Die Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK

Wo die Kühe wieder grasen

Die Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen PKK über ein Ende des Konflikts scheinen vielversprechend. Doch andere Minderheiten könnten unter Druck geraten.

Vielleicht erlebt die Türkei dieses Jahr das Sommermärchen, von dem so viele Menschen seit langem träumen: Die PKK legt die Waffen nieder, die türkische Armee entmilitarisiert den Osten und Südosten der Türkei, kurdische Sprache und Kultur werden fester Bestandteil einer multikulturellen Türkei. Teile der Landbevölkerung kehren in ihre Dörfer zurück und beleben die dramatisch zurückgegangene Viehwirtschaft. Die west­anato­lischen Großstädte werden von der anhaltenden Binnenmigration entlastet. Einst blühende Metropolen wie Diyarbakır, Urfa und Mardin finden zu ihrer historischen Größe zurück. Studenten, Journalisten und andere politische Gefangene werden aus der Haft entlassen. Die Türkei kann Milliarden Euro einsparen und durch das Aufblühen der Binnenwirtschaft dazugewinnen, zudem spielt sie eine beispielhafte Rolle als Regionalmacht im Nahen Osten. Doch das alles ist fast zu schön, um wahr zu werden.

Wie sieht die politische Lage wirklich aus? Es ist sowohl der türkischen Regierung als auch der PKK in der Tat hoch anzurechnen, dass sie unbeirrt von Sabotageakten, wie der Ermordung von drei kurdischen Aktivistinnen in Paris im Januar, die Verhandlungen um eine Beendigung des Konflikts fortgesetzt haben. Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hat die Verhandlungen mit bisher ungekannter Offenheit geführt. Der seit 14 Jahren in Isolationshaft auf der Gefängnisinsel İmralı im westanatolischen Marmarameer einsitzende Abdullah Öcalan war vor Abschaffung der Todesstrafe noch zum Tode verurteilt worden, auch wenn Hinrichtungen seit Mitte der achtziger Jahre in der Türkei nicht mehr vollstreckt wurden. Viele Anhänger der ultranationalistischen Bewegungspartei MHP würden den Kurdenführer lieber heute als morgen hängen sehen. Dass sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch vergangener Woche für die Ermordung von fast 14 000 Kurden entschuldigte, ist als historischer Schritt zu werten. Die kurdische Spitzenpolitikerin Ayşe Tuğluk, eine der Vorsitzenden der PKK-nahen »Plattform demokratische Gesellschaft« (DTK), erwiderte in einem Interview mit der Tageszeitung Radikal, sie müsse sich bei Türken und Kurden dafür entschuldigen, dass diese Schritte nicht schon vor 20, 30 Jahren getan wurden. Das hätte an die 40 000 Menschen verschont, die in dieser nicht enden wollenden Auseinandersetzung umkamen. Die militärische Führung der PKK erklärte parallel dazu den Waffenstillstand. Noch in dieser Woche sollen die sich noch auf türkischem Boden befindenden PKK-Kämpfer das Land verlassen. Es soll eine unabhängige Kommission gegründet werden, um Reformen zu erarbeiten. Es geht um das Kurdische im Bildungssystem, die Organisation der regionalen Verwaltung in den vor allem von Kurden bewohnten Provinzen, die Haftmodalitäten von Öcalan und mehr politische Rechte für die kurdische Bevölkerung. Derzeit sitzen über 4 000 kurdische Politiker, darunter viele Bürgermeister und Kommunalpolitiker, in Untersuchungshaft, meist unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK. In den meisten Fällen geht es um rein politische Arbeit, die bislang nach dem Anti-Terror-Gesetz als Propaganda und strafrechtlich als Unterstützung oder gar Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung geahndet wird. Davon sind nicht nur kurdische Politiker, sondern auch an die 1 000 Studierende betroffen, die für eine prokurdische oder linke Politik eintraten.

Im Herbst soll die türkische Bevölkerung in einem Referendum über die neue Verfassung entscheiden. Die Stimmen der Kurdinnen und Kurden, immerhin 20 Prozent der Bevölkerung der Türkei, spielen eine bedeutende Rolle. Hinter der versöhnlichen Politik stehen daher strategische Interessen. Da sind zum einen die ehrgeizigen Pläne von Erdoğan. Er darf nach drei Amtszeiten als Ministerpräsident nicht erneut kandidieren. Also will er Präsident werden, wenn dieses Amt 2014 erstmals durch direkte Wahl besetzt wird. Bis dahin will er das politische System der Türkei umbauen und die Rolle des Präsidenten stärken. Eine Lösung des Kurdenkonflikts würde die Rolle der Türkei als Regionalmacht stärken und der AKP Wählerstimmen für anstehende Änderungen des politischen Systems einbringen. Die Frage ist, ob das dem Land mehr Demokratie beschert oder ob es den islamisch-konservativen Machtinteressen folgend zu einem neoosmanischen, von willkürlicher Wohltätigkeitspolitik bestimmten Staat wird. Selbst Öcalan verbreitete in seinem Friedensaufruf zum Neujahrsfest Newroz Platitüden wie die, dass Türken und Kurden in den Vergangenheit schon viele Glaubenskämpfe gemeinsam geführt hätten. Er folge einer islamisch-konservativen Rhetorik, die nichts Gutes verheiße, betonte selbst der regierungsnahe Kolumnist Cengiz Çandar in der Radikal. Nach dieser wird die muslimische Identität der Türkei in den Vordergrund gestellt, und die anderen Minderheiten der Region, vor allem Armenier, Assyrer und Yeziden, bleiben außen vor. Es wäre tragisch, wenn die derzeitige historische Chance auf Frieden diese Teile der Bevölkerung ausschließen würde.ws