Amir Ramses über seinen Film »Jews of Egypt«, Zensur und Propaganda in Ägypten

»Jüdisches Leben ist quasi erloschen«

Amir Ramses (33) ist Regisseur und Co-Produzent des Films »Jews of Egypt«. Der Film behandelt antijüdische Maßnahmen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Ägypten, wie die (Zwangs-)Aussiedlungen von Jüdinnen und Juden in den späten fünfziger Jahren, und dort bis heute herrschende antijüdische Einstellungen. Über drei Jahre dauerte die Filmproduktion, viele jüdische Zeitzeuginnen und -zeugen, die nach Europa ins Exil gegangen sind, kommen zu Wort. Nach der Freigabe durch das ägyptische Kulturministerium war kurz vor der Kinopremiere überraschend ein Verbot des Films erfolgt. Das wurde national und international kritisiert. Der Film wurde wieder frei­gegeben und lief Ende März an. Mit Ramses sprach die Jungle World in Kairo über antijüdische Propaganda und Zensur in Ägypten.

Was genau ist passiert?
»Jews of Egypt« wurde bereits auf internationalen und ägyptischen Filmfestivals gezeigt. Dafür wurde der Film von der höchsten Zensurstelle Ägyptens, dem Kulturministerium, freigegeben. Als wir mit der Behörde die ausstehenden Formalitäten für die Kinopremiere erledigen wollten, wurden wir vertröstet. Die Papiere lägen bereits vor, wir sollten aber am nächsten Tag kommen. Plötzlich wurden zusätzliche Filmkopien für eine weitere Stelle verlangt. Auf Betreiben von Hersham Farag, eines alten Kaders des berüchtigten Staatssicherheitsdienstes Amn al-Dawla, wurde dann zensiert.
Der jahrzehntelang operierende Geheimdienst Amn al-Dawla wurde kurz nach der sogenannten ägyptischen Revolution 2011 aufgelöst. Wie kann er dennoch eine Zensur anordnen?
Das mussten wir mit dem Film schmerzlich selbst erfahren. Der Geheimdienst wurde als vermeintlich demokratische Institution unter dem Namen Amn al-Watani neu gegründet. Dennoch dürfte es Posten wie die plötzlich auftauchende Zensurstelle nach dem Gesetz nicht geben. Farag ist offiziell Diensteinteiler für die Gebäudesicherheit des Kulturministeriums und hat keine Zensurbefugnis.
Hinsichtlich der Kontinuität des Personals scheint es sich in Ägypten ähnlich zu verhalten wie in anderen Ländern nach dem Ende von Diktaturen.
Richtig. Die Ämter werden abgeschafft, während dieselben Personen mit ihrem alten Denken und Einfluss bleiben. Das verrät viel über den Wandel in Ägypten. Farag sagte, wir sollten das Gerede von vor- und nachrevolutionärem Ägypten sein lassen. Dieser Film wäre vor der Revolution nicht von ihm erlaubt worden und werde es auch jetzt nicht.
Wenn es legal keine Befugnis zur Zensur gibt, woher kommt dann der große Einfluss?
Die oberste Kulturbehörde ist nicht an die Staatssicherheit gebunden. Die Angestellten des Kulturministeriums wollen aber ihre Position behalten und kooperieren deswegen freiwillig. Das ist das größte Problem.
Gab es ähnliche Verbote nach dem Sturz Mubaraks?
Zurzeit wird ein Film über den ehemaligen Präsidenten Gamal A. Nasser und den General Abd al-Hakim Amer produziert. Hier gab es Zensurvorgaben des Verteidigungsministeriums. Weil Szenen des Sechstagekriegs mit Israel 1967 gezeigt werden, gehe es um militärische Geheimnisse und die nationale Sicherheit sei bedroht. Das ist Quatsch, weil der Film einen fiktiven Inhalt hat und vor langer Zeit spielt. Dieser Fall ging vor Gericht. Das ergangene Urteil mit Vorbildcharakter besagt, dass nur das Kulturministerium über Zensur entscheidet.
Wie schätzen Sie so eine Zensur ein?
Wir haben hart für die Auflösung der Zensurbehörde gekämpft. Mittlerweile sehe ich die vorübergehende Notwendigkeit einer solchen zivilen obersten Zensurautorität, um nicht beispielsweise fundamentalistisch-islamischer Zensur ausgesetzt zu sein. Denn dann wäre von gewissen Darstellungen von Religion bis zu der von nackter Haut alles verboten. Uns Progressiven ist es bisher immer gelungen, durch Überzeugungsarbeit Zensur zu umgehen.
Welche Zensurmacht hat die neue Staatssicherheit?
Ihr früheres Aufgabengebiet, der Kampf gegen islamische Fundamentalisten und sozialistische Intellektuelle, gibt es ja so nicht mehr. Sie arbeitet heute für die Fundamentalisten, die sie damals verfolgt hat – und das mit dem alten Feindbild. Auch wenn die Regierung denkt, solch eine »überlegale« Institution sei nötig, ist ihre Aufgabe weitgehend absurd geworden.
Welche Rolle spielt der Einfluss des Militärs? Bekanntlich dominiert es große Teile der ägyptischen Wirtschaft und lange Zeit bestimmte es auch Medieninhalte. Derzeit wird über das Gewicht des Militärs beim Sturz von Diktator Hosni Mubarak gemutmaßt. Ein Grund für das Ende der Unterstützung Mubaraks seien die um sich greifenden Streiks gewesen, die die wirtschaftlichen Aktivitäten des Militärs gefährdet hätten. Kann man sich auf die Autorität einer zivilen Zensur verlassen?
