der ägyptische Student den »Harlem Shake« bereits für politische Zwecke in Beschlag genommen. So ist Mahalaawi auch Betreiber einer äußerst populären Facebook-Seite mit dem Namen »Satiric Revolutionary Struggle«, die zukünftig wöchentliche Proteste vor der Parteizentrale der Muslimbrüder organisieren will.
Fast gleichzeitig mit dem Videodreh in Tunis wurden in Kairo vier Pharmaziestudenten festgenommen, weil sie den »Harlem Shake« auf der Straße getanzt hatten. Ein Regierungssprecher bezeichnete den Tanz als »unschicklich«.
Einmal darauf gestoßen, wird klar, wie gut der »Harlem Shake« schon aufgrund seines Namens zur politischen Satire taugt. Auch die Berichterstattung greift das dankbar auf, etwa ein BBC-Bericht, der mit dem wunderbaren Satz beginnt: »The Muslim Brotherhood was shaked up by dancing protesters in Cairo.« Die Jugendlichen in Kairo haben aber noch einen viel schöneren Spruch für ihre Proteste: »Harlem Shake against Halal Shlake«. Während das arabische halal (»erlaubt«) für alles steht, was mit dem islamischen Recht im Einklang ist, bezeichnet shlake eigentlich eine besondere Art Sandale. Das Wort wird aber auch als Ausdruck für Nutzlosigkeit und Ignoranz verwendet. Dieser Art kreativen Protests ist fast nicht zu schaden. Jeglicher gewaltsame Eingriff, jede Festnahme und jedes Verbot entziehen der Regierung, sei es in in Tunesien oder in Ägypten, schleichend ihre Legitimität. Die Jugendlichen haben diesen kleinen Vorteil erkannt und wissen ihn für sich zu nutzen.
Mit dem Tanzen hatten übrigens so einige Religionen ihre Probleme. Eigentlich war schon der Tanz ums goldene Kalb der erste Protest mit Rhythmus. Tanzen ist Freiheit, Körperlichkeit, Ekstase. All das, was religiöse Führer nur allzu gern verteufeln. Gerade in Tunesien und Ägypten, wo Körperlichkeit und insbesonderer weibliche Körper Gegenstand massiver politischer Auseinandersetzungen sind, fühlen sich die lustfeindlichen Moralapostel von dieser neuen Leichtigkeit der Jugend bedroht.