Meines Wissens wurden keine dem Militär eigenen Sektoren bestreikt. So kurz nach Ende des Regimes kann es auch keine endgültige Erkenntnis über die Ursachen seines Zusammenbruchs geben. Meines Erachtens wird das Militär so mächtiger dargestellt, als es war. Die Zensur ging eher vom Innenministerium aus.
Was könnten Gründe für das zeitweilige Verbot Ihres Films durch Farag gewesen sein?
Offiziell wurde die Gefahr für die nationale Sicherheit durch »Jews of Egypt« angeführt. Über die Beweggründe kann ich nur spekulieren. Vielleicht geht es um alte Feindbilder oder um antijüdische Ideologie im Stil des Gründers der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna.
Spielte das internationale Medienecho für die Aufhebung der Zensur im konkreten Fall eine Rolle? Der Fall wurde unter anderem vom US-amerikanischen Time Magazine und dem britischen Guardian bekannt gemacht.
Neben unseren Einlassungen gegen die illegale Einwirkung dieser ominösen Zensurstelle war das sicher ein Grund. Einen Film über die Verfolgung von Jüdinnen und Juden in Ägypten zu verbieten – das wurde nicht nur von der Weltöffentlichkeit, sondern auch in ganz Ägypten nicht hingenommen. Auch hierzulande gab es in den Medien starke Kritik an dem Verbot des Films. Selbst die ägyptische Filmgesellschaft, die in der Vergangenheit die Feindschaft gegen Israel mit der gegen Jüdinnen und Juden vermischte, trennt diese Linien mittlerweile.
Genau diese Vermengung von kriegsbedingter Gegnerschaft zu Israel und des Hasses auf ­Jüdinnen und Juden während der Zeit Nassers ist auch Thema Ihres Films.
Im Film geht es unter anderem darum, wie in Ägypten zur Zeit des Kriegs gegen Israel während der sogenannten Suezkrise 1956 aufgrund der offiziellen Propaganda auch ein Bruch in den privaten Beziehungen von Nachbarinnen und Nachbarn erfolgte. Plötzlich wurde das Wort »Jude« überall zur Anklage. Die Betroffenen konnten dies nicht nachvollziehen. »Ich bin ägyptischer als du. Warum gehst nicht du nach Israel?« sagt ein exilierter Jude im Film zu einem Sicherheitsoffizier, der seiner Familie bei einer nächtlichen Visite bekanntgibt, wie viele Tage sie noch in Ägypten bleiben dürfe. Diese Vorgänge sind nicht nur tragisch für die Betroffenen, Ägypten ist auch ein wichtiger Teil seiner Identität abhanden gekommen dadurch, dass das jüdische Leben quasi erloschen ist.
Wie stark wirkt diese Stimmung bis heute? Ich denke an die Filmszene mit einem Zeitungsverkäufer, der von der bekannten Sängerin und Schauspielerin Laila Mourad schwärmt. Als er hört, dass sie Jüdin ist, nimmt er das Kompliment sofort zurück.
Dieses Denken ist in Ägypten tief verankert. Im Film haben wir einige solcher Äußerungen eingefangen. Es wird lange dauern, dies aufzubrechen.
Was sagen Sie zur These, dass es eine Amalgamierung judenfeindlicher Kriegspropaganda mit damals bereits latentem genuinem Antisemitismus gegeben habe? Diese betont, dass Antisemitismus in Ägypten ab 1936 von der Muslimbruderschaft mit Bewunderung für den Nationalsozialismus gepflegt wurde. Bis heute sieht man dort im Straßenverkauf Übersetzungen von Hit­lers »Mein Kampf«, und den Deutschen wird für Auschwitz gedankt. Auch Nasser wird Holocaustleugnung nachgesagt und dass er von der Authentizität des antisemitischen Weltverschwörungskonstrukts der »Protokolle der Weisen von Zion« überzeugt gewesen sei.
Ich glaube nicht, dass Nasser wirklich Antisemit war. Ich gehe von der These verselbständigter Kriegspropaganda aus. Nasser brauchte Gegner. Um seine Diktatur zu stabilisieren, ging er 1954 gegen die Muslimbrüder und 1955 gegen Kommunisten ähnlich vor. Das gilt auch für nachfolgende Diktaturen. Die folgenschwere Vermischung von Kriegspropaganda und Judenhass fand erst ab 1956 statt. Über sie wurde Judenfeindschaft in Ägypten popularisiert. In dieser Phase wurden übrigens nicht nur Juden, sondern wegen der Frontlinien im Krieg auch Griechen und Italiener ausgesiedelt. Allerdings gibt es einen bedeutenden Unterschied: Die meisten von diesen hatten keine ägyptische Staatsbürgerschaft, die Jüdinnen und Juden in Ägypten schon.
Kann die Situation der jüdischen Ägypterinnen und Ägypter damals mit jener der koptischen heute verglichen werden? Derzeit denken viele Kopten wegen der andauernden Übergriffe und der Islamisierung über Emigration nach.
Nein, das ist nicht vergleichbar. Die Kopten sind ja keine Kriegsgegner.
Was muss in Zukunft geschehen?
Ein guter Anfang wäre, den durch die Propaganda gefestigten Vorstellungen mit historischem Faktenwissen und Empathie für die Opfer entgegenzutreten. Das ist allerdings ein weiter Weg. Neben meinem Film kenne ich nur ein randständiges Buch zum Thema. Und ich musste danach lange suchen.